Amerika im Sog der Antipolitik
Trump verabscheut „Black Lives Matter“ – und die afroamerikanischen Aktivisten hassen den designierten Präsidentschaftskandidaten der Republikaner. Dabei leben beide von einem Vertrauensverlust in Amerika und sind somit Symptome desselben Unbehagens. Ein Kommentar.
Amerika ist aufgewühlt. Neben dem Dschihadismus bekommt das Land es offenbar mit einer weiteren Art „einsamer Wölfe“ zu tun. Zwei afroamerikanische Extremisten haben binnen zwei Wochen faktisch Selbstmordanschläge gegen Polizisten verübt. Die Mörder von Dallas und Baton Rouge scheinen sich als antirassistische Revolutionäre begriffen zu haben.
Die Aktivisten der Bürgerrechtsbewegung „Black Lives Matter“ lehnen die Verbrechen klar ab. Sie lassen sich aber nicht davon abhalten, robust gegen Polizeigewalt zu protestieren. Sie blockieren Autobahnen und schreien den Polizisten entgegen: „Hört auf, uns zu töten.“ In dieser düsteren Gemütslage feiern die Republikaner diese Woche in Cleveland einen schamlosen Aufrührer als ihren Präsidentschaftskandidaten.
Seit der Ermordung der fünf Polizisten in Dallas firmiert Donald Trump als der „Recht-und-Ordnung-Kandidat“. Auf Twitter verspottete er Barack Obama, weil der Präsident die Amerikaner nach dem Hinterhalt von Baton Rouge zur Besonnenheit aufrief. Wo Obama in nuancierten Worten das Volk zur Überwindung der Gräben aufruft, verunglimpft Trump sein Land als einen „gespaltenen Tatort“. Die Morde lastet er dem Präsidenten an. „Wie viele Polizisten und Leute müssen noch wegen eines Mangels an Führungsstärke in unserem Land sterben?“, fragte er nach den Schreckensmeldungen aus Louisiana.
Wie so oft, erläuterte Trump seine Logik nicht. Seiner Twitter-Gefolgschaft und den Zuschauern rechter Politsender ist der vermeintliche Zusammenhang ohnehin geläufig: Weil sich Obama über exzessive Polizeigewalt beschwert und Anliegen von „Black Lives Matter“ für legitim erklärt hat, soll er der Polizei in den Rücken gefallen sein, und zwar mit einem Dolch. Demnach widersprächen sich die Parolen „Schwarze Leben zählen“ und „Blaue Leben zählen“. Blau sind die Polizeiuniformen.
Symptome der selben Malaise
Trump und „Black Lives Matter“ markieren entgegengesetzte Pole. Beide Phänomene, der Aufstieg des autoritären Populisten wie das Aufbegehren von Afroamerikanern, sind aber Symptome derselben Malaise: Viele Amerikaner haben jedes Vertrauen in vermittelnde Instanzen verloren. Zumindest auf nationaler Ebene gibt es keine Aussicht auf eine Verständigung – geschweige denn auf eine Lösung der Probleme.
Bis heute mögen sich protestierende Schwarze auf Martin Luther King berufen. Doch sie glauben nicht mehr an das Vorgehen der Vorväter. Ihnen gelten Straßenproteste und ziviler Ungehorsam nicht mehr als Drohmittel, das Anführer straff organisierter Gruppen einsetzen können, um Politikern in Verhandlungen konkrete Zugeständnisse abzuringen.
„Black Lives Matter“ ist keine Organisation mit festen Strukturen, sondern ein Potpourri autonomer Aktivistengruppen. Sie haben keinen gemeinsamen Vorstand, Sprecher oder Forderungskatalog. Es interessiert die meisten dieser Demonstranten nicht mehr, ob ein Jesse Jackson oder Al Sharpton ins Weiße Haus eingeladen wurde. Wo pragmatisch um Lösungen gerungen wird, wittern sie Gekungel und Korruption. In Zeiten von Instagram und Twitter brauchen die Empörten keinen prominenten Pastor und keinen Dachverband, um sich Gehör zu verschaffen.
Genauso, wie Donald Trump nicht den Rückhalt der Republikanischen Partei brauchte, um sich die Präsidentschaftskandidatur zu sichern. Im Vergleich zum Graswurzelaktivismus von „Black Lives Matter“ handelt es sich beim Trumpismus um reinsten Führerkult. Beide nehmen den weichen Unterleib der Demokratie in die Zange. Sie predigen Misstrauen gegen die sogenannte politische Klasse. Und allzu oft bleibt tatsächlich das Gemeinwohl auf der Strecke, wenn Volks- und Interessenvertreter miteinander feilschen. Die Deals aus den Hinterzimmern des demokratischen Betriebs pflegen niemanden so recht zu befriedigen. Doch sie halten die Demokratie am Laufen.
Keine Geduld für Lösungen im Trippelschritt
Wie in so vielen großen Fragen gibt es gegen Polizeigewalt und Rassismus keine einfache Lösung – erst recht keine, welche „die Politiker“ aus Inkompetenz und Selbstsucht vereiteln, wie es die Populisten den Leuten weismachen. In den sechziger Jahren konnten die von King geführten Schwarzen noch große Gesetze erzwingen, die auf einen Schlag das legale Apartheid-System aus den Angeln hoben. Zu Recht weist Obama darauf hin, dass Amerika seither riesige Fortschritte gemacht hat.
Heute, wo es um den Rassismus in Köpfen, um krasse soziale Ungleichheit und um die Gewaltbereitschaft in einem Land voller Schusswaffen geht, können die Politiker nur versuchen, die Krise in Trippelschritten zu lindern. Da müsste es um Ausbildung, Ausrüstung und Transparenz der Polizei gehen, um das Waffenrecht, um den Umgang mit psychisch Kranken, um Bildungschancen für Arme und manches mehr. Doch vom Klein-Klein wollen viele Bürger nichts mehr wissen. Wahlkämpfer bestärken sie in ihrem Abscheu gegen „Washington“ und den politischen Prozess.
So haben zahllose Politiker ihrer Zunft eine Gruft geschaufelt. Mit Baumeister Trump hat sie eine ungekannte Tiefe erreicht. Der Sog der Antipolitik zieht das ganze Land herunter. Die Erben Abraham Lincolns in der Republikanischen Partei gucken diesem Spuk in Cleveland zu oder schauen weg.
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