In the End

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Falsche Diagnose, falsche Lösung: Hillary Clintons und Donald Trumps Wirtschaftspläne greifen zu kurz. Innovationen und Ideen fehlen, viele Menschen verzweifeln.

Von Heike Buchter

Wenige Tage nach ihrem republikanischen Konkurrenten Donald Trump hat nun auch die demokratische Präsidentschaftsbewerberin Hillary Clinton ihr Wirtschaftsprogramm vorgestellt. Beide haben gemeinsam, dass sie viele Arbeitsplätze schaffen wollen. Doch ihre Pläne – im Kern Steuersenkungen bei Trump und die Besteuerung der Reichen bei Clinton – greifen viel zu kurz. Amerikas wahre Probleme lassen sich mit diesen Ideen nicht lösen.

New Economy: Allein und ohne Netz

Mit einer Dekade Verspätung ist die New Economy plötzlich da. Lange hat sich abgezeichnet, dass die Digital Economy mit ihren prominenten Vertretern Apple, Google und Facebook endgültig die Old Economy ablösen würde. So oft ist dieser Wachwechsel seit dem Platzen der Dotcom Blase angekündigt worden, dass das tatsächliche Eintreten fast unbemerkt geblieben ist. Doch nun sind die Zeichen unübersehbar. Online-Einzelhändler – allen voran Amazon – haben die traditionellen Einkaufshäuser wie Macy’s und Supermarktketten Walmart abgehängt. Zusammen mehr als 300 Jahre alt, hoffen die bisherigen Rivalen Dupont und Dow Chemical durch ihre Fusion, die Dämmerung der einstigen US-Industrie-Ikonen wenigstens aufzuhalten. Verhindern können sie sie wohl kaum.

Die neue Wirtschaft krempelt den Arbeitsmarkt um. Die Diskussion um die 1% vs. 99 %, weicht dem Digital Divide: Die kreative Technologieelite profitiert vom Fortschritt, der gleichzeitig am unteren Ende Kurzfrist-Jobs zu Niedriglöhnen schafft, für die der Einsatz von Robotern oder Computern (noch) zu teuer oder zu umständlich wäre: Putzen, Kochen, Pflegen. Die Arbeitsplätze in der Mitte dagegen werden weniger. So entsteht ein Ungleichgewicht am Arbeitsmarkt, das wesentlich bedrohlicher für Wirtschaft und Gesellschaft ist als die krasse Ungleichverteilung von Vermögen und Einkommen allein.

Falsche Diagnose – falsche Lösung

Die verfehlte Freihandelspolitik habe die amerikanischen Stahlarbeiter um ihre Jobs gebracht, beklagte Trump in seiner Wirtschaftsrede wieder einmal. Und versprach: “Wir werden amerikanische Stahlarbeiter und Kohlekumpels wieder in Lohn und Brot bringen.” Seine Lösung: mehr Protektionismus. Sicher hat die US-Industrie viele Arbeitsplätze verloren, nachdem China 2001 in die Welthandelsorganisation aufgenommen wurde. Aber der Trend startete etwa in der Stahlindustrie bereits in den 60er Jahren, wie eine Studie der Wirtschaftsprofessoren Allan Collard-Wexler und Jan De Loecker ergab.

Über die Jahrzehnte hat die Branche 400.000 Stellen verloren. Doch die Stahlproduktion schrumpfte gleichzeitig nur um 20 Prozent. Wenn die Abwanderung der Produktion in Billiglohnländer die ausschlaggebende Ursache gewesen wäre, hätte der Einbruch weit deutlicher ausfallen müssen. Entscheidender für den Verlust der Stellen war eine Innovation. Stahlwerke begannen Schrott zu recyceln. Das war weniger aufwendig, als Stahl völlig neu herzustellen. Und man brauchte nicht die Tausenden Arbeiter, die früher in den Stahlwerken angestellt waren. Die verbliebenen Arbeitsplätze sind allerdings besser bezahlt als in den früheren Zeiten.

Überholtes Sozialsystem

Das Problem ist nicht nur, dass gut bezahlte Jobs wie die der Stahlarbeiter rarer geworden sind. Das Problem ist, dass in den USA bisher die Absicherung vorwiegend über den Arbeitgeber organisiert war. Das hat historische Gründe: Im zweiten Weltkrieg herrschte Arbeitskräftemangel und die Unternehmen wollten durch diese Vergünstigungen Mitarbeiter halten. Wer bei einem größeren Unternehmen arbeitet, ist in der Regel über den Arbeitgeber krankenversichert. Das galt bei Konzernen vielfach sogar noch nach der Pensionierung. Vor der Pleite war etwa der Autohersteller General Motors gleichzeitig einer der größten Gesundheitsversorger, über den zeitweise über eine Million Mitarbeiter, Rentner und deren Angehörige versichert waren. Die Krankenversicherung ist nicht übertragbar auf einen anderen Arbeitgeber. So bedeutet der Verlust des Arbeitsplatzes oft den Verlust der Krankenversicherung.

Auch bei der Altersvorsorge spielt der Arbeitgeber eine weit wichtigere Rolle als in Europa. Zwar gibt es die staatliche Rentenversicherung Social Security, aber die leistet nur die Grundabsicherung. Bis in die 80er garantierten die Pensionskassen der Unternehmen ihren ehemaligen Mitarbeitern deshalb oft eine feste Rente. Das änderte sich mit dem Aufkommen der “401(k)”, Sparverträge, bei denen der Arbeitgeber lediglich einen Beitrag leistet, die Rentenleistung jedoch nicht garantiert. Damit ist das Risiko zunehmend auf den Arbeitnehmer übergegangen. Und die soziale Absicherung können zudem nur entsprechend große Betriebe ihren Mitarbeitern bieten. Wer für kleine und mittlere Unternehmen arbeitet, bleibt sich selbst überlassen.

Neue Strukturen braucht das Land

Mit der New Economy hat die Zahl derer drastisch zugenommen, die frei oder für Subunternehmen arbeiten. Gerade junge Arbeitnehmer kombinieren mehrere Jobs, um über die Runden zu kommen. Der Trend wird sich weiter verschärfen, prognostiziert Bo Cutter, Wirtschaftsexperte beim liberalen Roosevelt Institute. “Langfristige Arbeitsverhältnisse werden selten und die Bürger sind für Bedürfnisse wie Gesundheits- und Altersvorsorge, die bisher vom Arbeitgeber gemanagt wurden, allein verantwortlich”, schrieb er in einem Essay zur Zukunft der amerikanischen Wirtschaft. Die bisherigen sozialen Absicherungen fallen weg, neue sind noch nicht in Sicht. Die Gesundheitsreform von Präsident Obama war ein erster Versuch, dieses Problem anzugehen.

Doch Obamacare wurde politisch toxisch und bietet einen unbefriedigenden Kompromiss. Schon einmal machte Amerika eine vergleichbare Transformation durch. Anfang des 20. Jahrhunderts wandelte sich das Land von der Agrarnation zum Land der Massenfertigung. Das ging nicht ohne bitteren Konflikt ab. Beim Ludlow Massaker 1914 ließ John D. Rockefeller ein Camp streikender Minenarbeiter attackieren, es gab 26 Tote, darunter 11 Kinder. Die wachsende Macht der Gewerkschaften und der Boom der US-Wirtschaft nach den Weltkriegen schufen die Voraussetzungen für neue soziale Strukturen und den Aufstieg einer breiten Mittelschicht. Jetzt braucht Amerika dringend eine entsprechende Antwort auf die New Economy.

Nachlassende Innovationskraft

Beide Kandidaten wollen in Infrastruktur investieren, um Arbeitsplätze zu schaffen. “Wir werden Straßen, Brücken, Tunnel, Eisenbahnen und Flughäfen bauen”, kündigte Clinton bei ihrer Rede an. Als Präsidentin werde sie wieder zum einstigen Glanz führen, was die Generationen zuvor einst aufgebaut hatten. Und sicher gibt es einen enormen Bedarf an Reparaturen. Amerikas Highways, Brücken, Energie- und Wasserversorgung bröckeln bedenklich. Laut dem Verband der Bauingenieure müssten bis 2020 rund 3,6 Billionen Dollar für die Sanierung der Infrastruktur ausgegeben werden.

So wichtig eine Reinvestition ist, letztlich kommt es der Wiederherstellung des Status quo gleich. Was Amerika aber mehr noch braucht, erwähnte Clinton nur in einem Halbsatz und Trump überhaupt nicht: Innovation, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Schaut man auf das iPhone, die Raketen, die Elon Musks SpaceX bald Richtung Mars schicken will oder die neuartigen Krebsmedikamente, die fast monatlich auf den Markt kommen, dann scheinen die USA immer noch führend bei Forschung und Entwicklung. Doch es droht eine Aushöhlung. Im Vergleich mit anderen Industrieländern geben die USA gemessen am Anteil am Bruttoinlandsprodukt weniger aus als Korea, Israel oder Japan. Auch Deutschland liegt, wenn auch knapp, vor den USA.

Kürzungen mit dem Rasenmäher

Vor allem die Budgets für Grundlagenforschung, auf die viele Unternehmen später für ihre kommerziellen Erfolge zurückgreifen, schrumpfen seit Jahren. Zwar betonte Präsident Obama immer wieder, wie wichtig diese Investitionen in die Zukunft seien. Doch im Gezerre mit der Opposition der Republikaner um den US-Haushalt wurde auch bei den Etats für staatliche Forschungszentren der Rotstift angesetzt. Dass amerikanische Unternehmen nach wie vor in vielen High Tech Bereichen dominieren, verdanken sie oft genug der Arbeit in diesen Instituten.

Ein oft zitiertes Beispiel ist Googles erster Algorithmus, der von der National Science Foundation finanziert wurde. Die staatlichen Kürzungen wären besser zu verkraften, wenn nicht auch die privaten Unternehmen ihre Anstrengungen in der Grundlagenforschung immer mehr zurückfahren würden. Das Forschungslabor von Bell, einer Abteilung des Telekomunternehmens riesen AT&T, erreichte einst Ikonenstatus, allein acht Nobelpreisgewinner brachte es hervor. Der Transistor, der das Elektronikzeitalter einläutete, wurde dort entwickelt. Doch die Manager heute werden von den Aktionären an kurzfristigeren Zielen gemessen. Statt in Forschung und Entwicklung fließen die Milliarden in den Ankauf eigener Aktien, die den Börsenkurs in die Höhe treiben – und die Vergütung der Manager.

Lösungen für Erste-Welt-Probleme

Selbst im Silicon Valley findet sich Innovation vorwiegend in Bereichen, die schnelle Gewinne versprechen. Fast 40 Prozent des Kapitals von Wagniskapitalfonds fließt in Software. Mit ein paar findigen Programmierern lässt sich in einer überschaubaren Zeit eine App austüfteln, die Mahlzeiten per Smartphone liefert oder dreckige Socken zur Wäsche abholt. Weit schwieriger sind Durchbrüche bei alternativen Energiequellen. Es ist kaum verwunderlich, dass Investoren, die Resultate sehen wollen und möglichst noch zu ihren Lebzeiten, lieber Innovationen fördern, die weniger riskant und kapitalintensiv sind. Was Amerika fehlt, sind Ideen, die das Land nicht nur reparieren, sondern transformieren.

Eine Nation zum Zerreißen gespannt

Der Erfolg von Trump, der die Wut und Frustration einer großen Gruppe der Bevölkerung anspricht, hat viele Amerikaner überrascht. Vor allem aber hat es die Küstenbewohner verblüfft. Es ist besonders die Mitte des Landes, die unter den Folgen der Deindustrialisierung leidet. Verödete Kleinstädte, verfallene Fabrikhallen. Eine Stelle als Sicherheitskraft zum Mindestlohn statt im Autowerk, ein Job bei McDonald´s statt in der Textilfabrik. Amerikas Herzland, das heartland – vorwiegend weiß – erlebt die Zerstörung von Familien durch Drogen, Depression und Suizid.

Doch statt Mitgefühl ernten die Betroffenen Spott und Verachtung. Sie hingen an ihren Waffen und Religion, bemerkte Präsident Obama in einem unbedachten Moment. Eine erstaunliche Haltung für einen Vertreter einer Partei, die sich dem sozialen Fortschritt verschrieben hat. Doch die Kritiker auf der konservativen Seite sind nicht weniger verächtlich. “Die Wahrheit über diese dysfunktionalen, absteigenden Gemeinden ist, dass sie es verdienen zu sterben. Ökonomisch gesehen sind sie eine Belastung. Moralisch sind sie nicht zu rechtfertigen. Vergiss den Bruce Springsteen Quatsch und die Verschwörungstheorien über die Asiaten, die unsere Jobs klauen”, schrieb kürzlich der konservative Polemiker Kevin Williamson in der National Review. Trump sei für sie wie eine Droge.

Verzweiflung im Heartland

Es gilt als legitim, Menschen in mobilen Fertighäusern als White Trash, Müll zu bezeichnen. Wahr ist, dass die Rezession die Minderheiten, die Schwarzen und Latinos, deutlich mehr getroffen hat. Schwarze Familien bräuchten nach einer neuen Analyse 288 Jahre, um zum Wohlstandniveau von durchschnittlichen weißen Haushalten aufzuschließen. Das macht die Verzweiflung im Heartland nicht weniger real. Und es ist durchaus zutreffend, wenn die Menschen dort den Eindruck haben, man habe sie ihrem Schicksal überlassen. 1980 lag das durchschnittliche Pro-Kopf Einkommen in Washington 29 Prozent über dem Durchschnittseinkommen. 2013 lag der Abstand bei 68 Prozent, berichtete das Polit-Journal Washington Monthly.

Nicht immer hat Washington die Mitte ignoriert. Nach der Großen Depression gab es eine Reihe von Entwicklungshilfeprojekten für ländliche Gebiete, darunter auch die Tennessee Valley Authority, die nicht nur Dämme und Stromnetze baute, sondern ganzen Städten einen Schub gab. Amerika kann nur stark sein, wenn es gelingt, die Schwachen mitzunehmen. Und ein starkes Amerika ist wichtig für ein starkes Europa.

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