Wäre Clintons Sieg große Chance oder nur kleineres Übel?
Wenn Hillary Clinton zur ersten US-Präsidentin gewählt werden sollte, wäre das ein Erfolg nicht nur für Frauen. Oder ist sie nur das kleinere Übel angesichts von Donald Trump? Ein Pro und Contra.
Pro
Diese Frau ist faszinierend. Sie ist wie ein Stehaufweibchen. Sie gehört zu Amerika. Sie ist Amerika. Hillary Clinton hat viel erreicht in ihrem Leben. Angefangen bei ihrer juristischen Karriere bis hin zur Begleitung der Präsidentschaft ihres Mannes, die wie im Falle Michelle Obamas durchaus als partnerschaftliche Vizepräsidentschaft imaginiert werden kann.
Doch sie erlebte auch enorme Abstürze. Sie überstand die schwere Krise der sexuellen Entgleisungen ihres Mannes, ohne ihn fallen zu lassen. Und startete ihre eigene politische Karriere, die sie in ungeahnte Höhen führte:
Ihre erste Präsidentschaftskandidatur musste sie gegen den gottgleichen Barack Obama antreten: erste Frau gegen ersten Schwarzen. Damals schon erschien sie farblos und steif gegenüber dem tänzelnden, swingenden, erotischen Mann.
Sie musste das Nachsehen haben und verlieren. Einen Zauber strahlt sie nun einmal nicht aus. Das Leben ging weiter, auch das politische, denn sie wurde Außenministerin der USA.
Und nun der erneute Anlauf. Im Englischen nennt man das „resilience“ und meint die psychische Fähigkeit, auch Niederlagen zu ertragen und in Stärke zu verwandeln. Wer das als Sturheit oder Machtgeilheit abtut, macht es sich zu einfach.
Am Ende ihrer Amtszeit als Außenministerin wurde sie in einem Essay als „Stateswoman“ bezeichnet. Eine Staatsfrau, erste Dienerin des Staates. Eine, die streng und konzise war, vor der auch die Herren in Peking oder Moskau Respekt hatten und haben werden.
Dass besonders die Jugend zu Beginn des Wahlkampfes nicht von ihr, sondern vom sozialistischen Narren Sanders begeistert war, es wundert nicht. Aber die Zeiten lassen keine Verspieltheiten und Experimente zu.
Donald Trump, so sagte die Feministin und Philosophin Judith Butler jüngst, sei eine Form des amerikanischen Faschismus. Man müsse für Clinton im Weißen Haus sein, weil man gegen sie sein könnte.
Der linke Soupçon spricht vom „Establishment“ und meint die Erfahrung administrativer Arbeit oder Kontakte zu „Wallstreet“. Die reine Lehre wird zur reinen Leere.
Die Frau in Blazer und Hose ist Routinier wie Angela Merkel. Wundert die Ähnlichkeit? Ihr gelebtes Leben ist Feminismus. Sie muss keine Reden hierüber schwingen.
Im Übrigen tut das aufs brillanteste Michelle Obama, die sich selbst übertraf, als sie Clinton ihr „Mädchen“ nannte. Die Seniorität Clintons wird hier im Bild des Buddys romantisiert.
Sie ist eben keine alte, sondern eine reife Frau. Und, betrachtet man ihr Gesicht, von ungewöhnlicher Frische für eine gerade 69 Jahre alt Gewordene. Kommen wir zum blödesten Argument: dem des „kleineren Übels“, um eine Präsidentschaft Trumps zu verhindern.
Sie ist eine ernst zu nehmende Kandidatin, sie hat sich tapfer geschlagen. Und sie hat viel gelernt. Vielleicht gelingt es, die erregte Gesellschaft zu beruhigen. Hillary Clintons wahrscheinlicher Wahlsieg jedenfalls ist eine große Chance für Amerika, sich neu zu besinnen und aufzustellen. Das hat die lebendigste Demokratie der Welt nötig.
Andrea Seibel
Contra
Hillary Clinton wird am 8. November zur Präsidentin der USA gewählt. Das sagen zumindest die Umfragen. Dann wird, nach den Verwerfungen durch die Kandidatur des Narzissten Donald Trump, alles wieder gut. Das denken jedenfalls viele Beobachter.
In der Tat spricht ja vieles für die Demokratin: Mit ihrer Intelligenz und Erfahrung bringt sie Charaktereigenschaften mit, die ihrem Rivalen gänzlich abgehen. Zudem sind in den USA die Erwartungen an die mutmaßlich erste Frau im Präsidentenamt im schmutzigsten Wahlkampf der modernen Geschichte so heruntergetrampelt worden, dass es nicht schwierig ist, sie zu übertreffen.
Doch Clinton wird die Wahl nicht gewinnen, weil sie als überzeugend oder glaubwürdig eingeschätzt wird. Sie hätte ihren Sieg der erfolgreichen Abqualifizierung eines Gegners zu verdanken, der allzu bereitwillig immer wieder Beweise dafür lieferte, dass er für das Amt ungeeignet ist.
Aber am 20. Januar, an dem Clinton ins Weiße Haus einziehen möchte, sind die wahrscheinlich rund 40 Prozent Trump-Wähler nun einmal nicht verschwunden. Sie bleiben das Ferment in einer gärenden Gesellschaft, die derzeit keinen tragfähigen kleinsten gemeinsamen Nenner zu definieren weiß.
So wetzen die Republikaner im Kongress bereits jetzt weitere Messer und kündigen Untersuchungsausschüsse an wegen Clintons E-Mail-Affäre und wegen der Verquickung der Interessen ihrer Familienstiftung mit ihrem früheren Amt als Außenministerin.
Wie Trump für seine Zukunft als Nicht-Präsident übt
Sie werden die Mehrheit möglicherweise im Senat, sehr wahrscheinlich aber im Repräsentantenhaus behalten. Sie werden einige Sitze verlieren – und wohl ausgerechnet solche von moderaten Abgeordneten. Die relative Stärke der Hardliner nimmt damit zu.
Darum wird sich die „Grand Old Party“ in einer Wagenburg verbarrikadieren. Sie wird Trumps Feindbild von der „crooked Hillary“ (betrügerische Hillary) adoptieren, um die Spaltung zu übertünchen zwischen Trump-Unterstützern (Chris Christie), Trump-Gegnern (John Kasich) und wackelnden Opportunisten (Ted Cruz).
Zu diesen Feinden kommen Skeptiker im eigenen Lager hinzu. Die Euphorie eines Wahlsieges würde nicht wirklich vergessen lassen, dass Anhänger des „demokratischen Sozialisten“ Bernie Sanders die Establishment-Kandidatin Clinton nur mit zusammengebissenen Zähnen wählten. Sie verlangen einen klaren Linkskurs: die Zerschlagung großer Banken, die Absage an Freihandel, die massive Umverteilung von Wohlstand.
Clinton jedoch müsste als Präsidentin nach rechts, ins Zentrum, rücken, um den Republikanern eine Brücke zum Kompromiss zu eröffnen. Doch er dürfte die Ausnahme sein. Damit droht den USA eine Legislaturperiode, in der eine pragmatische Präsidentin eingemauert ist zwischen linken und rechten Ideologen.
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