Das Sterben geht weiter
Der Tod eines schwarzen US-Teenagers löste 2014 lobenswerte Polizeireformen aus. Doch Donald Trump und sein Justizminister Jeff Sessions drehen die nun wieder zurück. War alles umsonst?
Michael Browns Tod bewegte Amerika. Am 9. August 2014 wurde der schwarze Teenager in Ferguson im US-Staat Missouri von einem weißen Polizisten erschossen. Es gab Proteste, Unruhen, Debatten, Reformen. Polizeigewalt gegen Schwarze wurde zu einem Riesenthema, bis hinauf ins Weiße Haus.
Drei Jahre später ist die Wut über die Brutalisierung von Afroamerikanern politisch verpufft, übertönt von der Freakshow in Washington. Dabei gehen die Übergriffe oft unbestraft weiter, mehren sich sogar wieder, gedeckt von einer neuen Staatsmacht, deren nationalkonservative Law-and-Order-Agenda die Bürgerrechte nicht weißer Minderheiten mit Füßen tritt.
“Wir verlieren die Schlacht gegen Polizeigewalt in Amerika”, räumte der prominente Aktivist Shaun King jetzt in der “New York Daily News” ein.
Sicher, es gibt Lichtblicke. Delrish Moss, der neue, schwarze Polizeichef von Ferguson, ist charmant, vertrauenswürdig, bemüht sich um Kommunikation und heuert verstärkt afroamerikanische Mitarbeiter an. Moss will das System verbessern, “für alle, die so aussehen wie ich”, und er beschönigt nichts: “Wir sind weit davon entfernt, perfekt zu sein, aber wir arbeiten dran.”
Nicht freiwillig. Nach Browns Tod überprüfte die US-Regierung unter Barack Obama Polizeireviere landesweit. Ferguson, so stellte sich heraus, war kein Einzelfall: Diskriminierung, Machtmissbrauch und “systematische Gewalt” gegen Schwarze waren weitverbreitet. Das Justizministerium verdonnerte mehr als 20 Städte zu Reformen, darunter Chicago, Baltimore und Cleveland.
Doch das Sterben geht weiter – nur guckt keiner mehr hin: 2016 wurden fast tausend Amerikaner von Polizisten erschossen, davon überproportional viele Minderheiten. Die Brennpunkte bleiben unverändert: Die Schwarzenorganisation NAACP sprach kürzlich sogar eine Reisewarnung für Missouri aus, ihre erste für einen US-Bundesstaat.
Und was tut der neue Justizminister Jeff Sessions? Er spricht auf einmal nur noch von den “Missetaten einzelner Akteure” – und dreht die Reformen wieder zurück. Kein Wunder: Gegen Sessions gibt es seit Langem Rassismusvorwürfe. Nun darf er seinen Traum – und den seines Chefs Donald Trump – vom weißen Polizeistaat endlich verwirklichen.
Dazu gehört nicht nur die Bagatellisierung der Übergriffe. Sondern auch der “War on Drugs”, den Sessions gerade wiederbelebt. Einst von Richard Nixon als Waffe gegen “linke Kriegsfeinde und Schwarze” ausgerufen, führte dieser Schattenkrieg zu exzessiven Strafen und Masseninhaftierung.
Außerdem lässt Sessions seine US-Staatsanwälte wieder obligatorische Mindeststrafen verfolgen, wie sie oft Afroamerikaner treffen, und Gefängnisse von kommerziellen Privatkonzernen managen, was Obama verboten hatte. Zum Direktor des staatlichen Bureau of Prisons, das mehr als 190.000 Häftlinge überwacht, ernannte er erstmals einen Ex-General.
Polizei gegen Trump
Als Vorwand dienen verzerrte Kriminalitätsstatistiken aus den “inner cities” (Codewort für “Schwarzenviertel”) und Horrorberichte über Latino-Gangs. Dazu bemühte sich Trump – der seine Basis bis heute gerne mit rassistisch gefärbter Polemik ködert – neulich nach Long Island, wo er von “blutgetränkten Schlachtfeldern” faselte und die Polizei ermunterte, wieder schön ruppig zuzupacken.
Trump tat später, als habe er nur gescherzt, doch die Botschaft kam bei seiner Zielgruppe sicher gut an. Bei zahllosen Polizisten dagegen nicht: Sie verwahrten sich gegen diesen unterschwellige Gewaltaufruf. Denn die meisten Städte, die sich zu Polizeireformen verpflichtet hatten, wollen diese unter kommunaler Regie weiterführen, auch ohne ministerielle Aufsicht – allen voran die Krisenherde Chicago, Baltimore und Ferguson.
Welche Ironie: Die beste Hoffnung gegen Polizeigewalt ist inzwischen – die Polizei.
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