Amerikas Geisterstunde
Da stand er also, 48 Stunden nach Charlottesville. Zwei Tage, in denen er es vermieden hatte, die Rassisten, Neonazis und die Ku-Klux-Klan-Meute namentlich zu kritisieren. “Rassismus ist böse”, las Donald Trump vom Teleprompter – eine Selbstverständlichkeit, die sie ihm aber lieber noch mal aufgeschrieben hatten.
Endlich: eine Art Verurteilung, irgendwie jedenfalls. Haben wir ihm Unrecht getan? Der Präsident, lobten seine Fürsprecher erleichtert, meine das ja wirklich ernst. Too little, too late, widersprachen andere: zu wenig, zu spät.
Doch auch diese jüngste Aufregung über Trump ist müßig – wie alle bisher und alle, die noch kommen. Allein, dass wir debattieren, ob, wann und mit welchen Wortschablonen sich der Präsident der Vereinigten Staaten vom Hakenkreuz distanziert, offenbart die ganze Absurdität. Ende der Debatte.
Und was wird sich ändern? Höchstwahrscheinlich nichts – im Gegenteil.
Dies sei Trumps schlimmster Tag gewesen, war zu lesen, als er sich darum drückte, rechtsextreme Terroristen zu tadeln. Das las man auch schon, als er Mexikaner diffamierte. Oder mit seinem Sexismus prahlte. Oder sich über Behinderte lustig machte. Oder Nordkorea mit einem Atomkrieg drohte.
So viele schlimmste Tage.
Alles war immer bekannt
Trump ist Trump. Keine selbstgemachte Krise hat überrascht, auch diese nicht. Alles war immer bekannt, lag immer offen, nicht erst seit dem Wahlkampf. Ist Trump ein Rassist? Ein Egomane? Ein Frauenfeind? Ein Russlandfreund? Ein Wahnsinniger? Die Debatten von heute sind dieselben wie gestern und vorgestern.
Da ist die Neonazi-Debatte keine Ausnahme. Wir werden nie wissen, was in Trumps Kopf vor sich geht. Doch wir wissen genug, um ein Urteil zu fällen.
• Wir wissen, dass Trumps Politik-Karriere auf einer rassistischen Lüge basiert: Barack Obama, Amerikas erster schwarzer Präsident, sei gar kein Amerikaner. Diese Lüge machte ihn im rechten Sumpf zuallererst populär.
• Wir wissen, dass er seine Präsidentschaftskandidatur mit einer rassistischen Tirade gegen Einwanderer aus Mexiko begann.
• Wir wissen, dass er bei seinen Wahlauftritten Gewalt verniedlichte, dazu ermunterte und sie schürte, vor allem gegen Andersdenkende und Andersaussehende.
• Wir wissen, dass er schon im Wahlkampf zögerte, die Unterstützung rechtsextremer Hassgruppen von sich zu weisen, während er nie viel Zeit verlor, Minderheiten, Muslime und “die Medien” durch den Schmutz zu ziehen.
• Wir wissen, dass sein Wahlsieg von Rassisten und Rechtsextremen gefeiert wurde: “Heil Trump!”, grölten Hunderte unter Führung des geschniegelten Richard Spencer, der jetzt auch in Charlottesville dabei war.
• Wir wissen, dass er mit Steve Bannon, Stephen Miller und Sebastian Gorka die rechte Szene ins Weiße Haus geholt hat. Rechtsextreme und “der weiße Mann”, sagte Gorka kurz vor Charlottesville, seien doch nicht “das Problem”.
• Wir wissen, dass sein bis heute als ökonomische Heilsformel verklärter Slogan “Make America Great Again” ein Code ist für die “Wiederherstellung” eines weißen Nationalstaats, in dem es die Bürgerrechtsreformen des 20. Jahrhunderts nie gegeben hat. “Ende der Vierziger- und Fünfzigerjahre”, so definierte er einmal seine Lieblingszeit, als Amerika “great” gewesen sei, also als Schwarze und Weiße noch an getrennten Tischen aßen.
• Wir wissen, dass seine geplante Mauer entlang der mexikanischen Grenze, sein Einreisestopp für mehrheitlich muslimische Staaten und seine schleichende Aushöhlung des US-Wahlrechts Mittel sind, diesen weißen Nationalstaat herbeizuführen.
• Wir wissen, wie seine jüngsten Pläne zur massiven Beschränkung der Einwanderung auf englischsprachige Bewerber bei dieser Basis ankommen, schließlich sind sie einem ähnlichen Immigrationsgesetz von 1924 angelehnt.
• Wir wissen, dass er am Sonntag, als er sich nicht durchringen konnte, die Neonazis in Charlottesville zu verurteilen, in einem Interview erklärte, er erwäge eine Begnadigung von Joe Arpaio, eines wegen seiner rassistischen Politik verurteilten Ex-Sheriffs aus Arizona: “Er ist ein großartiger Patriot.”
Amerikas Geisterstunde
Wir erleben Amerikas Geisterstunde. Diese Geister spukten hier schon lange vor Charlottesville herum. Sie brachten Sklaverei, Bürgerkrieg, Segregation, Lynchjustiz, Diskriminierung und Masseninhaftierung (Sklaverei 2.0). Sie beschleunigten die geistige Verarmung der einst so stolzen Republikaner, befeuerten Trumps Wahlkampf und befähigten seinen Sieg. Und sie rütteln jetzt – mit seiner Hilfe – an den Grundfesten der US-Demokratie.
Trump hat diese Geister aus der Abstellkammer zurück ins Tageslicht geholt.
Dagegen protestierten am Montag, immerhin, Tausende am New Yorker Trump Tower, wo der Präsident zum ersten Mal seit seinem Amtsantritt nächtigte. Sie protestierten gegen ihn, gegen die Rassisten, gegen den Verlust der amerikanischen Werte.
Sie protestierten gegen die Geister, die dieses Land nicht loslassen.
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