Das Massaker von Las Vegas hat in den USA eine neue Diskussion über die Waffengesetze ausgelöst. Doch sie wird zu nichts führen. Denn um das Thema sinnvoll anzupacken, müssten die Amerikaner unbequeme Einsichten akzeptieren.
Selbst Sarah Huckabee Sanders, die US-Regierungssprecherin, rang um Fassung. Als sie einige Opfer des Massakers von Las Vegas beim Namen nannte, traten ihr Tränen in die Augen. Doch ihr Mitgefühl endete bei der Frage nach den Konsequenzen. “Es gibt eine Zeit und einen Ort für eine politische Debatte”, sagte sie. Diese Zeit sei aber nicht jetzt – sondern, nun ja, ein andermal.
Doch wann bitte? Wenn die Toten begraben sind? Bei der nächsten Massenschießerei? Wenn man den Horror, der sich in Las Vegas ereignete, längst wieder vergessen hat? Was motiviert einen zum gemeinsamen Handeln, wenn nicht der Tod von Dutzenden Mitmenschen?
Die traurige Antwort: Diese Zeit wird in den USA wohl nie kommen. 20 Kinder und sieben Lehrerinnen starben 2012 in der Sandy Hook Elementary School in Connecticut. Nichts tat sich. 49 Discogänger, viele Schwule und Lesben, starben voriges Jahr im Latino-Nachtklub “Pulse” in Orlando. Nichts tat sich. Sechs Menschen wurden im Juni bei einem Baseballtraining von Kongressabgeordneten verletzt, darunter der Republikaner Steve Scalise. Nichts tat sich.
Nichts wird sich tun, solange die Amerikaner nicht erkennen, wie verlogen die Debatte ist.
“Die Antworten sind nicht einfach”, sagt US-Präsident Donald Trump. Dabei liegen sie auf der Hand. 313.000 Schusswaffentote in zehn Jahren. Mehr als 1500 Massenschießereien seit Sandy Hook. Die lockersten Waffengesetze der westlichen Welt. Kein anderes Land hat solche Statistiken. Kein anderes Land hätte es so einfach, etwas zu ändern.
Stattdessen ergibt man sich immer wieder nur Ritualen, auf beiden Seiten. Flaggen auf Halbmast, Mahnwachen, Schweigeminuten, verdunkelte Wolkenkratzer, die Lebensgeschichten der Opfer und die Heldentaten der Retter. Die US-Medien fangen damit auch jetzt schon wieder an.
Es sind Momente, die das Land kurz im Schmerz einen. Doch die Einheit endet bei der Waffe. Und über die lässt sich nicht diskutieren, ohne dass die Diskussion sofort auf Reflexe reduziert wird, die jeden Sinn ersticken: Pro gegen Contra, Republikaner gegen Demokrat, Waffenfreund gegen Waffenfeind. Die, die davon politisch profitieren, heizen das nur an: Hillary Clinton, log Trump im Wahlkampf, wolle allen Amerikanern alle Schusswaffen abnehmen. “Sperrt sie ein!”, skandierten seine Anhänger.
Dabei ist das Thema so viel komplexer. Doch um das sinnvoll anzupacken, müssten die Amerikaner unbequeme Einsichten akzeptieren.
*Die Einsicht, dass die Waffendebatte rassistisch geprägt ist. Schusswaffen waren stets zuerst ein Privileg der Weißen. Der Ku-Klux-Klan entstand auch, um die Waffen von Schwarzen zu konfiszieren. Die US-Waffenlobby NRA ist bis heute mehrheitlich weiß – und Weiße sind oft die einzigen, die den zweiten Verfassungszusatz, das generelle Waffenrecht, in der Praxis beanspruchen können. Bewaffnete Schwarze und religiöse Minderheiten gelten hingegen oft als “thugs” und “Terroristen”.
*Die Einsicht, dass für Amerikaner ihre “christlichen” Landsleute eine statistisch größere Bedrohung sind als islamistische Fanatiker. Doch statt offen über diesen – oft rechtsradikalen – “domestic terrorism” zu reden, erlässt der Präsident lieber Einreiseverbote für Muslime.
*Die Einsicht, dass die NRA keine Bürgervertretung ist, sondern die Lobby der Waffenindustrie. Deren Handlanger sind konservative Politiker, die, mit Spenden bezahlt, die Gesetze lasch halten. Diese Woche wollen sie ein Gesetz beraten, das den Erwerb von Schalldämpfern erleichtert, aus Rücksicht aufs Gehör der Schützen. Es war nach dem Baseball-Attentat verschoben worden, wohl um auf den Kollegen Scalise zu warten, der am Donnerstag humpelnd ins Plenum zurückkehrte.
*Die Einsicht, dass härtere Gesetze allein nicht reichen. Doch die Ursachen von Waffengewalt – Terror, psychologische Probleme, familiärer Zerfall, Amerikas Klassensystem, wachsender Hass zwischen allen – scheinen ebenso tabu zu sein wie einfallsreichere Lösungen wie “smart guns”. Außerdem strich der Kongress die Forschungsgelder dazu.
* Sowie die Einsicht, dass auch die Demokraten selten über ihren Schatten springen. Sie beklagen den Status quo, finden aber selbst in Las Vegas nicht den Mut zum Mut, sondern belassen es bei Plattitüden. “Las Vegas ist ein sicherer Ort”, sagt Steve Sisolak, der demokratische Bezirkschef von Clark County, am Montagabend. “Wir ermuntern jeden, uns zu besuchen.”
Unter den nächsten Besuchern werden sicher auch etliche Waffenfans sein. Schon am kommenden Wochenende findet zum Beispiel die Western Trails Gun and Knife Show im Casino Eastside Cannery statt: zwei Tage lang Tausende Gewehre, Pistolen, Messer und andere Waffen. Eintritt: zwölf Dollar pro Person.
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