Auf einem moderaten Weg mit ungewissem Ziel
Monatelang hat Rex Tillerson mit Amerikas europäischen Verbündeten, arabischen Partnern, israelischen Freunden und konkurrierenden Weltmächten beraten, wie Iran einzudämmen wäre. In den kommenden Monaten aber sitzen die wichtigsten Verhandlungspartner des Außenministers in Washington. Denn die Zukunft des Atomabkommens, das die fünf UN-Vetomächte und Deutschland vor gut zwei Jahren mit Teheran geschlossen haben, liegt jetzt maßgeblich in den Händen der amerikanischen Abgeordneten und Senatoren.
Donald Trump bleibt zwar dabei, dass der Nuklearpakt ein „Desaster“ und der „schlechteste Deal aller Zeiten“ sei. Doch so hart der Präsident weiterhin mit Iran sowie mit seinem Vorgänger Barack Obama ins Gericht geht – vor einer sofortigen Kündigung des Abkommens schreckt er offenbar zurück. Vielmehr erhofft sich Trump vom Kongress wohl einen Ausweg aus der Zwickmühle zwischen aggressiven Iranern, die nach seiner Überzeugung Obama über den Tisch gezogen haben, und den Mitunterzeichnern in Moskau, Peking, Paris, London und Berlin. Sie nämlich sehen in dem Pakt weiterhin einen Erfolg der Friedensdiplomatie oder doch zumindest eine ordentliche Notlösung.
Will Trump persönlich den Stecker ziehen?
Fast neun Monate nach Amtsantritt muss niemand Trump erklären, wie unabsehbar die Folgen seiner Entscheidung sind. Bisher jedenfalls hat der Präsident wenig Geschick darin bewiesen, den Kongress auf seine Linie einzuschwören. Tillerson umriss drei Optionen für die Volksvertreter. Sie könnten sich erstens entscheiden, „gar nichts zu tun“. Dann bliebe so lange alles beim Alten, bis Trump sich doch entschiede, dem Atomabkommen persönlich den Stecker zu ziehen.
Der Kongress könnte zweitens die wegen des Atomprogramms verhängten, aber nach Unterzeichnung des Pakts ausgesetzten Sanktionen wieder in Kraft setzen. Eine solche Verletzung setzte das Abkommen faktisch außer Kraft. Oder aber die Abgeordneten und Senatoren folgen der Forderung der Regierung und treffen eine Art Vorratsbeschluss: ein Gesetz, das sofortige Sanktionen etwa für die Fälle vorsieht, dass Iran sich wieder der Fähigkeit annähert, eine Atombombe zu bauen, oder dass es sein Raketenprogramm ausbaut.
Ein solcher Sanktionsautomatismus könnte am einfachsten als Zusatz zu dem „Gesetz zur Überprüfung des Atomabkommens mit Iran“ beschlossen werden, mit dem der Kongress den Präsidenten 2015 verpflichtet hatte, alle neunzig Tage zu bescheinigen, dass sich Iran an alle Auflagen hält und dass die Sanktionserleichterungen in einem „angemessenen Verhältnis“ zu den iranischen Gegenleistungen stehen. Tillerson bekräftigte am Donnerstag zwar, dass Washington den Iranern keine „technische“ Verletzung des Abkommens vorwerfe.
Trump aber wollte dem Kongress kein drittes Mal bescheinigen, dass der Pakt im amerikanischen Interesse liege, und entschied sich für das, was im Washingtoner Jargon „Iran-Dezertifizierung“ genannt wird. Der Präsident hofft nun, dass der Kongress bis zum nächsten Zertifizierungstermin im Januar 2018 ein Gesetz verabschiedet hat, das dem Abkommen nachträglich Zähne wachsen lässt, die Partner zum Jagen treibt und Iran neue Zugeständnisse abtrotzt. Doch eine feste Frist ist das nicht. Die Abgeordneten und Senatoren können sich so viel Zeit lassen, wie sie wollen. Und dass sie sich auf einen Rechtsakt einigen können, ist alles andere als sicher.
Die Lage ist unübersichtlich
Denn wie in den großen innenpolitischen Fragen von der Gesundheits- über die Einwanderungs- bis zur Steuerpolitik streiten sich auch in der Iran-Frage Hardliner und moderatere Kräfte innerhalb der republikanischen Fraktionen. Im Gegensatz zur Innenpolitik dürfte es allerdings keine feste Widerstandsfront bei den Demokraten geben, was die Lage noch unübersichtlicher macht. Denn auch unter den Linksliberalen herrscht große Sorge über Irans fortwährende Unterstützung etwa für die Hizbullah-Miliz oder die Houthi-Rebellen im Jemen sowie über die aggressive Feindseligkeit gegenüber Israel. Tillerson forderte eine Reihe „konkreter Auslösepunkte“ für neue Sanktionen, blieb selbst aber unbestimmt.
Hoffnung dürfte ihm die Ankündigung der republikanischen Senatoren Bob Corker und Tom Cotton machen, gemeinsam einen Gesetzentwurf vorzulegen. Corker trat als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses 2015 zwar energisch gegen das Atomabkommen ein, betrachtet eine überhastete Kündigung aber skeptisch. Er hat sich zu einem der lautstärksten Kritiker Trumps entwickelt. Im Fernsehen warf er dem Oberbefehlshaber am Sonntag vor, die Vereinigten Staaten wie eine „Reality-TV-Show“ zu führen und damit womöglich einen „dritten Weltkrieg“ anzuzetteln. Cotton dagegen ist ein aufstrebender Trump-Loyalist, der sich seit Jahren als härtester aller Gegner des Atomabkommens profiliert. Beide schlagen nun vor, dass Amerika automatisch Iran-Sanktionen in Kraft setzt, wenn das Land nach Auffassung der Geheimdienste nur noch ein Jahr brauchte, um eine Atombombe zu bauen. Auch Raketentests sollen automatisch zu Strafen führen.
Der demokratische Außenpolitiker Eliot Engel gab sich skeptisch. „Der Kongress hat in der Außenpolitik eine Rolle zu spielen“, sagte der Abgeordnete, „aber wir können kein Gesetz erlassen, das einseitig ein internationales Abkommen verändert.“ Tillerson bestreitet einerseits, dass das die Absicht sei: Das angestrebte Gesetz werde mit dem Atomabkommen gewissermaßen friedlich koexistieren. Andererseits soll es die Schwächen des Pakts ausgleichen. Nach Ansicht der Trump-Regierung sind das vor allem zwei Defizite: Das Atomabkommen sei erstens zu eng gefasst und habe Iran aus der Sanktionszange befreit, ohne dass Teheran seine „destabilisierenden Aktivitäten in der Region“ oder seine Terrorunterstützung aufgegeben hätte. Zweitens stört sich Washington daran, dass Iran die meisten nuklearen Aktivitäten nur für gewisse Zeiträume aussetzen muss; an der Schwelle zur Atommacht könne das Land deshalb schon in wenigen Jahren wieder stehen.
Tillerson setzt darauf, dass der Kongress den Europäern und anderen Mächten die amerikanische Entschlossenheit so deutlich vor Augen führen werde, dass sie ähnliche Vorratsbeschlüsse fassen und Iran so zu neuen Zugeständnissen bewegen. Doch die Iraner haben klargemacht, dass die im Atomabkommen festgelegten Fristen nicht verhandelbar seien. Er wolle nicht so tun, als wären solche Nachverhandlungen ein Selbstläufer, sagte Tillerson. „Vielleicht schaffen wir es nicht, den Deal zu reparieren“, fügte er hinzu. „Vielleicht werden wir uns doch ganz von dem Deal verabschieden müssen.“
Trump enttäuscht die Erwartungen der Hardliner
Doch wenigstens wolle Amerika einen Anfang machen und versuchen, schon heute mit den Partnern für die Zeit zu planen, wenn Iran nach dem Abkommen wieder in großem Stil Uran anreichern darf. Der Senator Cotton vergisst in diesem Zusammenhang nie, auch die europäischen Verbündeten auf Amerikas Druckmittel hinzuweisen. Vor allem kann Washington Banken von der Wall Street abschneiden, die mit Iran Geschäfte machen. Schon die vage Drohung mit solchen „Sekundärsanktionen“ bremst das europäische Iran-Geschäft.
Gemessen an seinem Wahlkampfversprechen, er werde das Iran-Abkommen „zerfetzen“, hat sich Trump von Tillerson und anderen Beratern auf einen moderaten Weg mit ungewissem Ziel lenken lassen. In umso drastischeren Worten versprechen der Präsident und seine Berater, dass es nun den iranischen Revolutionsgarden an den Kragen gehen werde. Die Rede ist von harschen Sanktionen gegen Firmen, die zum Imperium der Revolutionsgrade gehören. Tillerson will Europäer und andere Partner an Bord holen, um ein möglichst effektives Sanktionsregime zu zimmern.
Doch auch an dieser Stelle enttäuschte Trump die Erwartungen der Hardliner: bis auf weiteres werden die Vereinigten Staaten die Revolutionsgraden nicht als Terrorgruppe listen. Da es sich faktisch um eine „ganze Armee“ handle, erklärte Tillerson leicht verdruckst, würde ein solcher Schritt zu Komplikationen führen, „sollten wir je auf dem Schlachtfeld aneinandergeraten“. Dass Amerikas Streitkräfte und Irans Revolutionsgarden faktisch Verbündete im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ sind, führte Tillerson lieber nicht aus.
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