Trumps bizarre Klima-Rechnung
• Die US-Umweltbehörde EPA lässt gezielt die erwarteten Schäden durch Kohlendioxid kleinrechnen, die sogenannten “Social Cost of Carbon” (SCC).
• Ziel der Rechentricks ist es, Klimaschutz als unwirtschaftlich darzustellen. Das soll den Weg ebnen, den “Clean Power Plan” Barack Obamas zunichte zu machen.
• Gerichte könnten die Argumentation der Regierung möglicherweise noch anfechten.
Von Christopher Schrader
Ein Dollar ist die kleinste Geldnote der USA. Für den grünen Schein bekommt man im amerikanischen Alltag mit Glück einen Kaffee, einen Schokoriegel oder eine Tageszeitung, aber nicht viel mehr. Ein Dollar ist auch der Preis, den es in Donald Trumps Amerika kosten soll, eine Tonne Kohlendioxid in die Luft zu blasen – ein echtes Schnäppchen. Dies schlägt die mächtige Umweltbehörde EPA unter ihrem neuen Chef Scott Pruitt vor. Der Dumpingpreis soll die vom früheren Präsidenten Barack Obama angestoßene Reform der Energiewirtschaft zunichtemachen.
Das Manöver wirkt zunächst widersprüchlich. Wieso soll CO₂-Ausstoß überhaupt beziffert werden? Der US-Präsident und seine Adlaten stehen bekanntlich im Ruf, die Nachteile von Treibhausgasen nicht sonderlich ernst zu nehmen. Eine verpflichtende Gebühr für Emissionen gibt es in den USA nicht, anders als in Europa.
Was kostet es die Volkswirtschaft, und was bringt es ihr, Autos und Kraftwerke sparsam zu machen?
Tatsächlich müssen auch in Trumps Amerika die zu erwartenden Schäden durch den Kohlendioxid-Ausstoß als ökonomische Kenngröße beziffert werden. Der Grund ist unter anderem ein Urteil des Supreme Court aus dem Jahr 2007, in dem festgestellt wurde, dass Treibhausgase ein Gesundheitsrisiko sind. Einen Preis festzulegen, ist somit kein Einfall der Republikaner. Seit der ersten Amtszeit des demokratischen Präsidenten Barack Obama gibt es für die amerikanischen Behörden eine verbindliche Rechengröße, die “Social Cost of Carbon” (soziale Kosten von Kohlenstoff) heißt, kurz SCC. Sie beziffert, welche Folgen der Ausstoß einer Tonne CO₂ hat: für Natur und Infrastruktur, Felder und Wälder, Gesundheit und Luftqualität. Der Preis fließt in Kosten-Nutzen-Rechnungen ein, mit denen amerikanische Behörden Vorschläge für neue Verordnungen und Gesetzesvorschläge bewerten müssen. Was kostet es die Volkswirtschaft, was bringt es ihr, wenn zum Beispiel Autos sparsamer sind oder Kohlekraftwerke auf ihre Emissionen achten?
Der Wirtschaftswissenschaftler Michael Greenstone von der University of Chicago nennt die SCC den “Dreh- und Angelpunkt der nationalen Klimapolitik”, ja sogar “die wichtigste Zahl, von der man noch nie gehört hat”. Knapp 80 Gesetze nehmen darauf Bezug, die nicht nur Kraftwerke, sondern Konsumgüter wie Autos, Kühlschränke und Waschmaschinen regeln. Insgesamt geht es um eine Billion Dollar, rechnet ein weiterer Ökonom vor. Unter Obama lag die Schadensumme jeder Tonne Treibhausgas, die zum Beispiel 2030 ausgestoßen wird, zuletzt bei rund 50 Dollar. Derlei Notierungen kassierte Trump in einer seiner ersten Amtshandlungen. Indem seine Regierung die zu erwartenden Schäden aus jeder Tonne CO₂ nun irgendwo zwischen einem und rund sieben Dollar festsetzt, ändert sich die Mathematik und die Argumentationslogik der Energie- und Klimapolitik. Mit Obamas Rechnung war CO₂-Einsparung ein Gewinn für die Nation, unter Trump wird sie als Verlustgeschäft dargestellt.
Scott Pruitt und seine Umweltbehörde nutzen die flachgeklopfte Rechengröße als Brechstange, um eine entscheidende Reform aus Obamas Zeiten auszuhebeln, den Clean Power Plan. Der sollte die Energiewirtschaft umkrempeln und den üppigen Treibhausgas-Ausstoß der Kraftwerke drosseln. Amerika wollte damit beginnen, seine Pflichten aus dem Pariser Klimaabkommen zu erfüllen. Außerdem, so die Hochrechnung, sollte die Reform einen Gewinn von 25 bis 45 Milliarden Dollar im Jahr 2030 einbringen. Doch Trump will den Vertrag von Paris kündigen. Für seine Argumentation wäre es hilfreich, würde aus dem genannten 25-Milliarden-Gewinn ein 15-Milliarden-Verlust.
Damit die SCC den Zielen der neuen Regierung dient, hat Pruitts Behörde hart zugefasst. Mehrere Tricks haben seine Spezialisten angewandt. Erstens rechnen sie nicht mehr global, sondern berücksichtigen nur Schäden, die amerikanische Emissionen in den USA anrichten. Was die Treibhausgase in Afrika bewirken, bleibt außen vor. Allein diese Beschränkung drückt den SCC auf ein Viertel bis ein Zehntel seines vorherigen Werts. Ein zweiter Trick besteht in einer Veränderung des sogenannten Diskontsatzes: Mit dieser Kennzahl werden in Zukunft zu erwartende Kosten auf die heutige Kaufkraft umgerechnet. Ein hoher Satz lässt mögliche Verpflichtungen kommender Jahrzehnte klein erscheinen.
EPA-Chef Pruitt orientiert sich dabei unverdrossen an einer Vorgabe des vom Weißen Haus kontrollierten Budget-Büros, beim Diskontsatz sieben Prozent anzusetzen. Ein Wert, der unter unabhängigen Ökonomen als absurd gilt. Doch Pruitt dient er, um auf den Kampfpreis von einem Dollar pro ausgestoßener Tonne CO₂ zu kommen. Mit einem Diskontsatz von drei Prozent ergeben sich sieben Dollar pro Tonne im Jahr 2030.
Auf dieser Seite des Atlantiks liegen die Preisannahmen für Schäden durch Kohlendioxid-Ausstoß viel höher. So setzt das Umweltbundesamt in seiner fünf Jahre alten sogenannten Methodenkonvention einen Satz von etwa 145 Euro (mit Kaufkraft von 2010) für das Jahr 2030 an – umgerechnet ungefähr 190 Dollar. Zudem wird dieses Zahlenwerk gerade überarbeitet, in der nächsten Fassung dürften wohl deutlich mehr als 150 Euro veranschlagt werden.
“Alles getan, damit die Zahlen stimmen”
Der Weltklimarat IPCC und die Weltbank ermitteln den Kohlendioxid-Preis anders. Sie vermeiden die aufgeladene Diskussion über Diskontsätze. Großen Einfluss darauf hatte der Ökonom Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, der beim jüngsten Bericht des IPCC Co-Vorsitzender der zuständigen Arbeitsgruppe III war. “Wir legen zugrunde, wie viel CO₂ die Menschheit noch ausstoßen darf, wenn sie die Zwei-Grad-Grenze einhalten will. Und daraus berechnen wir einen Preis”, sagt er. Mit dieser Methode kam auch eine Kommission der Weltbank jüngst auf einen Wert von 50 bis 100 Dollar jeder Tonne des Treibhausgases, die im Jahr 2030 ausgestoßen wird. Dieser Preis wird allerdings auch im europäischen Emissionshandel (ETS) zurzeit nicht annähernd erreicht. Er liegt eher auf Trump-Niveau bei knapp acht Euro (gut neun Dollar) für Emissionszertifikate.
Dank einiger Kniffe wirkt der Klimawandel plötzlich wie ein ökonomischer Gewinn
Basis für die Berechnung der amerikanischen Kenngröße SCC sind Computermodelle, die das Klima- und Wirtschaftsgeschehen verknüpfen. Die komplexen Simulationen setzen grundsätzlich voraus, dass der Klimawandel der wirtschaftlichen Entwicklung schadet und beispielsweise Grundstücke an der Küste durch Fluten verloren gehen. Dass der Klimawandel Schäden steigert, widerspricht indes der Ideologie von Klimaleugnern wie Pruitt diametral. Umso erstaunlicher, dass der EPA-Vorschlag sogar besagt: “Es wird erwartet, dass Emissionen in der Zukunft größere zusätzliche Schäden verursachen, weil physikalische und ökonomische Systeme infolge des fortschreitenden Klimawandels immer mehr gestresst werden.” Besser könnten es Klimaforscher kaum ausdrücken. Doch dank der genannten Tricks wirkt der Klimawandel am Ende wie ein ökonomischer Gewinn.
Diese Kombination aus Akzeptanz der Wissenschaft und Todesstoß für die Schadenberechnung löst teils massive Kritik aus. Die Regierung habe die politische Entscheidung getroffen, “den Clean Power Plan zu widerrufen. Und dann haben sie alles getan, damit die Zahlen stimmen”, sagte der Ökonom Michael Greenstone in der Washington Post.
Gleichzeitig zeigt es, welche Schwierigkeiten die Umweltbehörde hat, fundierte Argumente gegen den Clean Power Plan zu finden. Pruitts Behörde versucht in einem fast 200 Seiten langen Papier vorzurechnen, dass die Gesetzgebung Obamas die amerikanische Volkswirtschaft mehr kostet, als die vermiedenen Schäden wert sind. Um diesen Beweis zu führen, reichen nicht einmal die genannten Buchhaltungstricks. Die EPA-Autoren haben zudem kurzerhand die Kosten für die Energiewirtschaft gegenüber früheren Behördenschätzungen verdoppelt. Dann rechnet die EPA die flachgeklopften SCC dagegen. Trotz dieser Eingriffe – Kosten rauf, Nutzen runter – bleibt der CO₂-Ausstoß ein Nachteil. Also muss weiter nachgeholfen werden.
Für die Prognose mussten Trumps Beamte vier Mal massiv gegen die Wissenschaft verstoßen
Die Rettung – aus Pruitts Sicht – bringt ein letzter Kunstgriff: Seine Spezialisten behaupten in ihrem Zahlenwerk, eine weitere Verbesserung der Luftqualität bringe dort, wo diese eingehalten werden, keinen Vorteil mehr bei Gesundheitskosten. Epidemiologen bestreiten das vehement. Doch erst damit ergeben sich die von der Trump-Regierung erwünschten Zahlen: Das Abschaffen des Clean Power Plan brächte den Amerikanern demnach ein Plus von zehn bis 14 Milliarden Dollar im Jahr 2030. Für diese Prognose musste Pruitts Team vier Mal massiv gegen die Erkenntnisse der Wissenschaft verstoßen.
Einen Effekt hat der Jurist Pruitt dabei aber womöglich nicht bedacht. “Weil die EPA in der Logik der Klimaökonomie bleibt und das Verfahren zur Berechnung der Social Cost of Carbon im Prinzip übernimmt”, sagt Ottmar Edenhofer, “setzt sie sich Gerichtsklagen aus, die das alles überprüfen können.” Und die amerikanischen Gerichte haben schon etliche der Vorhaben und Initiativen der Regierung Trump wieder gestoppt.
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