Solange Trump liefert, darf er ein Sünder sein
Die Evangelikalen gehören zu den wichtigsten Stützen von Donald Trump. Weil der US-Präsident ihre Ziele vorantreibt, sehen sie über seine persönlichen Fehltritte hinweg.
Ohne Männer wie Daniel Pritchett wäre Donald Trump nicht US-Präsident. Sie haben die Wahl für ihn entschieden. Jetzt wollen sie dafür sorgen, dass Trump möglichst lange im Amt bleibt. Pritchett ist Rentner in der Kleinstadt Staunton im Bundesstaat Virginia. “Ich danke Gott jeden Tag dafür, dass Donald Trump unser Präsident ist”, sagt er.
Das tut er tatsächlich. Für das Dankesgebet fährt er in seine örtliche evangelikale Kirche. Wer ihn in der First Baptist Church besucht, bekommt einen herzlichen Händedruck. Pritchett trägt ein Psalmbuch in seiner Brusttasche, auf der Stoßstange seines Cadillacs klebt ein “Trump-Pence”-Sticker.
Dem Klischee eines Trump-Wählers entspricht Pritchett überhaupt nicht. Er gehört nicht zu den vermeintlich abgehängten, wütenden Globalisierungsverlierern. Sein Leben ist gut. 33 Jahre leitete er einen Supermarkt in der Stadt, zu Hause schwimmen Tropenfische durchs Aquarium. In seiner Freizeit packt er Lunchpakete für Schulkinder und sammelt Spenden für das Krankenhaus oder Entwicklungsprojekte in Afrika und Südamerika. In wenigen Monaten feiern Pritchett und seine Frau Betty Goldene Hochzeit.
Trotzdem zählen Evangelikale wie Pritchett zu den wichtigsten Stützen des US-Präsidenten. Sie machen rund ein Viertel der US-Bevölkerung aus – und mehr als 80 Prozent von ihnen haben Trump gewählt. Bis heute halten sie zu ihm. Während die Zustimmungsrate des Präsidenten durchschnittlich rund um die 40 Prozent dümpelt, liegt sie bei Evangelikalen um 20 Prozentpunkte höher.
Das macht die Evangelikalen zum entscheidenden Baustein der Trump-Koalition im Volk. Ohne ihre Unterstützung würden seine historisch schlechten Umfragewerte noch weiter abstürzen. Trump wäre politisch erledigt. Deshalb umgarnt er die Evangelikalen bei jeder Gelegenheit. An diesem Donnerstag bietet sich die nächste Chance. Beim National Prayer Breakfast in Washington trifft sich die Elite aus Politik und Wirtschaft mit der christlichen Community. Auch Trump ist dabei.
Trump bringt die Evangelikalen wieder an die Macht
Es ist eine merkwürdige Verbindung, die sich da gebildet hat. Auf der einen Seite stehen rund 60 Millionen gläubige Christen, die ein frommes Leben führen und über Jahrzehnte den Anspruch erhoben haben, dass nur Männer von tadellosem Charakter als Präsidenten infrage kommen. Auf der anderen Seite steht Donald Trump, ein Mann mit fünf Kindern von drei Frauen, der ungerührt über seinen Ehebruch sprach und von mindestens 19 Frauen des sexuellen Übergriffs beschuldigt wird. Die “Wertewähler” unterstützen den “Pussygrabber”. Wie passt das zusammen?
“Trump hat den Evangelikalen versprochen, sie zurück ins Zentrum der politischen und kulturellen Macht zu bringen”, sagt Neil J. Young. Der Historiker forscht über die religiöse Rechte und ihre Verbindung zur US-Politik. Er beschreibt eine tief sitzende Enttäuschung in der christlichen Community.
Denn den Evangelikalen ist es in der Vergangenheit immer weniger gelungen, ihre politischen Ziele durchzusetzen. Sogar unter Präsident George W. Bush, der seinen Glauben vor sich hertrug, hätten sie kaum Fortschritte gemacht. Stattdessen sei Abtreibung immer noch legal und die Rechte von Homosexuellen würden weiter gestärkt. Trump wiederum versprach den Evangelikalen nicht nur, sich für ihre Ziele einzusetzen – er tat es auch, sagt Young.
Der Präsident berief einen erzkonservativen Richter an den Obersten Gerichtshof und hielt für Evangelikale damit die Hoffnung wach, dass Schwangerschaftsabbrüche in absehbarer Zeit wieder verboten werden könnten. Er besetzte sein Kabinett mit zahlreichen Ministern, die mit den Zielen der evangelikalen Bewegung sympathisieren, und er erkannte Jerusalem als Hauptstadt Israels an, ein Schritt, der den Evangelikalen besonders wichtig war.
Angesichts dieser Erfolge sehen viele gläubige Christen gern über die persönlichen Fehltritte des Präsidenten hinweg. “Solange er liefert, kann er sich fast alles erlauben”, so Young. Dem Ruf der Evangelikalen ist diese neue Flexibilität allerdings nicht einträglich. “Viele Amerikaner halten sie mittlerweile für Heuchler”, sagt der Historiker.
Trump ist “nicht der Pastor der USA”
Tatsächlich haben evangelikale Aktivisten in den vergangenen Jahren eine erstaunliche Wandlung durchgemacht. Als etwa Bill Clintons außereheliche Affäre öffentlich wurde, verdammten sie ihn mit nahezu biblischem Zorn. Was sollte, bitte schön, einen Präsidenten, der seine Frau belügt, davon abhalten, auch das Land hinters Licht zu führen, fragte damals der prominente Prediger Franklin Graham.
Heute ist Graham nachsichtiger. Trump sei “nicht der Pastor dieses Landes”, sagte der Prediger kürzlich. Zuvor hatte das Wall Street Journal öffentlich gemacht, dass Trump wenige Monate nach der Geburt seines jüngsten Sohns eine Affäre mit einer Pornodarstellerin hatte und ihr im Wahlkampf 130.000 Dollar Schweigegeld zahlte. Tony Perkins, Präsident der evangelikalen Lobbygruppe Family Research Councils, bemerkte dazu in Anlehnung an Trumps Leidenschaft für Golf: “Wir haben ihm einen Freischlag gewährt.”
Es sind jedoch nicht nur prominente Evangelikale, die es mit den moralischen Maßstäben nicht mehr so genau nehmen. Auch die Basis zieht mit. Noch 2011 stimmten nur rund 30 Prozent der befragten evangelikalen Christen in einer Umfrage der Aussage zu, ein Politiker könne seine Aufgaben auch dann gut erfüllen, wenn er im Privatleben unmoralisch gehandelt habe. Als Trump im Wahlkampf Fahrt aufnahm, stieg diese Zahl auf über 70 Prozent.
Auch Daniel Pritchett, der Rentner aus Staunton, lächelt nur, wenn er nach den privaten Eskapaden Trumps gefragt wird. “Wir sind alle Sünder”, sagt er. Dann zitiert er aus der Bibel, Römer 13,1: “Wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet.” Soll heißen: Trump ist Präsident, weil der Herr es so will. Fragen nach dem Charakter des Staatsoberhaupts verbieten sich also.
Predigen über die Wahrheit – und was ist mit Trump?
Einige Kilometer weiter, in Harrisonburg, füllen sich in der Crosslink Community Church langsam die Stuhlreihen. Über Nacht hat es geschneit, die Gläubigen kommen nur langsam im Funktionsbau am Rand der Stadt an. Trotzdem ist die Kirche voll, als Pastor Matthew mit seiner Predigt beginnt.
Eine knappe Stunde spricht er über Wahrheit und Wahrhaftigkeit, über richtig und falsch und die Notwendigkeit, “schwarz und weiß als schwarz und weiß zu benennen”. Die Gemeinde lauscht, in allen Reihen wird zustimmend genickt. Ist es das, was gläubige Trump-Anhänger am Präsidenten schätzen? Seine Direktheit? Seine schrankenlose Sprache? Und wie passt der Wahrheitsanspruch in der Predigt zu den vielen Widersprüchen des Präsidenten? Pastor Matthew will darüber nach dem Gottesdienst nicht reden.
Andere werden deutlicher. Einflussreiche Evangelikale sorgen sich um die bröselnde Wertebindung der Gläubigen – und gehen deshalb auf Distanz zu Trump. Die alte Garde des politischen Establishments der religiösen Rechten habe ein “ernstes moralisches Problem”, warnt Russell Moore, Chef des politischen Arms der einflussreichen Evangelikalengruppe Southern Baptist Convention.
Auch 2020 werden sie zu ihm halten
Auch ein ehemaliger evangelikaler Berater des Präsidenten hält mittlerweile Abstand. Nach Trumps umstrittenen Äußerungen zu den Ausschreitungen in Charlottesville im vergangenen Sommer brach Pastor Alphonso R. Bernard, Leiter einer Megachurch in Brooklyn, mit dem Präsidenten. Als Grund gab er einen “tiefgreifenden Wertkonflikt zwischen mir und der Regierung” an.
Solche Stimmen sind bislang die Ausnahme, die meisten Evangelikalen stehen zum Präsidenten. Zuletzt sanken allerdings auch in dieser Wählergruppe die Umfragewerte leicht. Sollte dieser Trend anhalten, könnte das ein Problem für Trump werden. Schließlich stellen Evangelikale in vielen Bundesstaaten eine beträchtliche Zahl an Wählern, vor allem im Süden und mittleren Westen der USA. Bleiben sie am Wahltag zu Hause, droht dem Präsidenten und den Republikanern bei den Zwischenwahlen im November ein Desaster.
Historiker Young glaubt indes nicht, dass Trump die Zuneigung der Evangelikalen auf Dauer verlieren würde. “Die Unterstützung für ihn mag derzeit ein wenig nachgeben, doch spätestens im Jahr 2020 befinden wir uns in einer anderen Situation”, sagt er. Dann gehe es schließlich nicht nur um Sitze im Kongress, sondern um die Präsidentschaft und die Besetzung des Obersten Gerichtshofs. “Dann werden die meisten nach Hause kommen.”
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