Junge Rebellen
Überlebende des Amoklaufs von Parkland kämpfen für strengere Waffengesetze. Medial sind sie sehr erfolgreich. Könnte hier eine Massenbewegung entstehen?
Die Marjory Stoneman Douglas High School in Parkland ist wieder geöffnet. Rund zwei Wochen nach dem Amoklauf vom Valentinstag, bei dem der Angreifer 17 Menschen tötete, sind die Überlebenden in ihre Klassenzimmer zurückgekehrt. Sie wurden von 17 als Engel verkleideten Aktivisten begrüßt, die an die Opfer erinnern wollten.
Die Bekundung war nicht unüblich. Dass sie über die Stadtgrenze hinaus wahrgenommen wird, hingegen schon. Lange schien es, als hätten sich die USA mit dem Phänomen der Amokläufe an Schulen abgefunden. Doch dieses Mal verschwindet die Aufmerksamkeit für das Thema nicht. Große Einzelhändler wollen den Verkauf von Waffen von sich aus beschränken, und sogar US-Präsident Donald Trump zeigt sich neuerdings offen für politisches Handeln.
Das hängt vor allem mit den Überlebenden des Parkland-Massakers zusammen: junge Menschen, die aus ihrer eigenen Betroffenheit heraus politischen Wandel fordern – emotional und glaubwürdig. Ihr Aktivismus hält das Thema in den Medien und inspiriert weitere Jugendliche, sich einzubringen. Seit einigen Tagen hat Wortführerin Emma Gonzalez gar mehr Twitter-Follower als die Waffenlobby NRA. Entsteht da gerade eine neue Massenbewegung, die den lockeren US-Waffengesetzen gefährlich werden kann?
Die Landbevölkerung hat großen Einfluss
Ganz so einfach ist es nicht. Zwar spricht sich in Umfragen mittlerweile eine Mehrheit der US-Bevölkerung für striktere Waffengesetze aus, doch in weiten Teilen des Landes sind Pistolen und Gewehre aus dem Alltag dennoch nicht wegzudenken. In ländlichen Regionen, wo die nächste Polizeistation meilenweit entfernt ist, gibt die Schusswaffe vielen Bewohnern das Gefühl von Sicherheit. Jagen ist als Hobby tief in der Kultur verankert. Forderungen nach strengeren Waffengesetzen werden da äußerst skeptisch aufgefasst.
Eine Umfrage des Instituts Quinnipeac kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass nur gut ein Drittel der Stadtbewohner die Arbeit der Waffenlobby NRA positiv bewertet. Auf dem Land sind es dagegen mehr als die Hälfte. Auch die Unterstützung für ein Verbot des Sturmgewehrs AR-15 ist in ländlichen Regionen deutlich verhaltener als in urbanen Zentren.
Für die Befürworter strengerer Waffengesetze ist das keine gute Nachricht. Denn das politische System der USA räumt der Landbevölkerung großen Einfluss ein. Dünn besiedelte Bundesstaaten wie Wyoming oder North Dakota, wo Waffenrechte eine große Rolle spielen, verfügen im Senat über genauso viele Stimmen wie bevölkerungsreiche Staaten wie Kalifornien oder New York, in denen der Zugang zu Schusswaffen deutlich stärker kontrolliert wird. Die Befürworter laxer Waffengesetze haben also schon strukturell einen Vorteil.
Hinzu kommt, dass sich die beiden Seiten in der Debatte inhaltlich kaum auf etwas einigen können. Konservative Vordenker erklären dies vor allem mit kulturellen Unterschieden. Es gebe in der Waffenfrage zwei fundamental unterschiedliche Ausgangspunkte, schreibt Kommentator David French im National Review: “Konservative glauben, dass das Recht auf Waffenbesitz zur Selbstverteidigung genauso wichtig ist wie die Meinungs- oder Religionsfreiheit.” Progressive wiederum würden den zweiten Zusatzartikel zur amerikanischen Verfassung, der es der Regierung untersagt, das Recht auf den Besitz und das Tragen von Waffen zu beschränken, als “Peinlichkeit” ansehen. Als eine obskure Verirrung, die so weit wie möglich eingehegt werden müsse.
Diese unterschiedliche Sichtweise auf Waffen macht die Diskussion so schwierig. Zwar fordern Stadt- und Landbevölkerung mit großer Mehrheit eine bessere Überprüfung von Waffenkäufen, damit Gewehre und Pistolen nicht von Kriminellen oder psychisch Kranken erworben werden – doch da enden die Gemeinsamkeiten schon fast.
Waffenbefürworter sehen den Aktivismus als Provokation
Weitergehende Forderungen kämen auf dem Land als Bevormundungsversuch der vermeintlich progressiven Stadtbevölkerung an, schreiben konservative Medien. “Sie mögen vielleicht glauben, sie hätten die Moral auf Ihrer Seite”, schreibt der Kommentator John Podhorez in der New York Post an Waffengegner gerichtet, “aber Sie können einen Waffenbesitzer nicht davon überzeugen, er sei der Parkland-Schütze. Denn er ist es nicht. Und seien wir ehrlich: Tief in Ihrem Herzen glauben Sie, er wäre es doch.”
Der Aktivismus der Parkland-Überlebenden wird in diesem Klima von Teilen der Waffenbefürworter als Provokation gesehen. Am äußersten rechten Rand des Internets machen bereits Verschwörungstheorien die Runde, bei den Jugendlichen handle es sich nicht um Opfer, sondern um bezahlte Schauspielerinnen und Schauspieler.
So weit gehen moderate konservative Medien selbstverständlich nicht, doch auch in seriösen Publikationen gibt es die Bestrebung, den Schülern die Berechtigung abzusprechen, am Diskurs über die Waffenfrage teilzunehmen. “Eine kurze Umfrage unter jenen Unterstützern, die Kinder haben: Wie viele von Ihnen erwarten von Ihren Teenagern politische Weisheit? Also von Ihrer Snapchat-besessenen Tochter oder von Ihrem Sohn, der am liebsten den ganzen Tag Chips essen und Grand Theft Auto spielen würde, wenn Sie ihn ließen?”, kommentiert etwa das Wall Street Journal.
Auch junge Amerikaner sind Waffenfans
Solche Überspitzungen sind nicht nur der Versuch einer in die Defensive geratenen Bewegung, den unaufhaltsamen Wandel zu verhindern. Denn auch wenn die öffentliche Meinung derzeit strengere Waffengesetze zu befürworten scheint: Ob sich daraus tatsächlich eine neue Massenbewegung entwickelt, ist noch völlig offen.
Zumal die gesellschaftliche Spaltung beim Thema Waffen womöglich auch in Zukunft nicht verschwinden wird. Aktuelle Umfragen kommen zu dem Ergebnis, dass sich US-Amerikaner unter 30 in dieser Frage kaum von ihren Eltern oder Großeltern unterscheiden: Die Mehrheit fordert zwar schärfere Waffengesetze, eine beachtliche Minderheit lehnt sie jedoch klar ab. “Was wir derzeit nach dem Parkland-Massaker hören, ist womöglich nicht repräsentativ für eine ganze Generation”, sagt Kim Parker vom Meinungsforschungsinstitut Pew.
Das ist ungewöhnlich. Normalerweise stehen junge Amerikaner in gesellschaftlichen Fragen deutlich weiter links als ihre Eltern – etwa wenn es um die Gleichstellung Homosexueller oder die Legalisierung von Marihuana geht. Dass dieser Trend ausgerechnet in der Waffenfrage bricht, zeigt, dass die Einstellung bei dem Thema keine Frage der Generation ist.
Die Parkland-Aktivisten geben trotz dieser Widerstände nicht auf. Ihre nächste Bewährungsprobe steht bereits bevor: Am 24. März haben sie zur Großdemonstration nach Washington geladen. Fast 120.000 Menschen haben auf Facebook bereits ihr Kommen zugesagt.
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