Tough As the Bronx

7 July 2018

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Es begann im Tiefschnee von North Dakota. Kurz nach Donald Trumps Wahlsieg setzte sich Alexandria Ocasio-Cortez mit zwei Freunden ins Auto und fuhr von der Bronx, dem ärmsten Stadtteil New Yorks, 2700 Kilometer westwärts. Ziel des Roadtrips: das Sioux-Reservat Standing Rock.

Eine Woche lang hausten sie dort dann trotz Eiseskälte in Zelten, um gegen den hochumstrittenen Bau einer Pipeline durch das Stammesgebiet zu protestieren. “Es war ein Schlüsselerlebnis”, sagt Ocasio-Cortez.

Ein Schlüsselerlebnis, das sie in die Politik beförderte: Eineinhalb Jahre später ist die 28-Jährige, die selbst in New York kaum einer kannte, plötzlich der neue Star der US-Demokraten – und deren jüngste Hoffnungsträgerin im Kampf gegen Trump.

Ende Juni sicherte sich Ocasio-Cortez in ihrem Wahlkreis die Kongresskandidatur, indem sie den langjährigen Amtsinhaber Joe Crowley in den Primaries deklassierte. Sie gewann mit 15 Prozentpunkten, eine Sensation. Geht alles glatt, wird sie im November in den Kongress einziehen, als jüngste Abgeordnete der US-Geschichte.

Wähler, Talkmaster, Reporter: Plötzlich will sie jeder kurz mal sprechen, ihr die Hand schütteln, mit ihr für Selfies posieren. Allein die Zahl der schriftlichen Anfragen geht in die Tausende. “Ich tue mein Bestes, auf alle zu antworten”, beteuert sie.

Ocasio-Cortez’ Erfolg zeigt, wie sehr die US-Politik gerade überkocht. Trump kam in ihrem Wahlkampf zwar kaum vor, da ging es mehr um örtliche Probleme: Armut, Schulen, Mieten. Doch nicht durch Zufall repräsentiert sie das genaue Gegenteil der sehr weißen, sehr alten, sehr männlichen und sehr oft korrupten Garde, die Trump propagiert. Je weiter die ihre Macht festigt, desto stärker motiviert das Underdogs wie Ocasio-Cortez.

Sie ist zugleich ein Systemschock für den etablierten Parteiapparat der US-Opposition: Mit ihrer kompromisslos progressiven Agenda gibt die demokratische Sozialistin dem linken Flügel plötzlich wieder Auftrieb.

So wie in der Nacht, als sie Crowley schlug – einen Parteiveteranen, der seit 1999 im Kongress sitzt und als Favorit für die Nachfolge von Fraktionsführerin Nancy Pelosi galt. Auf dem Weg zur Wahlparty in einem Billiardsaal in der Bronx war Ocasio-Cortez so nervös, dass sie nicht wagte, auf ihr Handy zu gucken. Als drinnen ihr Sieg verkündet wurde, riss sie schockiert die Augen auf.

Ob sie Worte finde, fragte eine Reporterin sie. “Nein!”, rief Ocasio-Cortez. Seither hetzt sie von einem Interview zum nächsten, wird auf der Straße erkannt und sieht sich in der “New York Times” zitiert – eine Zeitung, die sie sich früher nicht leisten konnte.

Trotz allen Hypes trifft man sie immer noch regelmäßig in ihrer Stamm-Bodega, einen jener Mini-Supermärkte, die die Bronx prägen: “Es gibt nichts Besseres, als sich einen Eiskaffee zu holen und mit den Jungs am Tresen zu quatschen.”

Die Bronx, lange der gefährlichste Stadtteil New Yorks, bestimmt ihr Leben – und ihre Politik. Neulich stand Ocasio-Cortez vor ihrem Haus, in dem sie seit ihrer Kindheit wohnt, als ein Müllmann vorbeifuhr und sie aus dem Fenster heraus beglückwünschte.

Ihr Wahlkampf war eine Grassroots-Bewegung fürs digitale Zeitalter. Ocasio-Cortez, die an der Boston University Politik studierte, stellte sich an U-Bahn-Eingänge und lud die Nachbarn zum Kaffeeklatsch. Ihre Helfer klopften an mehr als 120.000 Türen, oft in ihrer Begleitung. Hinzu kamen Hunderttausende SMS und eine clevere Social-Media-Kampagne.

Ihre Agenda könnte Trump kaum mehr widersprechen:

kostenlose Colleges

staatliche Krankenversicherung

Abschaffung der Grenzpolizei ICE

“In einer moralischen, wohlhabenden Gesellschaft”, sagt sie, “darf kein Amerikaner zu arm sein, um leben zu können.” Das zieht in ihrem Wahlkreis, der mehrheitlich aus Latinos und Schwarzen besteht. Auch ist sie eine der wenigen Kandidaten mit einem seriösen Klimaschutzplan.

Ihr Twitter-Account (639.000 Followers, Tendenz steigend) ist zum Sparring-Ring geworden, in dem sie sich nicht nur gegen rechte Hetze wehren muss. Sondern auch gegen die Zweifel der eigenen Parteiführung, deren Machtgefüge ins Wanken gerät – auf kommunaler wie nationaler Ebene.

Brechen neue Zeiten in New York an?

New York wurde lange von Parteibonzen regiert und in Washington vertreten. Crowleys Sturz markiert das Ende einer Ära. Bürgermeister Bill de Blasio, der Crowley unterstützt hatte, ist plötzlich denn auch voll des Lobes über Ocasio-Cortez. Ein wenig so, als wolle er sich selbst schützen.

Denn die linke Basis begehrt landesweit auf, im Zuge der Kongresswahlen im November muss Fraktionschefin Pelosi eine parteiinterne Revolte fürchten. Mit 78 Jahren gehört sie zur alten Politikergeneration, weigert sich aber, die Macht abzugeben.

Zunächst einmal genießt Ocasio-Cortez ihren Ruhm. Vorige Woche war sie in der “Late Show” eingeladen. Sie winkte ins Publikum wie ein aufgeregter Teenager. Was sie Trump zu sagen habe, fragte Talkmaster Stephen Colbert. Da grinste sie nur breit: “Ich glaube nicht, dass der mit einem Girl aus der Bronx fertig wird.”

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