Gefährlicher als Watergate
Die Krise der Demokratie in Amerika ist heute gefährlicher als zu Zeiten der Watergate-Affäre. Nixon trickste im Dunkeln – Trump aber untergräbt die Legitimität der Verfassung bei Tageslicht.
Das war nicht irgendeine Woche in Washington. Selbst gemessen an den neuen Maßstäben der Ära Donald Trump. Der amerikanische Präsident hat binnen weniger Tage seinem verurteilten früheren Wahlkampfleiter Charakterstärke attestiert. Er hat seinem ehemaligen Anwalt vorgeworfen, Geschichten zu erfinden, um sein Strafmaß zu mildern. Er hat gefordert, der Justiz den ermittlungstaktischen Instrumentenkasten zu verkleinern.
Er hat das Urteilsvermögen seines Justizministers in Frage gestellt, weil dieser sich schon wegen des Anscheins von Befangenheit aus der Untersuchung der Russland-Affäre zurückgezogen hat. Er hat diesem zudem aufgetragen, doch einmal gegen die andere Seite, gegen die Demokraten, zu ermitteln, wenn er so sehr hervorhebe, sein Ressort vor ungebührlichen politischen Erwägungen zu schützen. Und er hat gesagt, er selbst spreche von der Justiz nur noch in Anführungszeichen.
Conways Gegegenschlag
Nach einer solchen Woche diskutierten die „Talking Heads“ der Nachrichtensender auf beinahe rührende Weise über die Frage, ob Trump die Justiz behindere oder die Unabhängigkeit der dritten Gewalt in Frage stelle. Doch die Krone setzte dem Ganzen seine Beraterin Kellyanne Conway im Sender CNN auf. Immer wieder versuchte man ihr dort das Eingeständnis zu entlocken, dass Trump gelogen habe: nämlich in seiner Antwort auf die Frage, wann sein Anwalt Michael Cohen einer Pornodarstellerin Schweigegeld zahlte. Und immer wieder schaffte es Conway, einer Antwort auszuweichen.
Dann holte sie zum Gegenschlag aus: Die „Anti-Trump-Medien“ berichteten ausschließlich über angebliche Skandale, nie aber darüber, dass die wirtschaftliche Lage der Vereinigten Staaten so rosig sei wie lange nicht, klagte sie. Sodann: Sie sollten ruhig so weiter machen. Denn so sei es schließlich auch im Wahlkampf 2016 gewesen. In den Wochen vor dem Wahltag hätten die linksliberalen Mainstream-Medien immer wieder die Ton-Aufzeichnung jener berüchtigten Busfahrt Trumps verbreitet, bei der dieser sich damit brüstete, dass er Frauen einfach an die „Pussy“ fasse, um sie gefügig zu machen.
Und was sei das Ergebnis gewesen? So fragte Conway. Um selbst zu antworten: Die Amerikaner hätten Trump gewählt. Auch bei den Kongresswahlen im November werde die Strategie der Mainstream-Medien scheitern. Natürlich rief Conways Attacke Empörung hervor. Doch eines konnten diese Reaktionen nicht überdecken: den irritierten, ja geradezu verunsicherten Blick ihres Gegenübers. Darin konnte man lesen: Und wenn sie recht hat?
Die Gefahren übergriffiger Regierungsgewalten
Die amerikanischen Verfassungsväter haben an vieles gedacht, als sie ihre Republik gründeten. Auf geradezu geniale Weise setzten sie gleichsam darauf, Sand ins demokratische Getriebe zu streuen, auf dass nichts wie geschmiert liefe, sondern alles ein wenig stotternd. Man wusste um die Gefahren übergriffiger Regierungsgewalten. Also sollten diese sich in Schach halten, sich gegenseitig kontrollieren und das System so insgesamt ausbalancieren. Auch die Gefahr des Populismus war ihnen nicht fremd, weshalb der sogenannte Volkswille komplizierte Filtersysteme zu durchlaufen hat.
Was die Gründerväter aber wohl nicht für möglich gehalten haben, ist ein Präsident, der offen und geradezu kokett gegen die ungeschriebenen und geschriebenen Regeln verstößt und sich dabei wie ein Geisterfahrer darauf beruft, dass die anderen das System korrumpiert hätten. Die Krise der Demokratie in Amerika ist heute gefährlicher als zu Zeiten der Watergate-Affäre. Richard Nixon trickste im Dunkeln. Trump aber untergräbt die Legitimität der amerikanischen Verfassung bei Tageslicht unter dem Applaus seiner Wählerbasis – jenem „Volk“, auf das er sich beständig beruft. Und der Kongress? Und das Oberste Gericht? Funktionieren die „checks and balances“, Konkurrenz und Ausgleich der politischen Gewalten, weiterhin?
Die Demokraten sind noch dabei, die Lehren aus dem politischen Crash vor zwei Jahren zu ziehen. Eine Tugend aber beherzigen sie neuerdings: Sie haben ein wenig Demut gelernt und misstrauen konventionellen Vorhersagen darüber, wie sich die Dinge entwickeln werden. Selbst wenn sie im November in den Kongresswahlen siegen sollten (was keineswegs ausgemacht ist), wird es kaum ein Erdrutsch: Im Repräsentantenhaus ist es möglich, dass sie die Mehrheit zurückgewinnen. Im Senat ist es das eher nicht. Deshalb kommen Rufe nach einem Amtsenthebungsverfahren bisher nur aus den hinteren Reihen (sieht man von dem bald 94 Jahre alten früheren Präsidenten Jimmy Carter ab).
Noch bröckelt Unterstützung bei Republikanern nicht
Die Partei weiß, welches Problem ihr droht: Mit einer Mehrheit in der unteren Kammer würde der Druck steigen, ein solches Verfahren gegen Trump einzuleiten. Das wäre aber – stets vorausgesetzt, dass nicht noch weitere Bomben platzen – zum Scheitern verurteilt. Denn im Senat ist eine Mehrheit von 67 Stimmen nötig, um Trump tatsächlich abzusetzen. Noch bröckelt die Unterstützung Trumps bei den Republikanern nicht. Und ohne eine beträchtliche Zahl von Stimmen aus der Grand Old Party wäre das Impeachment-Verfahren für Trump zwar ein großes Ärgernis, aber keine ernste Gefahr.
Ob sich die Lage im Senat ändert, darüber entscheidet also weniger der Ausgang der Kongresswahlen als ein Mann, der sich seit mehr als einem Jahr aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat. Robert Mueller, der frühere FBI-Direktor und heutige Sonderermittler in der Russland-Affäre, hat in dieser Woche gleich mehrere Erfolge erzielt: einmal den Schuldspruch gegen Trumps früheren Wahlkampfleiter, sodann die Aussagen von Trumps früherem Anwalt Michael Cohen, der seinen Mandanten schwer belastet hat, und schließlich die Bereitschaft von zwei weiteren Personen, in dieser Sache im Gegenzug für Immunität die Karten auf den Tisch zu legen.
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