Mutmaßliche Paketbomben an Trump-Kritiker: Sein Amerika
Die mutmaßlichen Paketbomben, die fast alle an prominenten US-Demokraten adressiert waren, sind Resultat eines hasserfüllten Klimas. Geschürt wird es vom Mann an der Spitze: Donald Trump.
“Es war nur eine Frage der Zeit.” Das sagte der frühere US-Geheimdienstchef James Clapper in der Nacht zum Donnerstag im TV-Sender CNN. Er meinte die zum Glück rechtzeitig abgefangenen mutmaßlichen Paketbomben, die an mehrere prominente Demokraten adressiert waren, und die in einem Fall auch bei CNN einging.
Clapper sprach aus, was alle denken, die nicht hinterm Mond leben. Noch ist unklar, wer die verdächtigen Pakete verschickt hat und warum. Doch klar ist, in welchem politischen Umfeld das geschah. Das zeigt allein die Liste der Adressaten. Barack Obama. Bill und Hillary Clinton. Die schwarze Kongressabgeordnete Maxine Water. Der Finanzier George Soros. Ex-Justizminister Eric Holder. Ex-CIA-Chef John Brennan (die an ihn adressierte Post landete im New Yorker CNN-Büro). Was haben sie gemeinsam?
Wer Donald Trumps Twitter-Feed liest, kennt die Antwort: Sie sind seine prominentesten Zielscheiben.
Zufall?
Dies ist Trumps Amerika. Im Jahr der folgenschwersten Kongresswahlen seit Generationen versinkt das Land, das das Wort “vereinigt” im Namen trägt, in einem kalten Bürgerkrieg, zerrissen von Hass, Wut, Gewalt. Nicht nur von verbaler Gewalt gegen Minderheiten, Frauen, Schwache, Andersdenkende, Andersaussehende. Sondern zunehmend auch von tätlicher Gewalt.
Paketbomben sind sehr konkrete Gewalt, selbst wenn sie nicht hochgehen. Selbst wenn sie – wie manche Trump-Vasallen nun schnell behaupten – nur bizarre Fakes wären, “falsche Flaggen”, um Trump zu diskreditieren und die linke Basis zu motivieren.
Dies ist Trumps Amerika. Er begann seinen Präsidentschaftswahlkampf mit einer Hasstirade auf Latinos und Mexikaner. Ach, sagten sie da, der redet doch nur so.
Er stilisierte den Rest dieses Wahlkampfes zur Hetzkampagne gegen die Demokratin Hillary Clinton: “Lock her up!” Ach, sagten sie da, das ist doch nur Polit-Theater.
Als bei den gewalttätigen Aufmärschen rechtsextremer Horden in Charlottesville eine Gegendemonstrantin getötet wurde, weigerte er sich, die Neonazi-Gewalt zu verurteilen. Ach, sagten sie da, er kann sich einfach nur nicht so gut ausdrücken.
Er pflegt die Brutalosprache der Wrestling-Szene. “Dem möchte ich gerne in die Fresse hauen.” – “Vielleicht hätte man den mal aufmischen sollen.” – “Schlagt den zusammen, ja? Ich zahle euch den Anwalt.” Ach, sagen sie da, ist doch alles nur Spaß.
Dies ist Trumps Amerika, jeden Tag, bis heute. Sein Feindbild Nr. 1 bleiben die Medien, allen voran CNN. Er nennt sie “Staatsfeinde”, “Volksverräter”, “böse, böse Menschen”. Ach, sagen sie da, auch das ist doch nur clevere Rhetorik.
Es geht um das gewaltsame Denken
Doch es ist viel mehr als Rhetorik. Was Trump sagt, gilt bei seinen Fans als heiliges Wort. Seine Twitter-Botschaften sind ihre Bibel. Wenn er lügt, und er lügt jeden Tag, dann glauben sie ihm. Wenn er spottet, grölen sie. Wen er zum Feind erklärt, den hassen sie: “Lock her up!”
Es geht ja nicht nur um die gewaltsame Sprache. Es geht um das gewaltsame Denken, das sich ausbreitet wie geruchloses Gas, bis es die letzte Ecke Amerikas vergiftet hat – vom Rednerpult aus, vom Oval Office aus, von der Wiese vor dem Helikopter aus, wo er sich gerne vor den TV-Kameras produziert, die er nicht hasst, sondern liebt.
Gewalt ist völlig okay, sagt er, sofern sie sich gegen Demokraten, Kritiker oder die Medien richtet. Als er jetzt in Montana Wahlkampf machte, lobte er den Republikaner Greg Gianforte, der den Bundesstaat im Kongress vertritt und im vergangenen Jahr einem Reporter des “Guardian” die Brille von der Nase geschlagen hatte: “Jeder, der einen umhauen kann, ist ganz nach meinem Geschmack.”
Beim selben Auftritt drehte sich ein Trump-Anhänger zu CNN-Reporter Jim Acosta und fuhr sich mit der Handkante über die Kehle. Das war vergangene Woche.
Es war nur eine Frage der Zeit.
Und es ist natürlich längst nicht mehr nur Trump. Viele fühlen sich ermutigt, Dinge zu sagen und zu tun, die sie sonst vielleicht nur gedacht hätten. Eine Republikanerin in Arizona beschimpfte ihre Gegnerin als “Volksverräterin”, ganz à la Trump. Andere verschickten E-Mails, in denen sie den Demokraten vorwarfen, mit Kriminellen und Terroristen unter einer Decke zu stecken, ganz à la Trump.
Trump, der Autokrat in spe, hält die Massen, die ihn lieben, in dauerhafter Weißglut: Nur sie, ruft er ihnen zu, seien gut und alle anderen böse. Und wer böse sei, müsse eliminiert werden, politisch und – Augenzwinkern – physisch.
Politische Attentate kommen nicht aus dem Nichts. Ihnen geht oft ein Klima der Spaltung und des Hasses voran, das sich schrittweise verschärft, unbemerkbar erst und dann, wenn die Sinne abgestumpft sind, immer schamloser. Man muss nur im Geschichtsbuch Amerikas blättern. John F. Kennedy. Robert Kennedy. Martin Luther King. Schuld waren nie nur die Täter.
Am Abend trat Trump vor seine Fans in Wisconsin. Es war seine Chance, Abbitte zu leisten oder wenigstens die Temperatur zu senken. Er tat das Gegenteil. Wen machte er für die Postsendungen verantwortlich? Seine Gegner – und die Medien.
Die Adressaten der mutmaßlich tödlichen Pakete erwähnte er mit keinem Wort.
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