Echte Haltung statt Weichspüler
Die WM hat gezeigt, dass sich der Frauenfußball gehörig entwickelt hat. Und dass sich die Männer in manch wichtigen Punkten an den Fußballerinnen orientieren sollten.
9. Juli 2019, 09:57 Uhr
Kommentar von Anna Dreher, Lyon
Unter den Millionen Menschen, die sich für den Fußballsport interessieren, gibt es immer noch viele, die es nicht lassen können. Die ständig mitteilen müssen, dass das Niveau der Fußballerinnen nicht mit jenem der Fußballer mithalten könne – auch dann nicht, wenn, wie bei der WM, die besten Spielerinnen der Welt am Ball sind. Aber muss darüber wirklich noch diskutiert, muss das permanent miteinander verglichen werden? Die vergangenen vier Wochen zeigten ja nicht nur ein wieder mal gestiegenes athletisches und fußballerisches Level. Sie zeigten sogar, dass sich die Fußballer ihrerseits in relevanten Punkten an den Fußballerinnen orientieren könnten.
Eine Fußball-WM bietet eine der größtmöglichen Bühnen im Sport, mit weltweiter Aufmerksamkeit, die auch bei den Frauen zunimmt: Laut Fifa haben auf allen Medienkanälen mehr als eine Milliarde Menschen bei der WM eingeschaltet – eine Verdoppelung im Vergleich zu 2015. In Brasilien wurde das Turnier erstmals vom größten Sender im Free-TV gezeigt – schon schauten genauso viele zu wie bei der Copa América der Männer. Und die Brasilianerin Marta war eine derjenigen, die am eindrucksvollsten bewiesen, dass so eine Plattform für mehr genutzt werden kann als zur reinen Unterhaltung mit Pässen, Toren und Paraden.
Viele Fußballer umschiffen lieber die nichtsportlichen Themen
“Wollt mehr!”, rief sie nach dem Achtelfinal-Aus gegen Frankreich den Mädchen und Frauen in ihrer Heimat zu: “Das Überleben des Frauenfußballs hängt von euch ab!” Sie sagte dies ergriffen davon, was trotz aller Hürden inzwischen für den Frauenfußball erreicht wurde – und im Bewusstsein dessen, wie viel noch fehlt. Als sich Marta mit ihrem 17. Tor zur WM-Rekordtorschützin kürte, sprach sie nicht groß darüber, wie bedeutsam dies für sie selbst sei: “Das war ein Tor für alle Frauen”, betonte sie, “es geht um die Rolle der Frau in allen Bereichen. Es geht nicht nur um Sport. Das ist ein Kampf für Gleichberechtigung auf allen Ebenen.”
Auch die US-Weltmeisterinnen prangerten immer wieder Defizite bei diesem Kernthema an und verklagten ihren eigenen Verband – ähnliches geschah auch in Argentinien. So wurde diese WM 2019 zu einer außergewöhnlich politischen.
Dass Fußballer sich kaum zu diesen Themen äußern, mag nachvollziehbar sein – sie müssen keine Kämpfe um finanzielle und gesellschaftliche Anerkennung führen. Aber viele umschiffen oder ignorieren ja am liebsten generell nicht-sportliche Themen. Die US-Topspielerinnen Megan Rapinoe und Ali Krieger hingegen positionierten sich auch deutlich gegen ihren Präsidenten Trump – eine Haltung, die keine Frage des Geschlechts ist. Viele WM-Spielerinnen ließen sich nicht von Verbänden oder Sponsoren weichspülen, sich den Mund verbieten, sie versteckten sich nicht hinter der Phrase, als Sportler nicht politisieren zu wollen. Bei Themen wie Diskriminierung dürfen sich daran künftig alle gern ein Beispiel nehmen.
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