Campaigning from the Basement Studio

 

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Wahlkampf aus dem Kellerstudio

Joe Bidens Wahlkampf gegen Donald Trump läuft unter erschwerten Bedingungen. Im Moment bleiben ihm nur Wortmeldungen aus seinem Zuhause in Delaware. Dazu zählt ein Podcast, mit dem er Präsenz zeigen will.

Joe Biden muss dieser Tage um die Aufmerksamkeit der Amerikaner kämpfen. Vorbei die Zeiten, als der Tross der Wahlkämpfer auf Schritt und Tritt von Fernsehteams begleitet wurde, und als Biden nach der erfolgreichen Vorwahl in South Carolina Ende Februar bald zur nächsten Siegesfeier weiterreisen konnte. Die auf Zeit eingerichteten Kampagnenbüros, die von Tür zu Tür laufenden Helfer, die Massenveranstaltungen, das Schütteln hunderter Hände – alles von gestern. Jetzt sitzt Biden im Untergeschoss seines Hauses in Wilmington in Delaware und muss seine Wählerinnen und Wähler von dort aus erreichen. Ein Podcast soll helfen – das Medium, das schließlich auch sehr viele junge Menschen anzieht. „Here’s the Deal“ nennt Biden die Show – „So sieht es aus“.

Mitten in der Coronavirus-Krise muss der designierte Kandidat nun mit wenig Aufwand möglichst viele Menschen für sich interessieren. Das ist nicht ganz einfach, vor allem nicht, wenn es gegen einen dauerpräsenten, lauten Donald Trump geht. Wo ist Biden, hieß es schon seit Wochen in Medien und sozialen Netzwerken. Nicht nur Anhänger des unterlegenen Konkurrenten Bernie Sanders, auch viele Journalisten kritisierten Bidens mangelnde Präsenz. Der musste sich offenbar tatsächlich erst einmal zurechtfinden in der neuen Realität. Während Trump einfach weiter die Auftritte im Weißen Haus und seinen Twitter-Account als Wahlkampfplattform nutzte, suchte sein designierter Herausforderer nach neuen Formen.

Mitunter nutzt er dabei auch dieselben Mittel wie Trump. So spekulierte Biden am vergangenen Donnerstag über eine mögliche Verschiebung der Präsidentenwahl im November: Bei einer virtuellen Versammlung zum Spendensammeln sagte Biden, er glaube, Trump wolle den Wahltermin nach hinten verschieben, weil er denke, dass er nur so gewinnen könne. Diese Spekulation wies Trump jetzt zurück: „Ich habe nie auch nur daran gedacht, den Wahltermin zu verschieben“, sagte Trump am Montagabend bei einer Pressekonferenz im Rosengarten des Weißen Hauses.

Nun beginnt Bidens seinen neuen Podcast – und präsentiert gleichzeitig schon einmal eine Art Küchenkabinett, das Ideen für eine Regierung Biden diskutieren kann. Im Basement in Wilmington scherzt er mit seinen zugeschalteten Gästen, nimmt sich häufig aber auch zurück und lässt sie reden. Gelegentlich dürfen auch Zuhörer Fragen stellen. Und die Show gilt schon als eine Art inoffizielles Casting für ein zukünftiges Kabinett. Der Kandidat lädt sich dabei gern seine ehemaligen Konkurrenten um die Präsidentschaftskandidatur ein. Amy Klobuchar war schon da, die Senatorin aus Minnesota, und auch Jay Inslee, Gouverneur des Bundesstaates Washington. Mit beiden sprach Biden über die Coronavirus-Pandemie – Klobuchars Ehemann ist von dem Virus genesen – aber auch über Themen wie den Klimawandel und soziale Ungleichheit.

Programmatische Flexibilität

Der bekannte Pastor William Barber von der „Poor People’s Campaign“ wollte das Gespräch mit Biden nutzen, um ihn von einer allgemeinen gesetzlichen Krankenversicherung und anderen Sozialreformen zu überzeugen. Allgemeines Krankengeld, eine bessere soziale Absicherung, das alles müsse doch nun erst recht kommen, wo gerade arme Menschen so unter der Coronavirus-Katastrophe litten, sagte der Geistliche. Biden blieb allgemein wie so oft – es sei ein harter Moment in der Geschichte des Landes und viele Optionen müssten nun diskutiert werden.

Für einen Mangel an Programmatik wurde der ehemalige Vize von Barack Obama im Vorwahlkampf schon häufig kritisiert. In den Fernsehdebatten mit der Konkurrenz zog er sich tatsächlich gern auf staatsmännische Formeln zurück, beantwortete inhaltliche Fragen mit dem Verweis auf seine politischen Erfahrungen der Vergangenheit und ließ die politischen Ziele seiner Kandidatur oft im Ungefähren. Das machte es ihm aber wiederum einfacher, in einzelnen Punkten auf andere Bewerberinnen und Bewerber zuzugehen, als diese aus dem Rennen geschieden waren. So kündigte er an, bestimmten Einkommensgruppen Studienschulden erlassen zu wollen und zeigte sich offen für die Pläne der Senatorin Elizabeth Warren aus Massachusetts für Erleichterungen bei Privatinsolvenzen.

Ein wachsendes Problem

Ein paar zehntausend Menschen schalten bislang bei Biden ein, die erste Episode hatte um die 40.000 Downloads, während der Präsident mit seinen Fernsehauftritten Millionen erreicht. Das muss nicht schlecht sein, sorgt Trump doch stetig für negative Schlagzeilen. Einen wohltuenden Kontrast zu dessen Lügen und Beschimpfungen sah etwa ein Kommentator der „Washington Post“ in dem Podcast. Biden erzielt zudem in Umfragen gute Werte, zuletzt lag er in einer Erhebung der Suffolk Universität und der Zeitung „USA Today“ mit 44 Prozent sechs Punkte vor Trump.

Doch den Enthusiasmus, der die Kampagne von Konkurrent Bernie Sanders auszeichnete, wird Biden ohne direkten Kontakt zum Publikum vorerst nicht erzeugen können. Und nach wie vor nehmen die Amerikaner ihn nicht genügend wahr. In einer Erhebung des „Wall Street Journal“ und NBC News gaben kürzlich 42 Prozent der Befragten an, sie hätten keine Meinung zu Bidens Auftreten in der Coronavirus-Krise oder hätten noch keine Äußerungen von ihm zu dem Thema gehört.

Neben den erschwerten Bedingungen für seinen Wahlkampf hat Biden noch ein anderes, möglicherweise wachsendes Problem: Es gibt immer neue Berichte über Tara Reade, die dem ehemaligen Senator vorwirft, sie in den 1990er Jahren sexuell genötigt zu haben. In den vergangenen Tagen meldeten sich neue Zeuginnen, die angaben, dass Reade ihnen damals von einer Attacke ihres Chefs berichtet habe. Die Biden-Kampagne dementierte alle Vorwürfe der ehemaligen Mitarbeiterin und begegnet den Diskussionen darüber seitdem mit Schweigen.

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