Trumps Flucht ins Jahr 2016
Donald Trump will Präsident bleiben – aber er will nicht mehr als Präsident antreten, sondern wieder als Außenseiter. Daher der Ruf, die Beziehungen zu China abzubrechen.
Nähmen Donald Trumps Anhänger den amerikanischen Präsidenten beim Wort, so müssten sie sich von ihm betrogen fühlen. Denn nach eigenem Bekunden kennt Trump seit Jahren einen Trick, um den Vereinigten Staaten Jahr für Jahr eine halbe Billion Dollar einzubringen, wendet ihn aber nicht an: den völligen Abbruch der (wirtschaftlichen) Beziehungen zu China.
So versicherte Trump es am Donnerstag, als er in einem Interview mit dem Sender Fox Business gefragt wurde, wie er China für dessen angebliche Alleinschuld an der Corona-Pandemie zur Rechenschaft ziehen wolle: „Wir könnten viele Dinge tun“, so der Präsident. „Man würde 500 Milliarden Dollar sparen, wenn man die ganze Beziehung kappen würde.“ Und ging umstandslos zu einer weiteren Klage über die Europäer über, die Amerika in der Nato und „beim Handel“ um Summen in ähnlicher Größenordnung prellten.
Bei Fox Business musste Trump nicht die logische Rückfrage befürchten, warum er den für Amerika angeblich so lukrativen und leicht zu bewerkstelligenden Abbruch der Beziehungen zu China noch nicht vollzogen hat. Geschweige denn, dass er auf die tatsächlichen Folgen für die Weltwirtschaft angesprochen worden wäre, wenn inmitten der Pandemie die beiden größten Mächte ihre Beziehungen abbrächen. In der Trump-Blase wird es dem Präsidenten auch in dessen viertem Amtsjahr zugestanden, zu reden wie 2015 und 2016 als Außenseiter-Kandidat.
Lieber Opfer als Amtsinhaber
Zwar haben Gesprächs- und Verhandlungspartner des Präsidenten in den vergangenen Jahren immer wieder verblüfft zur Kenntnis genommen, dass er tatsächlich von der Milchmädchenrechnung überzeugt scheine, wonach Handelsbilanzdefizite in der globalisierten Wirtschaft in etwa dasselbe seien wie ausstehende Mietzahlungen im Immobiliengeschäft. Doch offenkundig weiß Trump es besser. Sonst hätte er ja nicht mit großem Aplomb im Januar einen „Deal“ mit Peking geschlossen, der unter dem Strich sehr viel mehr auf Kontinuität hinauslief denn auf eine radikal veränderte Balance zwischen den amerikanischen und den chinesischen Interessen.
Nun hat sich Trump von seinem Plan verabschiedet, mit diesem Erfolg im Wahlkampf zu punkten, und flüchtet sich in die Opferrolle. „Ich habe also einen großartigen Deal gemacht, aber jetzt fühlt sich das nicht mehr so an“, sagte Trump in dem Interview. „Die Tinte war kaum trocken, da kam die Pest zu uns.“ Nach einem Treffen mit Präsident Xi Jinping, über den Trump bis vor kurzem so viel Lob ausschüttete, stehe ihm nun nicht mehr der Sinn. Derweil Trumps zutiefst antichinesisch und verschwörungstheoretisch veranlagter Wirtschaftsberater Peter Navarro in einem Fox-News-Interview ohne Belege behauptete, dass das Virus höchstwahrscheinlich aus einem „Waffenlabor“ in China komme.
Nun, da sich Amerikas Wirtschaft wegen der Pandemie im freien Fall befindet und ernstzunehmende Ökonomen wie Epidemiologen dem Land düstere Szenarien für den Herbst und Winter ausmalen, will Trump nicht mehr an seiner Bilanz gemessen werden. Der Präsident mag zwar so wenig die Hauptschuld an den Corona-Verheerungen tragen, wie er sich den vorherigen Aufschwung nach vielen Jahren zäher Wirtschaftsentwicklung allein hätte zuschreiben dürfen. Doch er weiß, dass viele Wähler so fein nicht unterscheiden.
Deshalb setzt er alle Hoffnungen in eine Wiederholung seines Außenseiter-Wahlkampfs von 2015 und 2016. Schon jetzt lässt er auf Twitter und in Interviews keine Gelegenheit aus, die gegenwärtigen Leiden des Landes neben China und den Europäern auch Barack Obama und Hillary Clinton anzulasten. Da fehlen eigentlich nur noch die Mexikaner – aber bis zur Wahl im November ist ja noch ein halbes Jahr Zeit. Werden die Amerikaner auf der rechten Seite des politischen Grabens das plumpe Spiel durchschauen?
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