Americans Are Getting in Their Own Way

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Die Amerikaner stehen sich selbst im Weg

Bald könnten sich an zwei Tagen so viele Amerikaner mit Corona infizieren wie in Deutschland seit Beginn der Pandemie. Doch schon ein Mundschutz gilt manchen in Trumps Partei als unpatriotisch.

In Deutschland sind seit Januar knapp 200.000 Corona-Infektionen nachgewiesen worden. Die Kurve ist stark abgeflacht; jenseits weniger Hotspots grassiert hierzulande derzeit nicht das Virus, sondern die Erleichterung. In den Vereinigten Staaten dagegen befürchtet der oberste Epidemiologe Anthony Fauci, dass man schon bald jeden Tag 100 000 Neuinfektionen zählen werde – an zwei Tagen so viele, wie in Deutschland in rund fünf Monaten, obwohl die amerikanische Bevölkerung nur viermal größer ist als die deutsche.

Und Fauci könnte mit seiner vorsichtigen Warnung noch zu niedrig gegriffen haben. Denn schon am Dienstag wurden in Amerika 48 000 Neuinfektionen gemeldet. Erste Krankenhäuser erreichen bereits ihre Kapazitätsgrenzen. Es müsste von Florida bis Kalifornien, vom Mittleren Westen bis Texas und Arizona nun radikal durchgegriffen werden, um exponentielles Wachstum zu verhindern.

Doch das ist nicht zu erwarten, denn wieder stehen sich die Amerikaner in ihrer Unversöhnlichkeit selbst im Wege. Die wirksamsten Mittel im Kampf gegen die Krankheit – Masken, Abstandsregeln, Enthaltsamkeit beim Feiern – sind zu Utensilien eines Kulturkriegs mutiert. Mancherorts gelten Masken als Erkennungszeichen für „politisch korrekte“, im „Mainstream“ treibende Linke, gilt das Trinken in Bars als Ausweis patriotischer Unbeugsamkeit.

In Texas betteln die bevölkerungsreichsten Landkreise um Städte wie Houston, San Antonio und Austin den Gouverneur geradezu an, lokale Lockdowns verhängen zu dürfen – die Metropolregionen werden alle von Demokraten regiert, doch der Staat ist in Republikaner-Hand. In South Dakota wiederum freut sich die republikanische Gouverneurin darauf, am Freitag den Vorabend des Nationalfeiertags mit dem erklärten Maskenmuffel Donald Trump bei einem Feuerwerk am Mount Rushmore zu begehen, und sie hat angekündigt: „Wir werden kein ,social distancing‘ machen.“ Denn schließlich feierten die Amerikaner am Fourth of July ihre Freiheit – und dazu gehöre auch, dass man zu Hause bleiben könne, wenn man sich vor einem Virus fürchte. So werden die Unvorsichtigen zu Patrioten geadelt und die Vorsichtigen zu schlechten Amerikanern erklärt.

Trump macht lieber neue Fronten auf

Dass Präsident Trump in der Pandemie weder zum Vorbild noch zum Krisenmanager taugt, ist seit Monaten offenkundig. Ihm fällt zum Thema schon lange nichts Neues ein. Er beschränkt sich darauf, die höheren Fallzahlen allein auf die endlich stark ausgeweitete Testkapazitäten zurückzuführen und China die Alleinschuld zu geben. Seine Kundgebung in Tulsa im Staat Oklahoma hielt er vor zehn Tagen ab, obwohl die Infektionskurve in der Stadt bereits steil nach oben zeigte; bei mindestens acht Mitgliedern von Trumps Vorausteam wurde später das Coronavirus nachgewiesen. Ansonsten vertraut Trump auf seine Kunst, andere Feuer anzufachen oder neue Fronten aufzumachen, um das Thema wechseln.

So ignorant, dreist und lächerlich viele Äußerungen des Präsidenten zur Coronakrise auch sind, so sehr sollte man sich allerdings davor hüten, das Elend überwiegend ihm anzulasten. Der Vergleich mit Deutschland hinkt schon wegen der Größe des Landes: Die rund 330 Millionen Amerikaner verteilen sich auf die 28-fache Fläche der Bundesrepublik. Für viele der nun besonders betroffenen Gebiete war das Virus lange eine abstrakte Gefahr, die sich in Großstädten wie New York in größtmöglicher geographischer wie gefühlter Entfernung ausbreitete. Umso schwerer fiel es vielen Bürgern, die auch in ihren Staaten im April und Mai verhängten Einschränkungen zu akzeptieren, die viele Amerikaner in Existenznöte gebracht hat. Umso leichter fiel es denn auch gewissen Agitatoren, die Beschränkungen als Komplott einer lebensfernen Elite „von den Küsten“ abzutun.

Ohnehin obliegt die Verantwortung für Schutzmaßnahmen und Lockerungen überwiegend den Gouverneuren. Damit haben sich auch Demokraten schwergetan, und viele Republikaner haben vernünftig gehandelt. Trump macht es republikanischen Amtsinhabern wie dem Texaner Greg Abbott oder Regierungsfachleuten wie Fauci zwar noch schwerer, indem er Aufrufe zur Vorsicht gleich in den Ruch politischer Gegnerschaft stellt. Doch zu sagen hat er eigentlich wenig.

Es profitiert die Pandemie

Der republikanische Senator Lamar Alexander hat jetzt an Trumps Narzissmus appelliert, als er an dessen zahlreiche „Bewunderer“ erinnerte und sagte, bestimmt würden viele dem Präsidenten folgen, wenn auch er häufiger Mundschutz trüge. Überschätzen sollte man diesen Effekt aber auch nicht. Brauchen die Amerikaner wirklich Trump, um den Sinn von Masken zu verstehen? Das Vertrauen der Amerikaner in ihre Regierung liegt auf einem historischen Tiefstand. Der große Absturz fand aber lange vor Trumps Präsidentschaft statt; schon vor einem Vierteljahrhundert, zur Regierungszeit Bill Clintons, traten die allermeisten Amerikaner ihrer Regierung mit großem Misstrauen entgegen.

Genauso hat Trump auch das Stammesdenken nicht erfunden, dem sich so viele Amerikaner ergeben haben. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hatten sich die Amerikaner noch einmal zusammengerauft, hatten sich im Angesicht einer beispiellosen Bedrohung untergehakt und hinter ihrer Regierung versammelt. Knapp zwei Jahrzehnte später ist das nicht mehr denkbar. Die von vielen Politikern mutwillig befeuerte Polarisierung hat Amerikas Pioniergeist und Pragmatismus, ja den Patriotismus hinweggefegt. Es profitiert die Pandemie.

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