Chicago Needs Help, But Not from Trump

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Chicago braucht Hilfe, aber nicht von Donald Trump

Nach Portland will der Präsident Bundespolizisten auch nach Chicago schicken. Die Menschen, die dort unter Gewalt und Covid-19 am meisten leiden, wird das nicht schützen.

Tyrice Jones, Jimmy Blumingburg, Miguel Rios, Sincere Gaston, Mekhi James. Es sind nur einige Namen der Opfer, die in den vergangenen Tagen in Chicago an Schussverletzungen gestorben sind. Unter ihnen immer wieder Kinder. Die Kugeln trafen sie im Torso, am Kopf, während sie im Kindersitz auf der Rückbank eines Autos saßen oder auf der Straße spielten. Ihre Mütter und Väter, ihre Großeltern und ihre Nachbarn brauchen nicht Donald Trump und seine Bundespolizei. Sie brauchen nicht noch mehr Aggression, noch mehr Gewalt und noch mehr Waffen – auch wenn diese in den Händen von Polizisten lägen. Das macht die Lage auf den Straßen der Stadt alles andere als sicherer.

Die Ankündigung des US-Präsidenten, Bundespolizisten in die drittgrößte Stadt des Landes zu schicken, um “das Blutvergießen” zu beenden, wird die Menschen, die unter der Gewalt leiden, die täglich auf neue Beerdigungen gehen müssen, nicht schützen. Es wird auch diejenigen, die aus Autos heraus und an Straßenecken zur Waffe greifen, nicht davon abhalten, weiter zu schießen.

In Chicago zeigen sich gerade exemplarisch die großen Krisen Amerikas: die Corona-Krise, die soziale Ungleichheit und der strukturelle Rassismus. In der Stadt mit knapp drei Millionen Einwohnern sind allein in diesem Jahr nach Angaben der Polizei bislang 414 Menschen getötet worden. In New York, wo fast dreimal so viele Menschen leben, sind es bislang 202.

Die Waffengewalt in Chicago ist nicht neu, das Entsetzen über die tödlichen Sommermonate, es ist vertraut. Altbekannt. 2016 starben 778 Menschen in der Stadt, es war eines der brutalsten Jahre seit den Neunzigern. Die Opfer dieser Gewalt sind nicht die wohlhabenden Weißen, die in ihren teuren Eigentumswohnungen mit Blick auf den Lake Michigan wohnen. Die Opfer sind überproportional häufig Schwarze und Hispanics in den Armenvierteln der South Side und West Side.

Das Geld wird über Drogenhandel verdient

Sox 35th heißt eine Haltestelle der L, der Hoch- und U-Bahn. Dort liegt das Stadion der White Sox, einem der zwei örtlichen Baseballteams. Auf Höhe der 35. Straße, südlich des Zentrums der Stadt. Bis hierhin kann man, wenn man nicht lieber gleich das Auto nimmt, sicher und entspannt mit den Öffentlichen fahren. Sich ein Spiel anschauen und danach wieder Richtung Norden aufbrechen. Der nächste Stopp der U-Bahn ist die 47. Straße, danach kommt Garfield, allerspätestens dann sieht man in der Regel keine Weißen mehr in den Abteilen. Denn hier beginnen die Armut und das Sterben.

Kaum eine Stadt in den USA ist so offensichtlich segregiert wie Chicago. Weiße leben in weißen Vierteln, Schwarze in schwarzen, Hispanics wiederum unter sich. Die Armutsrate, Arbeitslosigkeit und schlechtere medizinische Versorgung ist dort, wo Schwarze und Hispanics wohnen, überproportional hoch. Die Schulen sind schlechter, die Chancen sowieso. Von einer Michelle-Obama-Biografie träumen hier viele. Leben wird sie so gut wie niemand.

Geld wird oft mit Drogen verdient, sich immer weiter in kleinere Gruppierungen aufspaltende Gangs dominieren die Straßen und kämpfen um die Macht über jede Straßenecke. Doch die, die das Geld machen, stehen nicht dort und verkaufen ihre Ware. Es sind fast noch Kinder, die diese Laufburschenarbeit verrichten. Die Waffe, mit der sie nicht umgehen können, in die Jeans gestopft. Die bei jedem Konflikt gezogen wird. Schon in den Achtzigern gab es diese Ganggewalt, damals konzentriert auf das soziale Wohnungsbauprojekt Cabrini-Green, in der Nähe des Zentrums. Dort stehen heute Luxusapartments, die Probleme haben sich in andere Viertel verlagert.

Das Misstrauen wird nicht einfach verschwinden

Und die Gewalt ist in den vergangenen Jahren schlimmer geworden. Weil die Verteilungskämpfe um die Drogen zugenommen haben. Weil der strukturelle Rassismus und die Ungleichbehandlung von Schwarzen und Hispanics nicht substanziell weniger wurden. Weil es leicht und billig ist, eine Waffe auf der Straße zu kaufen. Wer häufiger in den Vierteln unterwegs ist, spürt die Wut und Verzweiflung der Menschen. Aber auch das Schulterzucken, das Gewöhnen daran, dass fast jede Familie mit irgendeiner Gang verbunden ist, jede Familie Verlust erlebt. Und das alles lang vor der Corona-Krise. Die wiederum trifft die Armen in den USA besonders hart. Wie überall im Land erkranken auch in Chicago überproportional mehr Schwarze und Hispanics an Covid-19 als Weiße, die Arbeitslosigkeit durch die Pandemie ist noch einmal angestiegen. Und damit nimmt auch die Gewalt zu. In den Sommermonaten steigt die Mordrate in der Stadt sowie jedes Jahr. Wenn es kalt ist oder regnet, sind weniger Menschen auf der Straße. So simpel, so zynisch. Corona macht alles nur noch schlimmer.

In diesem Jahr könnte Chicago ein tödliches Jahr wie lange nicht mehr erleben. Neben der Corona-Krise, die den Armenvierteln zusätzlich zusetzt, hat die Wut über den Tod von George Floyd dazu geführt, dass das angespannte Verhältnis zwischen den Bürgern und der Polizei sich weiter verschlechtert.

Die Polizei als Gegner

Es sind zwei Seiten, die sich feindlich gegenüberstehen. Die Gewerkschaft der Polizei ist stark, schützt ihre Beamten und ist Reformen gegenüber defensiv eingestellt. Nach den 16 tödlichen Polizeischüssen auf Laquan McDonald im Jahr 2014 hat das US-Justizministerium einen Bericht über die Polizei veröffentlicht und Reformen angemahnt. Ein Prozess, der schleppend verläuft. Und das trotz Lori Lightfoot, der schwarzen Bürgermeisterin. Die Demokratin wurde 2019 gewählt, auch mit dem Versprechen, die Strukturen in der Stadt zu verändern. Nach dem Tod Floyds hat sie eingeräumt, dass der Status Quo der Polizei derzeit nicht ausreicht, um auf die Probleme zu reagieren. Sie will die Polizei nicht auflösen, was viele unter dem Hashtag #defundthepolice fordern. Aber Lightfoot will sie anders aufstellen, auch gegen den Widerstand der Gewerkschaft. Eine Idee: Bei einem Notruf könnte künftig nicht einfach nur die Polizei kommen, sondern auch ein Sozialarbeiter.

Doch das alles wird dauern. Das Misstrauen der Menschen in Englewood und anderen Vierteln wird nicht einfach so verschwinden. Zu viele schlechte eigene Erfahrungen und die wiederkehrenden Ereignisse rassistischer Polizeigewalt haben aus der Polizei einen Gegner gemacht. Beide Seiten müssen wieder lernen, aufeinander zuzugehen. Chicago ist ein exemplarisches Beispiel dafür, wie viele Hürden auf diesem Weg zu überwinden sind und wie lange das dauert.

Um die eskalierende Gewalt zu beenden, reicht Donald Trumps Plan nicht, mal eben aus Washington Bundespolizisten aufmarschieren zu lassen und law and order wieder herzustellen. Das mögen für den US-Präsidenten hilfreiche Bilder für seinen Wahlkampf sein und mag genau diesem Kalkül entspringen. Den Menschen in Chicago hilft das nicht. Lori Lightfoot hat bereits angekündigt, auf keinen Fall Bundespolizisten in ihre Stadt zu lassen.

Den Chicagoern hilft eine langfristige strukturelle Veränderung: gleichberechtigte Bildungschancen, eine ausreichende soziale Absicherung, eine gute medizinische Versorgung, eine Polizeireform und nicht zuletzt die eigenen Bürger, die sich über die 35. Straße hinaus weiter in den Süden der Stadt trauen und diese unsichtbare Grenze überwinden. All das also, was Donald Trump auf keinen Fall will.

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