US Economic Dominance Could End

 

 

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Die Corona-Krise lehrt die USA: Ein soziales Netz lässt sich nicht über Nacht aufspannen. Das vermeintlich “sozialistische” Europa profitiert von seinem Sozialsystem.

In dieser Woche bricht in vielen US-Haushalten der Notstand aus. Maßnahmen wie das erhöhte Arbeitslosengeld und der vorübergehende Schutz vor Räumungsklagen laufen aus. Die Regierung in Washington konnte sich bisher nicht auf neue Hilfen einigen. Viele Menschen fürchten um ihre Existenz.

Gleichzeitig prognostizieren Ökonomen wie Jari Stehn von Goldman Sachs, dass Europa sich schneller erholen dürfte als Amerika. Das hat Seltenheitswert. Seit 1992 wiesen die USA in 20 von 28 Jahren ein höheres Wirtschaftswachstum auf als Europa, wie Daten des Internationalen Währungsfonds zeigen. Nun könnte das Coronavirus die wirtschaftliche Dominanz der USA beenden.

Dabei spielen auch die unterschiedlichen Sozialsysteme eine Rolle. Rutschen die USA in eine Krise, können die Unternehmen dort relativ problemlos Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen. Gleichzeitig fehlt ein soziales Netz, sodass Arbeitssuchende eher bereit sind, Jobs in anderen Branchen anzunehmen oder schlechtere Bedingungen hinzunehmen. Ökonomen sprechen von der höheren Flexibilität des amerikanischen Arbeitsmarktes.

Das europäische Sozialsystem schützt Arbeitnehmer

In Europa mildern Einrichtungen wie das Kurzarbeitergeld und ein ausgebautes Sozialhilfesystem die sozialen Folgen von Abschwüngen. Doch der höhere Kündigungsschutz und Sozialleistungen verringern den Druck für Arbeitnehmerinnen, sich auf aus ihrer Sicht schlechtere Angebote einzulassen. Die besseren Sozialleistungen bedeuten auch, dass Bürger deutlich mehr Steuern zahlen.

Das europäische System braucht also länger, bis die Wirtschaft wieder anspringt, und das Wachstum wird durch die höheren Abgaben gedämpft. Zuletzt zeigte sich das nach der Finanzkrise 2008. In der Folge schrumpfte die US-Wirtschaft um 2,5 Prozent, die der Eurozone um 4,5 Prozent. Allerdings stagnieren die Löhne und Gehälter der Amerikaner seither. Viele der neu geschaffenen Arbeitsplätze bieten weniger Geld und noch weniger Sicherheit.

Noch bis vor Kurzem lästerten konservative US-Politiker und Wirtschaftsvertreterinnen gern über den angeblichen “Sozialismus” jenseits des Atlantiks. Doch in der Corona-Krise zeigt sich der Vorteil der Europäer. Regierungen konnten Angestellte nach Hause schicken, ohne kilometerlange Schlangen an Essenstafeln und Suppenküchen in Kauf nehmen zu müssen. Genau das passiert nun in vielen US-Städten.

“Europas Arbeitnehmer bekommen Gehaltsschecks, während US-Arbeiter um Essen betteln”, fasste es die New York Times zusammen. Die Reporter beschreiben den Fall eines Immobilienmaklers in Manhattan, dessen Maklerbüro ihn freigestellt hat, nachdem das Geschäft durch die Pandemie eingebrochen war. Er borgte sich das Geld für die Miete von Freunden und Familie. Schließlich begann er, nachdem ihm ein Bekannter den Tipp gegeben hatte, die Mülltonnen eines lokalen Gourmetmarkts zu durchwühlen, um noch genießbare Lebensmittel zu finden.

Löhne stagnieren, Lebenshaltungskosten steigen rasant

Viele Menschen in den USA leben paycheck to paycheck. Sie haben also wenig Rücklagen und sind auf ihr monatliches Einkommen angewiesen. Rund 40 Prozent der US-Amerikanerinnen und -Amerikaner könnten selbst in einem Notfall keine 400 Dollar aufbringen, ergab eine Umfrage der US-Notenbank im vergangenen Jahr.

Das liegt nicht an der Spendierfreudigkeit der Menschen. Denn während ihr Einkommen in den vergangenen Jahrzehnten stagnierte, stiegen die Lebenshaltungskosten, vor allem die Ausgaben für Gesundheitsversorgung und Bildung. Um über die Runden zu kommen, müssen sich viele verschulden. Die Corona-Krise verschlimmert die Situation. Nach wie vor sind knapp die Hälfte aller Arbeitnehmerinnen über ihren Arbeitgeber krankenversichert. Ist der Job weg, verlieren sie auch die Krankenversicherung.

Es ist auch nicht mit einem Mangel an Hilfsgeldern zu erklären, warum die Krise US-Bürger härter trifft. Immerhin hat die Regierung seit März 2,7 Billionen Dollar in die Wirtschaft gepumpt. Doch über Nacht lässt sich kein soziales Netz aufspannen. Bei der Verteilung der Gelder ging viel schief. Die Arbeitsämter sind von 30 Millionen Arbeitslosen überwältigt, viele Empfänger warteten wochenlang auf ihr Arbeitslosengeld.

Die Finanzämter zahlten rund 1,4 Milliarden Dollar an Hilfsgeldern an bereits Verstorbene aus. Der Stützungsfonds für kleine und mittlere Unternehmen schüttete Milliarden an Großkonzerne, Privatschulen, TV-Stars und Sportteams aus. Kleine Unternehmen, die von Schwarzen und anderen Minderheiten geführt werden, gingen dagegen oft leer aus.

Die USA stecken in der Klemme

Deshalb stehen viele Gouverneure unter großem Druck, wenn sie entscheiden müssen, ob sie einen Lockdown anordnen und die Wirtschaftsaktivitäten herunterfahren, um die Ausbreitung der Pandemie zu verlangsamen. Es ist kein Zufall, dass es vor allem im wohlhabenden Nordosten des Landes, in New York, New Jersey, Connecticut und Massachusetts, besser gelungen ist, die Maßnahmen durchzusetzen und durchzuhalten. Die Flexibilität des US-Arbeitsmarktes hat in dieser Krise einen tödlichen Preis.

Die USA stecken in der Klemme: Bleibt die Wirtschaft geschlossen, droht vielen im Land die schiere Existenznot. Läuft die Wirtschaft wieder an, steigen auch die Covid-Infektionen. 145.000 Menschen sind der Pandemie bereits zum Opfer gefallen.

Schadenfreude der Europäer wäre nicht nur deshalb zynisch. Es wäre auch kurzsichtig. Denn wenn sich die USA als weltweit wichtigste Volkswirtschaft nicht erholen, dann wird es für Europa fast unmöglich sein, die Krise nachhaltig hinter sich zu lassen.

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