Die USA ächzen unter der Corona-Krise, das nächste staatliche Hilfsprogramm scheint unvermeidbar. Doch Experten warnen: Mit Rekordschulden allein ist es nicht getan.
Die Staatsschulden der USA werden im laufenden Haushaltsjahr die Marke von 20 Billionen US-Dollar erreichen. So hat es der CBO, der Rechnungshof des US-Kongresses, errechnet. Um die Dimension klarzumachen: Um diese Summe auf einen Schlag abzubezahlen, müssten die US-Bürger ihre gesamte Wirtschaftsleistung eines Jahres aufbringen. Einen derartig hohen Schuldenstand hatten die USA zuletzt nach dem Zweiten Weltkrieg. Covid-19 hat – wie in vielen anderen Ländern – die Verschuldung noch einmal hochgetrieben.
Die Regierung in Washington hat bisher rund drei Billionen US-Dollar an Hilfen für Arbeitslose, Unternehmen und Kommunen bereitgestellt, gleichzeitig sind die Steuereinnahmen drastisch gesunken. Das hat das aktuelle Haushaltsloch auf 3,3 Billionen Dollar anschwellen lassen. Ein Fehlbetrag, der 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Ein weiteres Corona-Hilfspaket hängt zwar noch im Kongress, weil sich die Parteien nicht einigen können. Angesichts von Millionen Arbeitslosen, Unternehmenskonkursen, langen Schlangen vor Suppenküchen und Essenstafeln sowie der Präsidentschaftswahl in neun Wochen ist jedoch so gut wie sicher, dass es kommt.
Schon vor der Corona-Pandemie war die Nation auf dem Weg in ein Rekordminus. Gründe waren die Bekämpfung der Finanzkrise 2008 und die wachsende Zahl von Babyboomern, die nun in Rente gehen. Vor vier Jahren noch, im Wahlkampf 2016, hatte Donald Trump angekündigt, wenn er Präsident sei, werde er innerhalb von acht Jahren alle Staatsschulden zurückzahlen. Doch stattdessen ließ seine Steuerreform 2017, mit der er massiv Steuern für Unternehmen und Wohlhabende senkte, das Haushaltsdefizit um rund 1,5 Billionen Dollar anschwellen.
Im aktuellen Wahlkampf erwähnt der amtierende Präsident das Thema Staatsverschuldung nun lieber nicht mehr. Aber auch sein Rivale Joe Biden von den Demokraten, dessen Wahlprogramm verschiedene neue Sozialprogramme vorsieht, schweigt dazu. Nicht einmal die Wall Street zeigte sich beeindruckt: Trotz der jüngsten Prognosen des Rechnungshofs erreichte der S&P 500, der Börsenindex der wichtigsten US-Unternehmen, am vergangenen Mittwoch ein neues Allzeithoch. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman erklärte noch vor der Krise, selbst eine Verdoppelung der aktuellen US-Verschuldung sei kein Problem.
Der Vergleich mit 1946 führt in die Irre
Fast alle Ökonomen sind der Meinung, dass weitere Hilfsmaßnahmen in Billionenhöhe notwendig sind, um einen Absturz der nach wie vor wichtigsten Volkswirtschaft der Erde in eine Depression zu verhindern. Doch nicht alle halten die daraus resultierende Rekordverschuldung, die die USA in eine Reihe mit Griechenland und Japan stellt, für folgenlos. “Der Vergleich mit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, der oft angestellt wird, ist irreführend”, sagt etwa Robert Brusca, Chefökonom bei FAO Economics und früher bei der New Yorker Notenbank beschäftigt.
1946, als die Verschuldung vergleichbar hoch war, waren die USA nicht direkt von den Verheerungen des Krieges betroffen. Junge Männer kamen aus dem Krieg zurück und gründeten Familien. In der Folge wuchs die Wirtschaft in den Nachkriegsjahren stetig um rund drei Prozent. Das löste auch das Schuldenproblem. Doch jetzt, sagt Brusca, seien die USA in einer völlig anderen Lage. Die Pandemie hat die Bevölkerung und damit auch die Wirtschaft stärker betroffen als in anderen Industrienationen wie Deutschland. Auch sind die US-Amerikaner heute im Schnitt älter als damals vor rund 75 Jahren. In der Folge der Pandemie werde es daher dauerhafte strukturelle Veränderungen in der Wirtschaft geben, etwa eine höhere Langzeitarbeitslosigkeit, meint der Experte.
Gefahr droht, wenn die Welt nicht mehr an den Dollar glaubt
Zwar laufen die USA nicht Gefahr, in eine Staatspleite zu schlittern; die US-Amerikaner können sich in der eigenen Währung verschulden – ein unschätzbarer Vorteil, wie etwa Griechen und Argentinier wissen. Zur Not können Gläubiger also mit Hilfe der Notenpresse bedient werden. Gefährlich wird es jedoch, sollte die Welt den Glauben an den Dollar verlieren. Bis hin zu der Androhung von Sanktionen wie im Fall der Ostseepipeline Nord Stream 2 ergibt sich aus dessen Status als Leitwährung ein großer Teil der Macht und des Einflusses Washingtons: Wer keine Geschäfte mehr in Dollar machen darf, kann einpacken. Weder internationale Banken noch Konzerne werden es riskieren, aus dem US-Finanzmarkt ausgeschlossen zu werden.
Wie schon in vorangegangenen Krisen fliehen internationale Investoren auch in der Corona-Krise in US-Staatsanleihen und finanzieren damit die Verschuldung der USA. Die US-Schuldenpapiere gelten nach wie vor als sicherstes Finanzinstrument. Um sie als sicheren Hafen abzulösen, müsste es eine glaubwürdige Alternative geben.
Solange diese fehlt, kann Washington den Schuldenberg vor sich herschieben. Doch Dollar und US-Staatsanleihen verdanken ihre Ausnahmestellung einer starken und dynamischen US-Wirtschaft und einer stabilen politischen Führung. Und an beidem gibt es immer mehr Zweifel.
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