This Is What a President Sounds Like

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So klingt ein Präsident

Staatsmännisch und versöhnlich spricht Joe Biden nach seinem Wahlsieg zur Nation. Sein Wunsch, das Land zu einen, ist redlich. Donald Trump wird daran nicht mitwirken.

Die US-Amerikanerinnen und Amerikaner bekommen, was viele so schmerzlich vermisst haben: einen Präsidenten für das ganze Land. Joe Biden lässt mit seiner ersten Rede an die Nation als Wahlsieger keinen Zweifel daran. “Ich verspreche, ein Präsident zu sein, der danach strebt, nicht zu spalten, sondern zu einen”, sagte er in seinem Heimatort Wilmington in Delaware, wo er lässig auf die Bühne joggte und von Anhängerinnen und Anhängern gefeiert wurde. Es sei Zeit, die harsche Rhetorik beiseitezulegen: “Geben wir uns gegenseitig eine Chance.”

Die Karte der USA, die nach der Wahl alle so quälend lang in Atem gehalten hat, mag eingefärbt sein in den Farben der Demokraten und Republikaner – doch Biden versuchte, das Trennende zu überwinden: Er sehe “keine roten oder blauen Staaten, nur die Vereinigten Staaten”. Er werde “genauso hart für alle arbeiten, die mich nicht gewählt haben” wie für die, denen er den Sieg verdanke. Allen, die Donald Trump gewählt haben, sagte Biden: “Ich verstehe eure Enttäuschung, ich habe selbst einige Male verloren.” Doch politische Gegner dürften einander nicht weiter als Feinde betrachten: “Sie sind keine Feinde. Sie sind Amerikaner.”

Es war eine Rede, wie sie das Land in vier Jahren nicht mehr mit so mächtiger Stimme gehört hat. Und daran werden sich viele US-Amerikanerinnen und Amerikaner wohl am schnellsten gewöhnen können: dass nicht aus jeder Zeile die Verachtung trieft für Demokratie und Rechtsstaat, für Wissenschaft und Wahrheit, für jene, die nicht kritiklos mitlaufen. Dass da einer spricht, auf den alle stolz sein können, wenn sie denn bereit dazu sind, die “düstere Ära der Verteufelung” hinter sich zu lassen, wie Biden es nannte. Allein jedoch wird er die “Seele Amerikas” nicht heilen können.

“Leuchtfeuer für die Welt”

Biden mag die richtigen Worte gefunden haben, staatsmännisch, klar, versöhnlich, wie es zu erwarten war. Mit dem nötigen Pathos vom “Leuchtfeuer für die Welt”, das Amerika wieder sein soll, über Engel und Adlerschwingen bis zum “Wendepunkt”, den der kommende Präsident mit den Herausforderungen verglich, vor denen Lincoln, Roosevelt, Kennedy, Obama standen – historisch ist Bidens Sieg allemal, und gewaltig die Aufgabe, die vor ihm liegt. Doch was ist das alles wert, solange Donald Trump knapp die Hälfte des Landes weiter in seinen Bann zieht?

Es wäre nicht nur eine Geste des Anstands, wenn der Verlierer seine Niederlage einräumte, nicht bloß schöne Tradition am Ende eines hässlichen Wahlkampfs, wie ihn die USA oft erlebt haben, diesmal im Exzess. Es wäre mehr noch als Bidens sanfte Einladung an die Enttäuschten das wirksamste Mittel, den Frieden wiederherzustellen. Den eigenen Anhängern zu sagen: Wir haben gekämpft, es hat nicht gereicht, aber das ist okay – jetzt helft diesem Mann, er ist nun unser Präsident. Von Trump ist genau das nicht zu erwarten.

Biden kann sich zu Recht auf einen “überzeugenden Sieg” berufen, auf etwa 74 Millionen Stimmen der “breitesten und diversesten Koalition”, die tatsächlich weit über den beständigen Kern demokratischer Wählerinnen und Wähler hinausgeht. Und die Mobilisierung war auf beiden Seiten außergewöhnlich. Aber wie viele von den etwa 70 Millionen, die für Trump gestimmt haben, nun ihrerseits gewillt sind, “die Temperatur zu senken, sich wieder zu sehen, einander wieder zuzuhören”, wie Biden beschwor, ist noch nicht zu beantworten. Trump jedenfalls wird an diesem Projekt nicht mitarbeiten.

Mit der Arbeit, die als Präsident vor ihm liegt, kann Biden erst am 20. Januar beginnen. Das ist nicht nur in der Pandemie, die unter Trump außer Kontrolle geblieben ist, eine lange Zeit. Bereits Montag will Biden eine Taskforce aus Expertinnen und Experten zusammenstellen, die ihm helfen sollen, einen Plan zu präzisieren, “gebaut auf dem Fundament der Wissenschaft, … konstruiert aus Mitgefühl, Empathie und Sorge”. Wirksam wird diese Anstrengung erst im Amt, wie auch bei allen anderen politischen Vorhaben.

Doch für den Heilungsprozess, der mit diesem Auftritt vor den Augen der Nation begonnen hat, kann und muss Biden schon vorher kämpfen. Trump ist immer noch ein harter Konkurrent, wenn es darum geht, in den USA dieser Tage Gehör zu finden. Noch hält er das Weiße Haus, noch richten sich die Kameras und Mikrofone auf ihn. Der kommende Präsident weiß das. “Lasst uns die Nation sein, von der wir wissen, dass wir sie sein können”, sagte er in Wilmington. Vielleicht ist das Bidens schwerfällige Variante von Obamas “Yes, we can”. Jetzt muss er sie mit Leben füllen.

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