Biden wird die Spaltung nicht überwinden, denn weder Republikaner noch Demokraten wollen das. Das ist vielleicht auch okay.
Versöhnung, Vergebung, Heilung: das sind die unverkennbar religiösen Beschwörungsformeln, die derzeit aufgerufen werden, wenn es um die Erwartungen geht, mit denen Joe Biden im Januar 2021 sein neues Amt antreten wird. Es heißt, er solle das Land nun wieder einen. Halten wir uns nicht lange mit der intellektuellen Selbstverständlichkeit auf, dass natürlich kein einzelner Politiker beenden kann, was strukturell angelegt ist und sich über Jahrzehnte hochgeschaukelt hat.
Interessanter ist, dass die Idee der Versöhnung und der Überwindung der Gegensätze selbst bereits in sich widersprüchlich und in gewisser Weise sogar verlogen ist. Bei den 70 Millionen Wählern, die Donald Trump ihre Stimme gegeben haben, dürfte sich das Bedürfnis nach Versöhnung ohnehin in Grenzen halten. Vermutlich gibt es auch unter ihnen einige, die der permanente Kulturkampf mürbe gemacht hat und die daher vielleicht bereit wären, der Sache eine Chance zu geben.
Der überwiegende Teil dieser Wähler aber, darunter vor allem das politisch aktive und daher tonangebende Element, interpretiert jede ausgestreckte Hand eher als weitere Kriegserklärung. Um das zu erkennen, muss man nicht einmal jene schaurigen Umfrageergebnisse studieren, die schon jetzt gekommen ist.
Die jüngste Geschichte verrät uns wohl am besten, welches Stück da bald seine Wiederaufführung erleben wird. Barack Obamas Weg ins Weiße Haus 2008 war schließlich förmlich gepflastert mit der Erlösungsbotschaft von der inneren Wiedervereinigung des Landes. Es gebe kein konservatives und kein liberales Amerika, meinte Obama damals, sondern natürlich nur: die Vereinigten Staaten von Amerika.
Schon Obama scheiterte an der Mission
Nach seinem Wahlsieg behielt er den von seinem republikanischen Vorgänger, George W. Bush, ins Amt eingesetzten Verteidigungsminister, und Teile seiner Reform der Krankenversicherung, Obamacare, bauten auf Ideen auf, die aus konservativen Denkfabriken stammten. Gefruchtet hat nichts davon. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der republikanischen Parteibasis versank schon damals in einem Strom von Verschwörungstheorien.
Dem Verlierer fällt die Versöhnung ohnehin immer schwerer als dem Gewinner, besonders aber in diesem Fall, da Obamas Sieg signalisierte, dass die demografischen Verschiebungen im Land jetzt im Zentrum der Macht angelangt waren. Und für viele Konservative hatte Obamas durchaus kalte technokratische Attitüde – die Idee, dass es eine übergeordnete Vernunft gäbe und der Streit der Parteien nur störendes Beiwerk – auch eine bedrohlich-hegemoniale Note, die jeden Widerspruch zum rein irrationalen Rückzugsgefecht erklärte.
Fest steht, dass deshalb Amerikas Konservative in ihren Schützengräben blieben. Und genau dort werden sie dieses Mal – nach zwölf weiteren Jahren des Hasses – natürlich erst recht ausharren, mutmaßlich bestens versorgt von den Empörungsmaschinen der konservativen Medien, die schon gar kein Interesse am Abflauen der Spannungen haben, da sich mit der politischen Hysterie der letzten drei Jahrzehnte eine Menge Geld verdienen ließ.
Beim linksliberalen Amerika ist die Sache psychologisch ungleich komplizierter. Denn dort ist, dem „Scheitern“ Obamas zum Trotz, die Vorstellung einer Depolarisierung noch immer präsent. Vermutlich war das sogar einer der Gründe, warum sich am Ende der Vorwahlen Joe Biden durchsetzte: weil man glaubte, dass das Land unter ihm zur Ruhe käme, und hoffte, er würde nicht ganz so toxische Reaktionen bei der politischen Rechten auslösen wie Hillary Clinton und Obama.
Indes, zahlreiche Fraktionen innerhalb der Partei sehen die Sache ganz anders. Weder für die Aktivisten von Black Lives Matter noch für den sozialistischen (oder auch sozialdemokratischen) Flügel der Partei steht die Aussöhnung an erster Stelle. Im Gegenteil: Hier geht es ja darum, nicht nur mit vier Jahren Trump, sondern im Grunde genommen mit der bisherigen Geschichte des Landes aufzuräumen.
Läuterung anstelle von Versöhnung
Wie aber soll die Versöhnung gelingen, wenn man die Gegenseite als Verteidiger eines systemischen Rassismus begreift oder gar als einen Haufen reaktionärer Protofaschisten? Will man die eigene Agenda entschärfen, bloß um niemanden von der „anderen Seite“ zu verängstigen? Wohl kaum. Dabei geht es nicht allein um Inhalte. Ein großer Teil der Partei ist der Meinung, dass es an der Zeit sei, in der politischen Auseinandersetzung die Samthandschuhe endlich auszuziehen.
2016 war Michelle Obamas Parole: „When they go low, we go high“ („Je tiefer sie sinken, desto anständiger verhalten wir uns“), noch sehr populär. Das aber fühlt sich nach vier Jahren, in denen ein Autokrat die Axt an die amerikanische Demokratie angelegt hat, merkwürdig entrückt an.
Und so werden innerhalb der amerikanischen Linken schon lange Strategien diskutiert, die natürlich nicht auf Versöhnung, sondern auf zukünftige Mehrheitsfähigkeit zielen: die Aufstockung der Anzahl der Richter am Supreme Court, die Ausrufung von Washington, D.C. und Puerto Rico als Bundesstaaten, um sowohl im Kongress als auch im Electoral College neue Mehrheitsverhältnisse zu schaffen, und einiges andere mehr.
Das Buch von David Faris, „It’s time to fight dirty“, zu Deutsch: „Ab jetzt wird mit unsauberen Mitteln gekämpft“, Untertitel: „Wie Demokraten eine dauerhafte Mehrheit in der amerikanischen Politik erreichen können“, erfreut sich unter linken Demokraten derzeit großer Beliebtheit. Einige Politologen warnen vor dem, was man als tit-for-tat polarization („Wie du mir, so ich dir“) bezeichnet: eine sich stetig selbst verstärkende Polarisierung, in der der Norm- und Regelbruch der einen Seite wiederum die Eskalationsbereitschaft der Gegenseite erhöht.
Aber auch wenn man annimmt, dass solche Theorien an der Realität längst vorbeigehen, weil die Republikaner bereits alle Grenzen überschritten haben, und es jetzt gilt, Feuer mit Feuer zu bekämpfen: ein Beitrag zur Überwindung der Gräben ist es gewiss nicht. Nehmen wir einen letzten Punkt, der vielleicht am prägnantesten zeigt, dass sich hier unvereinbare Logiken gegenüberstehen. Einer der vielen Gründe für die Polarisierung der USA ist die Totalpolitisierung aller Lebensbereiche.
Vom Medienkonsum, über das Freizeitverhalten bis hin zum Datingmarkt haben sich politische Identitäten bis in alle Lebensbereiche hineingefressen. Insofern wäre es vermutlich für das Land gesund, wenn man sich zumindest bemühte, wieder mehr Inseln des unpolitischen Zusammenseins zuzulassen, Orte, an denen die ideologische Dauererregung abklingen kann und die Bürger nicht ständig an ihre Unterschiede erinnert werden.
Inseln unpolitischer Begegnungen
Folgte man aber diesem Gedanken, dann müsste man auch dafür plädieren, den US-Sport zu entpolitisieren, ihn nicht länger zum Vehikel des Kampfs gegen Rassismus zu machen, was dazu geführt hat, dass viele Republikaner die NBA kaum noch und die NFL, die Profiliga im American Football, immer seltener anschalten.
Der geneigte taz-Leser hat es längst gemerkt: Man würde bei Positionen landen, die das Gegenteil dessen wären, was die Linke anstrebt, die natürlich davon ausgeht (wie alle Linken zu allen Zeiten), dass sowieso alles politisch ist, gerade das vordergründig Unpolitische, das daher umso dringender der Aufdeckung und Entlarvung bedarf. Anders ausgedrückt:
Die amerikanische Linke will nicht die Versöhnung; sie will die Läuterung, und zwar die der Gegenseite, und falls das nicht funktioniert, dann hofft sie darauf, dass die demografische Entwicklung im Land das Problem schließlich von allein löst. Auch ein ambitioniertes Projekt, aber eben ein anderes. Und vielleicht stimmt es ja: Vielleicht ist die Sehnsucht nach Versöhnung und Depolarisierung tatsächlich ein blasierter Zentristentraum.
Vielleicht ist es das typische Denken von Menschen, die lieber keine großen Veränderung anstreben und sich vor allem nach Stabilität sehnen, weil sie mit dem Status quo nicht wirklich schwer hadern. Und gegen diese Haltung ließe sich dann gewiss argumentieren, dass echte Veränderungen fast immer gegen erbitterten Widerstand erkämpft wurden – Polarisierung insofern eben der Preis ist, den wir von Zeit zu Zeit für den Fortschritt entrichten müssen.
Ein gutes Beispiel dafür ist übrigens ausgerechnet der Urkonflikt der amerikanischen Politik der 60er Jahre, der, wie bei einem Dominoeffekt, die bis heute anhaltende Dynamik in Bewegung setzte. Denn bis in die frühen 60er galt die US-Politik als ausgesprochen konsensgeprägt. Beide Parteien hatten damals liberale wie konservative Flügel, die ideologischen Überschneidungen waren groß, weshalb auch die Kompromissfähigkeit immens war.
Keine Veränderung ohne Widerstände
Das blieb so, bis sich die Demokraten endlich dazu durchrangen, energisch die Bürgerrechtsbewegung Martin Luther Kings zu unterstützen, und dann schließlich mit dem Civil Rights Act 1964 die faktische Rassentrennung im Süden der USA beendeten. Die Folge: Die konservativen Wähler im Süden, bis dahin eine feste Bank für die Partei, wechselten kollektiv die Seite und begannen, republikanisch zu wählen.
Das beendete die extreme Heterogenität, die bis dahin Demokraten und Republikaner ausgezeichnet hatte und legte den Grundstein zu der heutigen Dualität. Anders ausgedrückt: Der Civil Rights Act, der die Diskriminierung per Gesetz beendete, polarisierte das Land, und das war so richtig wie notwendig. Vielleicht sollte man keine Versöhnung erwarten, keine Heilung oder was immer an transzendenten Begriffen derzeit die Erwartungen steuert.
Vielleicht sollte man zufrieden sein, wenn die Sache nicht noch weiter eskaliert. Dafür muss man sich nicht einmal versöhnen. Es heißt schließlich, Frieden schließe man mit seinen Feinden.
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