The Elephant in the Room

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Die US-Medien tun sich auch angesichts Donald Trumps neuester Realitätsverweigerung schwer, über ihn zu berichten. Haben sie aus vier Jahren Trump-Show nichts gelernt?

Bald sei der “lange nationale Albtraum beendet”, versprach CNN-Moderator Jake Tapper am 7. November, kurz nach Verkündung des Wahlergebnisses – zumindest für die vielen Millionen US-Amerikaner, die die vergangenen vier Jahre als Albtraum empfanden. Bald ist er weg, dachte man, na ja, jedenfalls nicht mehr dort, wo er den größten Schaden anrichten kann. Bald, so klang es bei vielen TV-Sendern und auf vielen Meinungsseiten durch, sei wieder so etwas wie Normalität möglich, und Normalität, das sei nach diesem Wahlkampf, nach diesem Jahr, nach dieser Amtszeit wohl nicht das Schlechteste. Oder wie es der konservative Kolumnist der New York Times, David Brooks, bei Twitter formulierte: “Ich genieße es bereits, die Vergangenheitsform zu benutzen, wenn ich über Donald Trump schreibe.”

Trump als Vergangenheitsform, das schien ein paar Tage lang die weitverbreitete mood. Das lange Fernsehgucken hatte sich gelohnt, die Zahlen wirkten jetzt beruhigend, vom ergriffenen Van Jones bis zum konservativen Never-Trumper-Verein Lincoln Project vernahm man Rührung bis Stolz. Auch Trumps Versuche, die Legitimität der Wahl anzuzweifeln, wurden zunächst von vielen abgetan, “klein und erbärmlich und irrelevant” sei Trumps Verhalten, sagte zum Beispiel Rachel Maddow, Gesicht des Senders MSNBC.

Doch Trump ist und bleibt ziemlich gegenwärtig. Einerseits dadurch, dass er und hochrangige Politiker wie der Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, sich immer vehementer weigern, das Wahlresultat anzuerkennen und diese Weigerung immer mehr einem Putschversuch ähnelt. Andererseits dadurch, dass das System Trump – zu dem mindestens die Republikanische Partei, über 72 Millionen Wählerinnen und Wähler, reichlich Kapital und ein ganzer Medienkosmos gehören – viel zu groß und gesellschaftlich verwurzelt ist, um mal eben in der Vergangenheit zu verschwinden. Dass mit Joe Biden als Präsident höchstwahrscheinlich bald eine neue Ära anbrechen wird, bedeutet eben noch lange nicht, dass die alte vorbei ist.

Was ist “objektiv” und “neutral”?

Die US-Medien versuchen derzeit, einen Umgang mit dieser Phase zwischen den Aggregatzuständen zu finden. Trump zu überschätzen, würde ihm in dieser Situation nur helfen, hört man. Seine Sabotage der demokratischen Prozesse zu unterschätzen, sei allerdings noch fataler. Dazwischen ist eine Haltung gefragt. Und damit sind wir auch schon bei einer Frage, die sich in den vergangenen Jahren wohl wie keine zweite durch den Mediendiskurs gezogen hat. Die Frage danach, wie “objektiv” und “neutral” man über jemanden wie Donald Trump berichten könne und sollte. Und danach, was Objektivität und Neutralität in dem Zusammenhang überhaupt sind.

Letztlich bedeutete das Phänomen Trump die Konfrontation mit einem Problem, das Medien, die sich der Neutralität verschrieben haben, ja nicht nur in den USA und nicht erst seit 2016 beschäftigt: Wie geht man mit antidemokratischen Kräften um, vor allem mit denen, die Teil des demokratischen Betriebes sind?

Wenn man das Verhältnis zwischen Trump und den etablierten Medien der Mitte etwas grob zusammenfassen müsste, dann vielleicht so: Es war gutes Business. Trump, der bei jeder Gelegenheit von Fake News sprach, wurde mit permanenter Aufmerksamkeit belohnt; und die Medien dadurch, dass ihre Reichweiten und Abozahlen in die Höhe schossen. Nicht nur, aber auch und vor allem wegen Trump. Die New York Times steigerte die Zahl ihrer Digitalabonnenten seit Trumps Wahlsieg 2016 (damaliger Stand: 1,6 Millionen) auf aktuell 4,4 Millionen. CNN hatte in den Tagen rund um die diesjährige Wahl laut Chef Jeff Zucker die besten Einschaltquoten in der Geschichte des Senders. “Es war eine lukrative Zeit für die Kabelnachrichtensender, ein Rekordjahr für politische Bücher und generell ein Geldsegen für die alten Medien”, bilanzierte Ben Smith, der Medienkolumnist der New York Times, vor zwei Wochen das Wahljahr 2020.

Während Trump die Presse seit Beginn seiner Amtszeit 2017 als “Feinde des Volkes” beschimpfte und ohne sie doch nie im Weißen Haus gelandet wäre, konnten die liberalen Leitmedien sich als Wahrheitsinstitutionen positionieren. Die Washington Post gab sich ein neues Motto: “Democracy Dies in Darkness” (Demokratie stirbt in der Dunkelheit), CNN startete eine neue Kampagne (“Facts First”), und die New York Times annoncierte – philosophisch eher umstritten –, dass die “Wahrheit nicht fabriziert” werden könne.

Dass der Noch-Präsident und die großen Medien unter dem Strich ein gutes Geschäft füreinander waren, soll weder zynisch klingen noch den exzellenten wie notwendigen Journalismus kleinreden, der in den vergangenen Jahren produziert wurde. Die kaum originelle Feststellung, dass die allermeisten Medien von Klicks, Auflagen oder Quoten abhängig sind, scheint allerdings ein wichtiger Faktor, wenn es um Fragen nach Haltung und journalistischer Überparteilichkeit geht. Welchen Umgang man mit dem Trumpismus findet, ist eben auch davon abhängig, welcher Umgang sich lohnt.

Trump war im Januar 2017 gerade ein paar Tage im Amt, als der Journalist Lewis Raven Wallace einen bemerkenswert vorausschauenden Blogpost schrieb. “Objektivität ist tot, und ich habe kein Problem damit”, lautete die Überschrift seines Beitrags bei Medium, der schnell viral ging. Wallace, der damals als Reporter für die Radiosendung Marketplace von American Public Media arbeitete, machte sich darin Gedanken zu der Rolle des Journalismus angesichts einer Regierung, die schon da systematisch Lügen verbreitete und offenkundig eine Politik des weißen Nationalismus vorantrieb.

“Ich schlage vor, dass wir schamloser, roher und ehrlicher gegenüber uns selbst und unserem Publikum werden müssen”, schrieb Wallace damals. “Wir sollten uns eingestehen, dass diejenigen, die freie Rede, Diversität und Fairness schon auf Kindergartenniveau ablehnen, unsere Feinde sind.” Für Wallace, einen trans Mann, sei Objektivität schon aus gelebter Erfahrung eine Schimäre. “Die Idee, dass ich keine Existenzberechtigung habe, ist keine Meinung, sondern eine Unwahrheit.” Das journalistische Beharren auf der gleichberechtigten Darstellung von “both sides” sei auch für andere Minderheiten eine konkrete Bedrohung, erklärte Wallace, zum Beispiel dann, wenn eine der beiden Seite White Supremacy ist.

Ehrlichkeit, Transparenz, eine direkte Sprache

Das Gegenmittel zu “alternativen Fakten” – so verkaufte Trumps einstige Beraterin Kellyanne Conway die Lügen der Regierung – seien deshalb weder alternative Fakten zu den “alternativen Fakten” noch die Vorstellung, dass alle Meinungen gleichzubehandeln seien. Das Gegenmittel, meint Wallace, sei vielmehr ein aktiver, kämpferischer Journalismus. “Wir können unsere Fakten überprüfen, die Wahrheit erzählen und die Stellung halten, ohne so zu tun, als gäbe es keine ethische Grundlage für unsere Arbeit.”

Wallace wurde für diesen Beitrag ein paar Tage später gefeuert. Die Ablehnung von Objektivität lasse sich nicht mit den Richtlinien des Unternehmens vereinbaren, teilte Marketplace-Chefin Deborah Clark mit. Eine Geschichte, die interessanterweise selten in den Cancel-Culture-Debatten erwähnt wird – sie scheint nicht so richtig ins Narrativ der bedrohten Mitte zu passen.

Dass Objektivität nicht nur ein unmögliches Vorhaben sei, sondern oftmals auch dafür herhalte, marginalisierte Stimmen kleinzuhalten, hat Wallace in seinem Buch The View from Somewhere ausgeführt, das 2019 erschienen ist. Wallace beschäftigt sich in dieser Serie von Essays mit der Ideengeschichte des Konzeptes der journalistischen Objektivität und mit Leuten, die dieses Dogma infrage stellten und stellen. Wallace erzählt unter anderem von der schwarzen US-amerikanischen Journalistin Ida B. Wells, die vor 100 Jahren für ihre Berichterstattung über Lynchmorde vom Medienestablishment angefeindet wurde und von der lesbischen, sozialistischen Reporterin Sandy Nelson, die in den Neunzigerjahren von der Tacoma News Tribune degradiert wurde, weil sie sich neben ihrer redaktionellen Arbeit auch für Homosexuellenrechte eingesetzt hatte.

“Moralische Klarheit”

Objektivität laufe auf eine Verwaltung des Status quo hinaus, bilanziert Wallace, und damit auf eine Konservierung von Machtstrukturen, unter denen bestimmte Bevölkerungsgruppen historisch leiden. Was Wallace fordert, ist ein Journalismus, der sowohl die Bedingungen der eigenen Arbeit wahrnimmt, als auch eine Analyse von Hegemonien einschließt. “Journalismus ohne Voreingenommenheit ist unmöglich und unser Publikum weiß das”, schreibt Wallace. Wer eine wirklich kritische und pluralistische Berichterstattung wünsche, müsse sich demnach vom “Mythos der Objektivität” befreien.

Wallace ist nicht der einzige Journalist, der in den vergangenen Jahren versucht hat, diese Diskussion voranzutreiben. Der Pulitzer-Preis-Gewinner Wesley Lowery schrieb im vergangenen Juni in einem viel beachteten Essay, dass das, was im Mainstream als objektive Wahrheit wahrgenommen werde, “fast ausschließlich von weißen Reportern und ihren überwiegend weißen Chefs” definiert werde. Anstatt Objektivität zu performen, seien Ehrlichkeit, Transparenz und eine direkte Sprache wichtiger, erklärt Lowery. Er schlug “moralische Klarheit” als Leitprinzip vor.

Tom Rosenstiel, Direktor des American Press Institute, antworte darauf mit einem Twitter-Thread, in dem er erklärte, dass das Konzept der journalistischen Objektivität erst in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts entwickelt worden sei, jedoch nicht mit der Vorstellung, dass Journalisten objektiv sein müssten, ganz im Gegenteil: Die ursprüngliche Idee sei gewesen, Methoden der Verifizierung einzuführen, gerade weil Unvoreingenommenheit bei Reportern unmöglich sei. Objektivität habe also nicht “Balance” oder “Neutralität” bedeutet, sondern gründliche Recherche und verlässliche Methoden, meint Rosenstiel. Erst im Laufe des 20. Jahrhunderts habe sich die Idee verbreitet, dass Objektivität die zwingende Gegenüberstellung konträrer Perspektiven und Wiedergabe aller möglichen Aussagen zu einem Thema meint.

“Etwas kann sachlich richtig und gleichzeitig im Wesentlichen unwahr sein”, sagte Rosenstiel in einem Interview mit Vox ein paar Wochen später und nannte Trump dafür als Beispiel: Wenn der Präsident zum 28. Mal eine Unwahrheit verbreite und er 27 Mal auf diese Unwahrheit hingewiesen wurde, dann kann man davon ausgehen, dass er “strategisch lügt”. Eine bloße Zitierung seiner Lüge ohne Kontext sei deshalb falsch.

Es ist kein Zufall, dass entsprechende Debatten seit 2016 zugenommen haben. Seit Trump US-Präsident ist – und damit rassistische Narrative, Verschwörungstheorien, Wissenschaftsfeindlichkeit und Lügen in atemberaubender Regelmäßigkeit aus dem Weißen Haus abgesondert wurden –, haben sich viele US-amerikanische Journalistinnen und Journalisten mit ihrer persönlichen Rolle und Verantwortung auf eine Art und Weise auseinandersetzen müssen, die vorher nicht so dringend erschien. Wie nennt man das, was der Präsident und sein Stab da dauernd machen, sind es “in die Irre führende Behauptungen” oder eben “Lügen”? Wie viel Platz gewährt man rechtsautoritären Figuren? Welche Formen von Interviews sind sinnvoll? Sollte man als Nachrichtenkanal wirklich jede von Trumps Reden live übertragen? Und wie groß ist die Gefahr, dass man Rassismus oder Armenfeindlichkeit aus der Mitte übersieht, weil es moderater formuliert ist?

So fruchtbar manche dieser Diskussionen waren, so oft schien es dennoch, als würde man sich in einer endlosen Trump-Empörungsrückkopplungsschleife befinden.

Ein permanentes, hochtouriges, lautes Drama

Margaret Sullivan, Medienkritikerin der Washington Post, rekapitulierte vor einigen Tagen in ihrer Kolumne die vergangenen Jahre und kam zu dem Fazit, dass die meisten Medien “nie ganz begriffen hätten, wie man über Trump berichten” müsse. Viele Journalistinnen und Journalisten seien “so besorgt darüber, von der fanatischen Rechten als voreingenommen bezeichnet zu werden, dass sie die letzten vier Jahre in einer defensiven Kauerhaltung verbrachten und viel zu oft eine falsche Ausgewogenheit der einfachen Wahrheitserzählung vorziehen”.

Dass die Sender ABC, CBS und NBC nach der Wahl die Übertragung einer Pressekonferenz aus dem Weißen Haus unterbrachen, weil Trump dort ohne jegliche Beweise von “Wahlmanipulation” und “illegalen Stimmen” sprach, schien zwar die einzig richtige Reaktion, wirkte aber auch etwas absurd, nachdem vier Jahre lang Trumps Show dauergesendet worden war.

Trump sei ein “abnormaler Präsident, den wir ständig versucht haben, zu normalisieren”, schreibt Sullivan. Und es stimmt: Trumps Tweets wurden oft wie seriöse Nachrichten behandelt, seine Events fast ausnahmslos übertragen, jede seiner Regungen wurde kommentiert, es war ein permanentes, hochtouriges, lautes Drama. Und gerade, wenn es darauf ankam, stellt Sullivan fest, seien Journalisten oft vor einer präzisen Beschreibung seiner Politik zurückgeschreckt. Eindeutig rassistische Äußerungen wurden immer wieder lediglich “racially tinged” (rassistisch gefärbt), “racially infused” (in Rassismus getränkt) oder “racially charged” (rassistisch aufgeladen) genannt, als dürfe man Trumps zarte Seele nicht mit eindeutigen Zuschreibungen belasten.

Die Sehnsucht nach einer “normalen Beziehung”

Die defensive Haltung, die Sullivan kritisierte, drückte sich auch in einem teilweise grotesken Verlangen danach aus, in Trumps Auftreten doch etwas Präsidiales oder gar Progressives zu erkennen. “Trump sagt, dass White Supremacy und die finsteren Ideologien ‘besiegt werden müssen’. Wird er den Weg weisen?” lautete die Überschrift eines Artikels in der Washington Post im August 2019, nachdem ein rechtsextremer Attentäter in El Paso 23 Menschen getötet und Trump dazu eine heuchlerische Rede gehalten hatte. In seiner ersten Reaktion auf das Attentat hatte Trump via Twitter noch eine Einwanderungsreform gefordert.

Als Trump Mitte März 2020 in einem seiner bald berüchtigten Corona-Briefings davon sprach, “die maximale Zahl von Leben” retten zu wollen – wohl bemerkt nachdem er die Pandemie erst bewusst ignoriert, immer wieder die Gefahren heruntergespielt und Lügen darüber verbreitet hatte –, jubelte die CNN-Korrespondentin Dana Bash, dass Trump “die Art von Führungspersönlichkeit ist, die die Menschen brauchen, zumindest im Ton”. Zur vollständigen Rehabilitierung Donald Trumps schien nicht viel zu fehlen.

In den US-Medien hört man in diesen Tagen nun oft Worte wie “Wiederherstellung”, “Heilung”, “Einigkeit”; projiziert werden diese Hoffnungen auf die neue Regierung Biden, die im Januar das Kapitel Trump beenden soll. Brian Stelter, Medien-Chefkorrespondent von CNN, fragte kürzlich, ob es unter Biden wieder eine “normale Beziehung” zwischen dem Präsidenten und der Presse geben könne. Bidens Sprecher TJ Ducklo beruhigte, dass Biden ­von der Wichtigkeit der Medien für die Demokratie überzeugt sei. “Und ich denke, es wird, offen gesagt, das genaue Gegenteil von dem sein, was wir in den letzten vier Jahren erlebt haben”, sagte Ducklo.

Die vorgegebene Sehnsucht nach Normalität scheint kaum zu dem Ausnahmezustand zu passen, den Sender wie CNN und MSNBC täglich mitproduzieren. Aber letztlich war diese Widersprüchlichkeit immer Teil des Programms. Die Frage ist, wie beruhigend die Aussicht auf “normale” Berichterstattung nach Trump überhaupt ist.

Wie zum Beispiel wird über die Behandlung von Migrantinnen und Migranten an der US-Grenze zu Mexiko berichtet, wenn sie von einem Präsidenten Biden beaufsichtigt wird? Wie darüber, dass von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützte Reformen wie die Einführung einer flächendeckenden Krankenversicherung womöglich von der Biden-Administration nicht angeschoben werden oder Verhandlungen darüber mit einem vermutlich weiter von den Republikanern dominierten Senat scheitern? Wie werden amerikanische Medien über US-Militärschläge berichten? Wie über die Klimakatastrophe? Während viele Republikaner und manche Supreme-Court-Richter weiterhin leugnen, dass letztere eine Realität ist, scheinen auch die Demokraten bei diesem Thema keine wirklich substanzielle Vision zu haben. Ist das Dulden dieser Apathie dann Teil der Normalität? Diskussionen um Objektivität, Neutralität und journalistische Haltung werden jedenfalls nicht dadurch obsolet, dass Trump das Weiße Haus verlässt.

Und zu guter Letzt: Welche Rolle wird Donald Trump selbst in den kommenden Jahren in den Medien spielen dürfen? Werden seine Tweets weiter in den Nachrichten besprochen (so Twitter seinen Account nicht sperrt, ist Trump erst einmal nur noch ein Privatmann mit großer Gefolgschaft)? Werden seine Auftritte, sollte er sie fortführen, live im Fernsehen übertragen? Wird er gar einen eigenen Sender gründen, wie bereits spekuliert wird, und wie werden die etablierten Medien mit dem neuen Konkurrenten umgehen?

Als der New Yorker im September 2018 Stephen Bannon, den Vordenker der radikalen Rechten und ehemaligen Chefstrategen Trumps, auf das jährliche Festival des Magazins einlud, brauchte es eine Welle der Empörung und von Boykottandrohungen, bis Chefredakteur David Remnick einsah, dass ein Live-Interview mit einem faschistoiden Verschwörungstheoretiker vielleicht nicht die beste Idee sei.

Für manche Beobachter und auch Redakteure des Magazins war die Ausladung Bannons ein Zeichen der Schwäche und ein weiteres Beispiel für die Existenz von Cancel Culture. Man konnte die Entscheidung aber auch als eine Möglichkeit betrachten, wie man mit politisch gefährlichen, geradezu demokratiezersetzenden Meinungen von vornherein umgehen sollte. Es besteht nämlich die Möglichkeit, dass man sich mit rechtsextremen Ideologien beschäftigt, ohne ihren Protagonisten einen Raum zu bieten (und dadurch trotzdem nicht dessen Redefreiheit einschränkt, Bannon etwa verfügt über genug andere Kanäle, sich zu äußern); dass man jemanden wie Bannon ernst nimmt und nicht trotzdem, sondern gerade deshalb weitgehend ignoriert. Eine solche Entscheidung nennt man redaktionelle Abwägung, letztlich journalistische Unabhängigkeit.

Ignorierbar war Trump zugegebenermaßen schwer, schlicht deshalb, weil von ihm als Präsidenten zu viel Macht ausging – und derzeit immer noch ausgeht. Mit dem Tag der Amtseinführung Joe Bidens am 20. Januar 2021 werden die US-Medien vor anderen Herausforderungen in der politischen Berichterstattung stehen. Im Umgang mit dem dann Ex-Präsidenten Donald Trump wird sich dann unter anderem zeigen, welche Erkenntnisse sie aus den vergangenen vier Jahren gezogen haben.

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