Überzeugung, Feigheit, Taktik: Die Republikaner halten aus unterschiedlichen Gründen zum amtierenden US-Präsidenten. Sein Einfluss auf die Partei wird groß bleiben.
David Perdue erschien einfach nicht. Als der republikanische Senator aus dem US-Bundesstaat Georgia am Sonntag eigentlich auf einer Bühne stehen sollte, um während eines TV-Duells mit seinem demokratischen Herausforderer Jon Ossoff über politische Fragen zu streiten, stand an Perdues Stelle nur ein leeres Pult. “Wo ist Senator Perdue?”, fragte Ossoff immer wieder, nannte seinen Konkurrenten einen Feigling und plauderte ansonsten den Rest des Abends über seine Agenda.
Senator Perdue hielt es nicht für nötig, sich den Wählerinnen und Wählern noch einmal vor der Stichwahl um den Senatssitz des Bundesstaates im Fernsehen zu präsentieren. Denn in seiner Welt hat er die Wahl am 3. November gewonnen. Ein klassischer Donald-Trump-Moment. Denn auch der US-Präsident lebt in diesen letzten Wochen seiner Amtszeit so sehr wie noch nie in seiner eigenen Welt mit ihren eigenen Wahrheiten.
Die Realität in Georgia aber ist, dass Perdue bei der Wahl weniger als 100.000 Stimmen Vorsprung vor Ossoff hatte und deswegen am 5. Januar in eine Nachwahl muss. Ähnlich erging es seiner Parteikollegin Kelly Loeffler. Auch sie muss in die Stichwahl, allerdings lag die Senatorin beim ersten Votum nicht einmal vor ihrem demokratischen Herausforderer Raphael Warnock. Loeffler erschien dann zwar immerhin zu ihrer TV-Debatte gegen Warnock, schaffte es dort aber, Joe Bidens Wahlsieg nach wie vor nicht anzuerkennen. Noch so eine Trump-Wahrheit.
Es sind die Perdues und Loefflers, die der republikanischen Partei Ton und Taktik vorgeben. Das ist vor allem ein Problem für das demokratische Grundverständnis im Land, aber auch für die Zukunft der Konservativen. An diesem Dienstag ist nach der Wahl der sogenannte safe harbor erreicht, der sichere Hafen. Spätestens jetzt müssen alle Bundesstaaten ihre Stimmen gezählt, juristische Streitigkeiten geklärt und die Ergebnisse bestätigt haben. Georgia, wo Trump noch bei einem Auftritt am Wochenende mit dem angeblichen Wahlbetrug seine Zuschauerinnen angestachelt hatte, bestätigte am Montag zum dritten Mal Bidens Sieg. “Wir haben die rechtmäßig abgegebenen Stimmen nun dreimal ausgezählt, und die Ergebnisse sind unverändert”, sagte der oberste Wahlbeamte, Brad Raffensperger. Die dritte Auszählung war einer der diversen erfolglosen Versuche des Präsidenten, einzelne Wahlergebnisse irgendwie noch in seine Richtung zu biegen.
Trump wird seine Erzählung nicht verändern
Nun ist es auch juristisch für Trump vorbei, am kommenden Montag wird das Electoral College Joe Biden zum nächsten Präsidenten wählen. Trumps Erzählung wird das nicht verändern. Er wird bis zum 20. Januar aus dem Weißen Haus und danach absehbar aus seinem Ressort Mar-a-Lago in Florida gegen die angeblich gestohlene Wahl schimpfen und twittern.
Seine Partei wird sich nach der Amtsübergabe im Weißen Haus jedoch nicht auf einen Golfplatz zurückziehen und über das politische Washington, D. C., herziehen können. Die Republikaner können weiter Politik machen, was auch immer sie darunter in Zukunft verstehen werden. Das stellt sie nun jedoch vor das Dilemma, dass sie sich langsam aus Trumps Erzählung lösen müssen, der sie bislang aus unterschiedlichen Gründen treu ergeben waren: Überzeugung, Feigheit, Taktik.
Die Senatoren Loeffler und Perdue in Georgia etwa wollen in einem grundsätzlich eher konservativen Südstaat wiedergewählt werden. Die Trump-Basis dort ist groß, auch wenn Biden den Staat bei dieser Wahl knapp für sich entschieden hat. Vielen anderen Abgeordneten im Repräsentantenhaus und Senat geht es ähnlich. In zwei Jahren sind die nächsten Kongresswahlen. Wahlkampf ist eigentlich immer. Und da der Trumpismus im Land nicht verschwinden wird, werden viele Konservative weiterhin auf diese Strategie setzen, um Trumps Wählerinnen und Wählern eine Heimat zu bieten. Dazu passt, dass nur 27 Republikanerinnen im Kongress das Wahlergebnis laut einer Umfrage der Washington Post anerkennen. Zwei glauben, Trump sei der Sieger, und 220 sagen lieber einfach gar nichts.
Gleichzeitig ist nicht ausgeschlossen, dass Trump 2024 noch einmal antreten wird. Seine Macht innerhalb der Partei ist groß. Mehr als 74 Millionen Menschen haben Trump gewählt, elf Millionen mehr als vor vier Jahren und 15 Millionen mehr als Mitt Romney 2012. Ronna McDaniel ist Vorsitzende des Republican National Committee, der Parteiorganisation der Republikaner. Sie steht vor der Wiederwahl zu einer dritten Amtszeit und hat die Unterstützung von Trump. Ein deutliches Zeichen, dass der Präsident nicht daran denkt, seinen Einfluss auf die Partei aufzugeben und sich gänzlich aus der Politik zurückzuziehen. Auch wenn jede seiner Entscheidungen wankelmütig ist, der Name Trump wird den Republikanern erhalten bleiben. Denn da sind ja im Zweifel auch noch die Kinder, Don Jr. hat Gefallen an der Politik gefunden – so wie sein Vater sie betreibt. Soziale Medien wie Wahlkampfbühnen bespielt er gut.
Die Partei kann Trump nicht in den Rücken fallen
Wie schwer es für die Partei wird, zu einem demokratischen Umgang von Sieg und Niederlage und der Übergabe von Amtsgeschäften zurückzukehren, zeigt sich an William Barr. Der Justizminister hat sich bislang alles andere als kritisch oder auch nur abgrenzend gegenüber Trump gezeigt. Oft agierte er mehr wie der Anwalt Trumps anstatt wie der Justizminister des Landes. Vergangene Woche jedoch sagte Barr der Nachrichtenagentur AP, dass es für Trumps Behauptungen, die Wahl sei gestohlen, keinen Beweis gebe: “Bis heute haben wir keinen Betrug in einem Ausmaß gesehen, der zu einem anderen Wahlergebnis hätte führen können.”
Ein Satz, wie er zu einem Justizminister und seiner Rolle passt. Aber nicht zu einem Justizminister in einem Trump-Kabinett. Nur einen Tag später wurde die Frage, ob Trump noch Vertrauen in seinen Minister habe, im Weißen Haus nicht mehr beantwortet. Selten ein gutes Zeichen. Es wäre nicht die erste Entlassung kurz vor dem Ende von Trumps Präsidentschaft. Den Verteidigungsminister ließ der Präsident im November austauschen. Noch ist Barr Minister, laut New York Times erwägt er, sein Amt, das er ohnehin nur noch wenige Wochen innehat, selbst aufzugeben.
Mitch McConnell schleicht sich an
Am besten navigiert in der Partei wohl Mitch McConnell, Mehrheitsführer im Senat und einer der mächtigsten Republikaner, durch diese unsicheren letzten Wochen von Trumps Präsidentschaft. McConnell wird – sollte seine Partei die Mehrheit im Senat halten – Biden das Regieren so schwer wie möglich machen. Im Umgang mit Trump setzt er auf eine flexible Strategie: Er lässt den amtierenden Präsidenten nicht fallen, zeigt sich nicht offen illoyal. Zudem hat McConnell den Behauptungen von Donald Trump nicht widersprochen. Allerdings wiederholt er sie auch nicht direkt. Etwas geschickter formulierte er, dass jeder Präsident das Recht habe, Unregelmäßigkeiten zu prüfen. Und ebenso geschickt ließ McConnell in der vergangenen Woche, als es um die Verhandlungen eines zweiten Corona-Hilfspakets ging, einen Hinweis auf die neue Regierung fallen: “Wir alle wissen, dass es mit Jahresbeginn eine Debatte über ein weiteres Paket geben wird, abhängig von den Plänen der neuen Regierung.”
Einem Mitch McConnell rutscht das nicht einfach so heraus. So lässt es sich heranschleichen an einen neuen Präsidenten Joe Biden, dem man, wenn er dann vereidigt ist, gratulieren kann. Ohne Trump in den Rücken gefallen zu sein.
Für das Land ist es ein Problem, wenn eine der beiden bestimmenden Parteien demokratiegefährdende Behauptungen und Lügen stützt. Und dies womöglich zu einem wesentlichen Teil ihrer künftigen Kampagnenstrategie macht, wenn auch vielleicht nicht derart aggressiv und offensichtlich wie Trump. Sich von dessen Erfolg bei einer breiten Wählerschicht zu lösen, wird schwierig. Auch wenn das grundsätzliche Fragen darüber aufwirft, ob sich andere Konservative noch in der Partei wiederfinden.
So wie der Präsident Verlierer verachtet, zählt auch für die Republikanerinnen am Ende nur eines: gewinnen. Und die Wochen seit der Wahlniederlage haben gezeigt, dass sie dafür zu einigem bereit sind.
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