Falcons in the Luxury Aviary

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Falken in der Luxusvoliere

Das »Vogue«-Cover mit Kamala Harris sorgt für Empörung. Immerhin steht es nur für eine pastellfarbene Einfallslosigkeit. Andere mächtige Frauen ereilte das Fashionmagazin-Schicksal noch schlimmer.

Zu Susan Sontags Lebzeiten kursierte in New York das Bonmot, sie sei ja eine schöne Frau, sehe aber immer aus, als würde sie gerade ihre Wohnung renovieren und wäre nur mal kurz raus, um noch einen Eimer Farbe zu holen. Das waren die Siebziger-, Achtzigerjahre. Glamour war Camp, und Camp war Glamour. Humor gab es auch. Eine große, atemraubend kluge Frau, von strengem und weitem Geist, konnte lappige Hosen tragen und eine Antifrisur. Und damit eine Ikone sein, ein menschliches Wesen mit Sex, Intellekt und reflektiertem Gefühl. Mit politischem Engagement.

Das ist sehr lange her. Vielleicht hat Hillary Clinton es selbst bedauert, 1998 auf ihrem »Vogue«-Cover als Präsidentengattin zu einer Art Glücksmariechen gestylt worden zu sein – ein holdes Lächeln im blonden Jungmädchengesicht, züchtig in langem schwarzem Samtkleid auf dunkelrotem Sofa, ein üppiges Rosenbouquet als stilvoller Begleiter. Jedenfalls war die Mitteilung klar: Ihr braucht keine Angst zu haben, liebe Mitbürger, dass ich von meinem Kopf Gebrauch mache. Oder gar Einfluss nehmen will. Ich bin gezähmt. Die Botschaft hat zwar weder gestimmt noch funktioniert, aber Clinton hatte sich Mühe gegeben.

Und wer weiß, warum Michelle Obama – nicht weniger klug, gebildet und ambitioniert als Clinton – auf ihren drei Titelbildern für »Vogue«, mehr als eine Dekade später, als eine Frau posierte, von der vor allem Maniküre, trainierte Oberarmen und grandiose Roben im Gedächtnis bleiben? Vielleicht sollte die erste schwarze Flotus beides zugleich symbolisieren – Eros und Kontrolle, Hedonismus und Disziplin.

In beiden Fällen, bei Obama wie Clinton, entschieden sich alle Beteiligten für ein Styling, das jede Individualität sorgsam vermied. Kein Anhaltspunkt dafür, was diesen Frauen wichtig war, und kein Insignium von Macht. nicht mal ein Buch in Sichtweite, stattdessen: Blumen, Polstermöbel, westlich-bürgerlicher Reichtum. Anonymer Glamour.

Die Porträts sollten ikonisch und zugleich unpersönlich sein, und so sind sie ein spießiger, gelackter Krampf geworden. Die Frau auf dem Höhepunkt ihres Lebens: ein lächelndes Stylingprodukt, ohne Herkunft und ohne Spuren. Ein gefälliges Anstrengungsresultat. Ein Falke in der Luxusvoliere.

Nun hat also Kamala Harris das »Vogue«-Schicksal ereilt. Nicht als Präsidentengattin, sondern als designierte Vice President. Als erste Frau auf diesem Posten, eine nichtweiße dazu. Es gibt zwei Titelbilder von ihr für die aktuelle Ausgabe (eines fürs Heft, eines online), und sie werden – zu Recht – als äußerst kläglich kritisiert, vor allem in den sozialen Medien. Nicht »respektvoll«, heißt ein wesentlicher Vorwurf, die Redaktion hätte sich mehr Mühe geben sollen. Sie seien nicht glamourös genug.

Ja, glamourös sind sie wahrhaftig nicht. Die Vizepräsidentin der USA steht auf dem Zeitschriftencover da wie die Chefin eines Einrichtungshauses, die ihren Kunden sagt: Wenn Sie bei mir Ihre Vorhänge ordern, machen Sie keinen Fehler. Wir führen nur Qualität. Auf dem Online-Auftritt der »Vogue« tritt uns eine gepflegte Markenbotschafterin für Wellnessprodukte entgegen; diese ganze Ödnis in Hellblau (Blazer), Karamell und Beige (Vorhänge im Hintergrund) wäre ideal für ein gehobenes Drogeriemagazin.

Aber ist das wirklich das Problem? Dass, wie es heißt, es hier keinen »Wow-Auftritt« gibt?

Vielleicht ist es ein Fortschritt, dass der Redaktion dieses ikonischen Stylemagazins gar nichts mehr einfallen wollte zu dieser mächtigen, charismatischen, nichtweißen Frau als eine Rahmung in Pastell.

Die Widersprüche in der Gesellschaft sind so weit entwickelt, dass sie eine Art kreativer Starre zur Folge haben. Stil, Macht und Weiblichkeit, Arbeit und eine Politik, die einigermaßen demokratisch agieren will, ohne Pomp und Hochmut – für all das zusammen gibt es offenbar kein überzeugendes Bild. Darüber kann man wütend sein. Oder erleichtert. Es ist der ästhetische Beleg für eine angemessene Ratlosigkeit.

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