For a Few Dollars More

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Die neue US-Regierung will den Mindestlohn drastisch erhöhen. Doch nicht nur von den Republikanern, sondern auch aus der eigenen Partei kommt Widerstand.

Der Frust trieb sie zu einem Hupkonzert: In Durham, North Carolina, wollten Mitarbeiter von Fast-Food-Restaurants in der vergangenen Woche noch einmal lautstark auf ihre Situation aufmerksam machen. Riesige Schilder hielten sie dazu hoch, die auch im Vorbeifahren nicht zu übersehen waren: “Zahlt uns sofort 15 Dollar pro Stunde.” Eine Botschaft, die nicht nur an die eigenen Arbeitgeber gerichtet war, sondern auch an die Politik in Washington und vor allem an Joe Biden.

In 15 US-Städten demonstrierten Niedriglohnbeschäftigte für eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns, die der neue Präsident im Wahlkampf versprochen hatte. Er soll nun endlich dafür sorgen, dass Millionen US-Amerikanerinnen und -Amerikaner besser bezahlt werden. “Das würde mir ermöglichen, von meinem Gehalt etwas Geld übrig zu haben, um meine Familie besser mit Lebensmitteln versorgen und mir ein Auto kaufen zu können, damit ich nicht immer mit dem Bus fahren muss “, sagte etwa Ieishia Franceis, die bei einer Steakburger-Kette in Durham arbeitet, dem Guardian. Bislang bekomme sie 9,20 Dollar die Stunde.

Biden hat die Mindestlohnerhöhung zu einem seiner wichtigsten Regierungsprojekte erklärt und scheint es ernst zu meinen. Erst am vergangenen Dienstag bekräftigte der 78-Jährige in einem Wählergespräch bei CNN: “Niemand, der 40 Stunden arbeitet, sollte in Armut leben.” In Bidens geplantem Corona-Hilfspaket ist eine schrittweise Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Dollar pro Stunde bis 2025 vorgesehen – ganz so, wie Arbeitnehmerinitiativen es seit Jahren fordern.

Denn beim Mindestlohn hat sich in den USA schon seit mehr als einem Jahrzehnt nichts mehr getan. Die letzte Erhöhung wurde 2009 unter Präsident George W. Bush verabschiedet. Seitdem beträgt der Mindestlohn auf Bundesebene gerade einmal 7,25 Dollar die Stunde – bei den hohen Lebenshaltungskosten in den USA bedeutet das für viele Armut trotz Arbeit. Laut einer Musterberechnung des linken Thinktanks Center on Budget and Policy Priorities kommen Mindestlohnbezieher mit einer Vollzeitstelle gerade einmal auf 1.256 Dollar im Monat. Der Betrag ist so gering, dass demnach etwa mit zwei Kindern immer noch ein Anspruch auf Lebensmittelgutscheine im Wert von 482 Dollar besteht. Effektiv subventioniert der Staat also Hungerlöhne.

Zudem sinkt die Kaufkraft der Lohnuntergrenze. Wegen der Inflation lag sie laut Berechnungen des gewerkschaftsnahen Economic Policy Instituts (EPI) 2018 effektiv sogar um 28,6 Prozent niedriger als 1968. Wäre der Mindestlohn seit 1950 synchron mit der Produktivität gestiegen, würde er demnach aktuell knapp 21 Dollar betragen. Stattdessen arbeitet ein erheblicher Teil der US-Arbeiterschaft zu Niedrigstlöhnen. Mehr als 38 Millionen Menschen würden laut EPI von einer Mindestlohnerhöhung profitieren, davon überdurchschnittliche viele Frauen, Schwarze und Hispanics.

Dass sich am unteren Ende der Einkommensskala lange so wenig getan hat, liegt vor allem an den Demokraten. Trotz einer sicheren Mehrheit in beiden Parlamentskammern während seiner ersten beiden Amtsjahre ergriff der damalige Präsident Barack Obama lange keine Initiative zur Mindestlohnerhöhung – trotz gegenteiliger Wahlversprechen. Erst 2013, als die Demokraten im Senat keine Mehrheit mehr hatten, unterstützte er eine generelle Erhöhung auf 10,10 Dollar pro Stunde, die erwartungsgemäß scheiterte. Stattdessen verpflichtete er per Erlass bloß Unternehmen, die bundesstaatliche Aufträge erhalten, mindestens 10,10 Dollar die Stunde zu zahlen – und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung zu diskriminieren.

Erhöhung wäre äußerst populär

Wo die Demokraten versagten, machten Arbeitnehmer Druck. 2012 gründete sich die Initiative “Fight for 15” – also Kampf für 15 (Dollar), die seitdem regelmäßig mit Streiks und Kundgebungen für ihre Forderungen wirbt. Mit einigen Erfolgen: In mehreren Bundesstaaten und Kommunen wurde der Mindestlohn erhöht und auch bei den Demokraten ist das Thema drängender geworden. Als einer der ersten prominenten Unterstützer griff der linke Senator Bernie Sanders den Fight for 15 auf: Während seiner Präsidentschaftskandidatur machte er mit dieser Forderung Wahlkampf, seine damalige Gegnerin Hillary Clinton wollte dagegen nur 12 Dollar pro Stunde für Niedriglohnbeschäftigte.

Eine Erhöhung auf 15 Dollar ist äußerst populär. Bereits 2019 sprachen sich knapp zwei Drittel der Amerikanerinnen und Amerikaner dafür aus. Am Wahltag im vergangenen November entschieden sich die Bürger Floridas – einem Staat, den Donald Trump gewann – per Volksabstimmung für eine Anhebung des Mindestlohns. Und auch in der Demokratischen Partei gibt es einen breiten Konsens: Die meisten Präsidentschaftskandidaten stellten sich 2020 hinter die Forderung. Das Repräsentantenhaus verabschiedete sogar bereits 2019 ein Gesetz zur Erhöhung des Mindestlohns, wegen der republikanischen Mehrheit im Senat hatte es allerdings keine Chance.

Das ist nun anders. Die Demokraten haben in beiden Parlamentskammern wieder die Mehrheit und stellen den Präsidenten, könnten einen höheren Minestlohn also endlich durchsetzen. Bidens deutliches Bekenntnis dazu gilt als eines der wenigen Zugeständnisse an den linken Parteiflügel, der in der neuen Regierung inhaltlich und personell ansonsten kaum vertreten ist. Doch es gibt Hindernisse.

Im Senat wird es kompliziert

Da wären zunächst einmal prozedurale Fragen. Um ein Gesetz zu verabschieden, genügen theoretisch zwar 51 Stimmen im Senat. Auf die kommen die Demokraten, wenn Vizepräsidentin Kamala Harris das 50:50-Patt auflöst. Allerdings können die Republikaner die meisten Gesetze mit Endlosreden im Plenum (Filibuster) blockieren, die nur mit einer Zweidrittelmehrheit von 60 Stimmen gestoppt werden können. Und die meisten republikanischen Senatoren sind gegen eine Mindestlohnerhöhung, nur eine kleine Gruppe Abgeordneter um den ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney hat bisher Verhandlungsbereitschaft gezeigt. Allerdings gäbe es die Möglichkeit, über einen komplizierten Prozess (Budget Reconciliation) mit nur 51 Stimmen eine Mindestlohnerhöhung zu beschließen.

Dafür müssten die Demokraten allerdings nachweisen, dass sich die Maßnahme auf die Haushaltsfinanzierung und die Staatsverschuldung auswirkt. Dafür spricht eine interne Studie des Kongresses. Innerhalb der kommenden zehn Jahre würde unter anderem wegen zu erwartender Jobverluste die Staatsverschuldung demnach um knapp 54 Milliarden Dollar steigen. Angesichts einer Staatsverschuldung von knapp 28 Billionen Dollar bereits jetzt, ist das zwar ein verschwindend geringer Betrag, aber er könnte reichen, um den Mindestlohn per Budget Reconciliation zu verabschieden.

Widerstand aus der Wirtschaft

Wenn da nicht einige widerspenstige Abgeordnete in den Reihen der Demokraten wären, die eine Mindestlohnerhöhung in der geplanten Form ebenfalls ablehnen. Sie sind das zweite große Hindernis. Vor allem Senator Joe Manchin aus West Virginia sperrt sich, er will lediglich eine moderate Anhebung auf 11 Dollar pro Stunde. Das würde den Bürgerinnen und Bürgern in seinem Bundesstaat reichen, sagte Manchin Anfang Februar. Und auch andere Demokraten im Senat haben bisher kein klares Bekenntnis zu Bidens Plänen abgegeben. Wenn nur ein Demokrat dagegen stimmen würde, hätte die Mindestlohnerhöhung keine Chance.

Und auch aus der Wirtschaft regt sich erheblicher Widerstand. Wie schon nach der Finanzkrise 2009 argumentieren Kritiker einer Mindestlohnerhöhung mit einer zusätzlichen Belastung für Kleinunternehmen, die wegen der Wirtschaftskrise ohnehin mit betriebswirtschaftlichen Problemen zu kämpfen haben. Laut einer Umfrage im Auftrag des Finanznachrichtensenders CNBC würde knapp ein Drittel der US-Kleinbetriebe Mitarbeiter entlassen, wenn es zu der geplanten Anhebung käme.

Dabei wären die negativen Arbeitsmarkteffekte gesamtwirtschaftlich vermutlich verkraftbar. Die aktuelle Kongressstudie zu den gesamtwirtschaftlichen Folgen des Biden-Plans prognostiziert, dass die Mindestlohnerhöhung zwar knapp 1,4 Millionen Jobs kosten, im Gegenzug aber 900.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über die staatlich definierte Armutsgrenze heben würde. Und viele von Demokraten regierte Bundesstaaten und Städte haben in den vergangenen Jahren bereits eigene, höhere Mindestlöhne verabschiedet. Dort ließen sich insgesamt kaum Jobverluste registrieren, wie eine Ende 2019 veröffentlichte Datenanalyse der University of Massachusetts aus sieben Staaten zeigt.

Die volkswirtschaftlichen Effekte sprechen also für eine Mindestlohnerhöhung, es fehlt eher der politische Wille, den Schritt auch wirklich zu gehen. Trotz seines öffentlichen Bekenntnisses zu 15 Dollar, ging der neue Präsident vor einigen Wochen bereits davon aus, dass die Änderung es nicht in das nächste Covid-Hilfspaket schaffen werde. “Ich habe sie (in meinen Vorschlag) reingeschrieben, aber ich glaube nicht, dass sie überleben wird”, sagte Biden in einem Interview mit dem TV-Sender CBS. Besonders kämpferisch klingt das nicht.

Bei den Fast-Food-Mitarbeitern in North Carolina ist die Geduld allerdings am Ende. “Der Kongress muss seinen Worten endlich Taten folgen lassen”, sagte Ieishia Franceis am vergangenen Dienstag. “Wir sollten nicht bis zum nächsten Jahr oder noch ein Jahr warten müssen. Verabschiedet das Gesetz – und fertig!” Der Entwurf für das nächste Covid-Paket wird vermutlich Mitte März in allen Einzelheiten vorgestellt und verhandelt. Spätestens dann wird sich entscheiden, ob Arbeiterinnen und Arbeiter im Niedriglohnsektor nach Jahrzehnten des Stillstands endlich mehr Geld bekommen – oder, ob der politische Stillstand in Washington den Ärmsten im Land eine weitere Nullrunde bringt.

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