Ein Strafprozess kann Amerikas Rassismusproblem nicht lösen
Der Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder des Afroamerikaners George Floyd wird von Erwartungen überfrachtet. Doch der Jury kann man nicht auferlegen, die Wunden der amerikanischen Gesellschaft zu heilen. Ihr Auftrag ist auch so groß genug: Gerechtigkeit für das Opfer.
Die Beweislage ist klar. Acht Minuten und 46 Sekunden lang kniete der weiße Polizist Derek Chauvin auf dem Hals des unbewaffneten Afroamerikaners George Floyd. „Ich kann nicht atmen“, rief George Floyd an jenem 25. Mai 2020 so flehend wie vergeblich. Er starb an den Folgen der Gewalt.
Das Video der brutalen Tat von Minneapolis ging um die Welt. Floyds Worte „I can’t breathe“ wurden zum Motto der größten globalen Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt seit Jahrzehnten. In den USA kam es dabei mehrfach zu Gewalt.
Fast könnte man meinen, der Gerichtsprozess gegen den suspendierten Beamten Chauvin wäre nur eine Formsache. Das Ausloten einer Strafe für ein offenkundiges Vergehen. Gewissermaßen ein Tagesordnungspunkt in der Mühle eines Rechtsstaats.
Von wegen. Die Erwartungen an den Prozess, der am Montag mit der Auswahl der Geschworenen begann und dessen Hauptverfahren am 29. März starten soll, könnten höher kaum sein. Die Anklage wirft Chauvin Mord zweiten Grades und Totschlag zweiten Grades vor. Ihm droht eine lange Haftstrafe. Seine Anwälte argumentieren, Floyd habe Widerstand geleistet, sein Tod gehe auf Vorerkrankungen und Drogenkonsum zurück.
Der Schuldspruch, steht zu befürchten, wird die amerikanische Gesellschaft weiter polarisieren. Viel spricht dafür, dass es entweder heißen wird, das Gericht habe dem Druck der Straße nachgegeben und Chauvin „zu hart“ bestraft. Also: Black Lives Matter habe ein zu harsches Urteil herbeigeführt.
Oder es wird heißen, wieder einmal zeige die Justiz Nachsicht mit weißen Polizisten. Also: Nicht nur Floyds Tod, sondern auch Chauvins Urteil setze den systemischen Rassismus fort.
Die Geschworenen in Minneapolis aber tagen nicht, um Amerikas Strukturprobleme Polizeigewalt und Rassismus zu lösen. Das ist die Sache der gesamten Gesellschaft; der Kongress berät derzeit über eine Polizeireform. Die Aufgabe des Gerichts ist überschaubar und doch anspruchsvoll genug. Sie lautet: Gerechtigkeit für George Floyd.
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