Nach Jahrzehnten der Steuersenkungen will Joe Biden die Reichen in den USA zur Kasse bitten. Doch sein Plan hat Lücken – und interne Gegner.
Wer am Mittwochabend die erste große Rede des neuen US-Präsidenten vor dem Kongress verfolgte, konnte stellenweise den Eindruck gewinnen, dass der linke Senator Bernie Sanders am Mikrofon stünde – und nicht Joe Biden, jahrzehntelang ein Moderater innerhalb der Partei. “Es ist Zeit, dass Amerikas Unternehmen und das reichste Prozent der Amerikaner anfangen, ihren gerechten Anteil zu bezahlen”, rief der Commander-in-Chief. Sätze wie diese hörte man im Vorwahlkampf unter lauten Jubelschreien eher bei Sanders-Veranstaltungen, während Biden bei exklusiven Privatpartys reichen Spendern versicherte, dass sich unter seiner Präsidentschaft für sie “nichts fundamental ändern” werde.
Doch wenn Joe Biden seine Steuerpläne durch den Kongress bekommt, würde sich einiges fundamental ändern für die Reichen im Land. Nachdem in der vergangenen Woche schon mehrere Medien über die Steuerpläne der Regierung berichtet hatten, machte der Präsident am Mittwoch vor einem Millionenpublikum seine Ideen publik. “Wir werden die Schlupflöcher beseitigen, die es Amerikanern, die mehr als eine Million Dollar im Jahr verdienen, erlauben, weniger Steuern auf ihre Kapitalerträge zu bezahlen, als Amerikaner, die Gehaltschecks beziehen.” Heißt im Klartext: Die Superreichen müssen, wenn es nach Biden geht, demnächst statt eines Grenzsteuersatzes von 20 Prozent auf Kapitalerträge – wie etwa den Verkauf von Aktien und Immobilien – 39,6 Prozent Steuer zahlen. Das gleicht einer Verdoppelung und dem künftigen Spitzensteuersatz in der Einkommenssteuer, den Biden ebenfalls leicht erhöhen will. Dazu kommen in mehreren Bundesstaaten noch jeweils eigene Steuern auf Kapitalerträge und eine Investmenteinkommenssteuer von 3,8 Prozent. Mit anderen Worten: Wer sein Geld damit verdient, mit Kapitalanlagen zu handeln – und das gilt für alle Superreichen – soll demnächst ordentlich zur Kasse gebeten werden. Biden hat es sich zum Ziel gesetzt, dass Kapital künftig genau wie Erwerbseinkommen besteuert werden soll.
Ruck nach links
Bidens Pläne zeigen, dass die Demokraten in wichtigen fiskalpolitischen Fragen in den vergangenen Jahren nach links gerückt sind. Unter Obama, der von Wall-Street-nahen Clinton-Vertrauten beraten wurde, wurden George W. Bushs Steuersenkungen verlängert. Ab 2013 gab es lediglich eine kleine Steuererhöhung für Kapitalerträge zur Finanzierung der Gesundheitsreform Obamacare. Insgesamt gesehen kannten Steuern für Anleger und Wohlhabende in den vergangenen Jahrzehnten mit wenigen Ausnahmen nur einen Weg – nach unten. Laut Berechnungen der beiden Wirtschaftswissenschaftler Gabriel Zucman und Emmanuel Saez zahlten die reichsten 400 US-Familien 1950 insgesamt noch knapp 70 Prozent Steuern auf ihr Einkommen. 2018 waren es demnach nur noch knapp 23 Prozent. Die untere Hälfte der Einkommenshaushalte zahlte dagegen 24,2 Prozent Steuern, das ist sogar geringfügig mehr als noch 1950.
Auch unter demokratischen Regierungen änderte sich an der ungleichen Steuerbelastung wenig – vor allem, weil seit den Neunzigerjahren immer mehr Wall-Street-nahe Berater in der Demokratischen Partei Fuß fassten. Erst nach der Finanzkrise 2008 und der daran anschließenden Occupy-Demonstrationen bildete sich eine breitere Bewegung zur höheren Besteuerung von Kapitalerträgen und generell hoher Vermögen. Vor allem der bekennende Sozialist Bernie Sanders und später auch die Finanzexpertin und Senatorin aus Massachusetts, Elizabeth Warren, warben für Steuererhöhungen, konnten sich mit ihren Forderungen jedoch nie durchsetzen. Denjenigen, die für Umverteilung warben, fehlte die politische Macht. Statt den beiden linken Präsidentschaftskandidaten setzte sich auch bei den Präsidentschaftsvorwahlen im vergangenen Jahr Joe Biden durch, der während seiner jahrzehntelangen Amtszeit als US-Senator eher als Freund der Finanzindustrie bekannt war und im Wahlkampf zahlungskräftige Privatspender umgarnte. Gleichzeitig hatte Biden schon im Wahlkampf eine Erhöhung der Kapitalertragssteuer in Aussicht gestellt.
Allerdings ist es in der US-Politik üblich, dass so manche Wahlkampfforderung nach der Stimmabgabe unter den Tisch fällt. Die versprochene Mindestlohnerhöhung etwa, mit der Biden beim linken Parteiflügel im Sommer um Unterstützung warb, schaffte es aufgrund von innerparteilichem Widerstand und verfahrensrechtlichen Problemen nicht in das Covid-Hilfspaket vom März. Dass Biden es mit der Kapitalertragssteuer nun ernster zu meinen scheint, hat einen simplen Grund. Seine politischen Vorhaben sind kostspielig. Das erwähnte Covid-Hilfspaket kostet rund 1,9 Billionen Dollar, das geplante Infrastrukturpaket mehr als zwei Billionen Dollar, sein neuester Plan zur Unterstützung von Familien soll 1,8 Billionen Dollar kosten. Um diese Vorhaben zu finanzieren, braucht es Bewegung auf der Einnahmenseite des Bundes. 1,5 Billionen Dollar will Biden in den kommenden zehn Jahren mit den geplanten Steuererhöhungen einnehmen.
Mit seinen Forderungen sorgte der 78-Jährige in der Finanzwelt für Aufregung – zumindest kurzfristig. Nachdem Bidens Pläne am Donnerstag bekannt wurden, verlor der S&P-500-Index, der in den vergangenen Wochen neue Rekorde vermeldet hatte, rund ein Prozent an Wert. Allerdings währte der Mini-Frust an der Börse nur kurz. Mittlerweile sind die Indexe wieder im Aufschwung.
Das hat vermutlich mehrere Gründe. Die Steuererhöhung soll, wie Biden selbst am Mittwoch sagte, nur für die oberen 0,3 Prozent der vermögenden Haushalte gelten. Wer weniger als eine Million Dollar im Jahr verdient, ist nicht davon betroffen. Das gleiche gilt etwa für Pensionsfonds. 75 Prozent der Anleger sind von der Steuererhöhung deshalb nicht betroffen. Zudem haben Wissenschaftler jetzt schon Schlupflöcher entdeckt. Laut einer Studie der University of Pennsylvania könnten Superreiche mit diversen Steuervermeidungsstrategien rund 90 Prozent der neuen Steuer vermeiden. Da die Steuer nur anfällt, wenn Anlagen verkauft werden, könnten Aktienbesitzer zum Beispiel einfach vermeiden, ihre Wertpapiere zu verkaufen. Es ist zudem möglich, Verluste zu verrechnen. Statt 1,5 Billionen Dollar kommen die Forscher aus Pennsylvania zu dem Schluss, dass die neue Steuer in den kommenden zehn Jahren nur rund 113 Milliarden Dollar abwerfen könnte. Eine generelle Besteuerung hoher Vermögen, wie Sanders und Warren vorschlagen, könnte Abhilfe schaffen – aber Biden lehnt diese Maßnahme ab.
Details im Gesetzesentwurf
Und so wird die Wirkungskraft der erhöhten Kapitalertragssteuer von Details im Gesetzesentwurf abhängen, der allerdings noch nicht vorliegt. Darin dürfte dann auch eine Erhöhung der Einkommenssteuer formalisiert werden. Biden will den Spitzensteuersatz für Großverdiener ab 400.000 Dollar Jahreseinkommen von 37 auf 39,6 Prozent anheben. Damit würde er die Steuersenkungen seines Amtsvorgängers Donald Trump in diesem Bereich weitgehend rückgängig machen.
Mit 400.000 Dollar ist das Jahreseinkommen für Familien allerdings ungewöhnlich hoch angesetzt. Barack Obama hatte die Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz in seinen Reformvorschlägen noch mit 250.000 Dollar beziffert. Womöglich macht Biden mit seinem Grenzwert dem eigenen Klientel ein Wahlgeschenk. Im Einkommensbereich von bis zu 400.000 Dollar tummeln sich jene wohlhabende Vorstadtwähler und Akademiker, die immer mehr zur stabilen Wählerbasis der Demokraten werden.
Ein weiteres Geschenk für Geldgeber der Demokraten könnte die Abschaffung der Deckelung der sogenannten Salt Tax sein, für die vor allem der Establishmentflügel der Demokraten wirbt. In vielen Hochburgen der Demokraten wie New York und Kalifornien zahlen Bürger neben Steuerabgaben für den Bund auch hohe Abgaben an Kommunen und den Bundesstaat. Seit der Trumpschen Steuerreform von 2017 lassen sich maximal 10.000 Dollar Bundesabgaben auf diese Kommunal- und Landessteuern anrechnen. Viele demokratische Abgeordnete wollen die Deckelung abschaffen, was hohen Einkommensbeziehern im Stammwählerland der Demokraten zugute käme. Es ist durchaus möglich, dass Biden diese Maßnahme in den Gesetzesentwurf aufnehmen muss, um eine parlamentarische Mehrheit für seine Reform zu gewinnen.
Überhaupt ist es unwahrscheinlich, dass Bidens Vorschläge eins zu eins in Gesetzesform übersetzt werden. Schon bei der moderaten Unternehmenssteuerreform stieß der neue Präsident auf Widerstand in der eigenen Partei. Vor allem Joe Manchin, Senator aus West Virginia, hat bisher bei allzu durchgreifenden Reformen sein Veto eingelegt. Da die Demokraten im Senat nur über eine hauchdünne Mehrheit verfügen, kann Manchin mit einer Stimmenthaltung jedes Gesetz zu Fall bringen – eine Machtposition, die der 73-Jährige nur allzu gern ausnutzt.
Vermögenssteuern für Superreiche
Dennoch ist es möglich, dass Joe Biden zumindest einen Teil seiner Pläne umsetzt. Die Bevölkerung hat er dabei hinter sich. Laut einer aktuellen Umfrage von Morning Consult befürwortet mehr als die Hälfte der Wählerinnen und Wähler höhere Steuern für Großverdienende und Unternehmen. Auch Vermögenssteuern für Superreiche sind äußerst beliebt. Alles hängt nun davon ab, wie entschlossen Joe Biden seine Pläne durchzusetzen versucht. Bisher hat der US-Präsident zwar mit kämpferischer Rhetorik und ambitionierten Plänen von sich reden gemacht, bei den Verhandlungen über den Mindestlohn allerdings klein beigegeben.
Die amerikanischen Wähler, von denen knapp 27 Millionen Bidens Rede am Mittwoch verfolgten, werden nun sehr genau registrieren, ob der neue Präsident seinen Worten Taten folgen lässt. Die nächsten Kongresswahlen sind bereits im kommenden Jahr. Im Normalfall verliert die Partei des amtierenden Präsidenten bei den Midterms Sitze. Aufgrund der knappen Mehrheiten in beiden Parlamentskammern wäre selbst bei geringen Verlusten die Mehrheit für neue Gesetze verloren. Biden könnte in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit ohne Zustimmung der notorisch kompromissresistenten Republikaner kein einziges Vorhaben mehr durchsetzen. Verluste im November 2022 wären nur zu verhindern, wenn Biden seine Agenda durchsetzt. Dem Präsidenten bleibt also kaum eine Wahl: Er muss liefern.
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