A Mediator without Ambition

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Joe Biden wäre schon zufrieden, wenn in Nahost einfach wieder Ruhe einkehrte. An eine Lösung des Konflikts scheint er nicht zu glauben, seine Prioritäten liegen woanders.

Die Gewalt in Nahost mag dieser Tage erneut die Schlagzeilen bestimmen, aus Sicht der USA war das Thema schon länger nicht mehr die oberste Priorität. China stand ganz oben auf dem Zettel, neben der Pandemie- und Krisenpolitik im eigenen Land, Russland und Iran, der Klimaherausforderung und vielem mehr. Die Regierung in Washington übte sich in Zurückhaltung, auch aus ganz praktischen Gründen. Man wusste ja nicht einmal, mit wem man es in Israel künftig zu tun haben würde.

Premier Benjamin Netanjahu jedenfalls schien zuletzt ein Mann ohne Zukunft zu sein. Gleiches galt für Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Hinzu kamen Startschwierigkeiten, die auch mit dem Erbe des abgewählten Donald Trump zusammenhängen. Dann knallte es wieder, und alles blickte auf Joe Biden. Doch viel zu sehen gab es bislang nicht. Denn der US-Präsident weiß, dass er den Konflikt zwischen Israel und den militanten Palästinensern zwar nicht ignorieren, aber genauso wenig lösen kann.

Es gilt die Hoffnung, wie Biden es vergangene Woche nach einem Telefonat mit Netanjahu formulierte, dass “diese Angelegenheit eher früher als später ein Ende findet”. Die USA würden mit beiden Seiten zusammenarbeiten, um eine “dauerhafte Ruhe” zu erreichen, sagte er am Sonntag. Außenminister Antony Blinken telefoniert in der Region jedes Land mit Einfluss durch. In Israel ist inzwischen der eilig aus Washington beorderte Nahost-Diplomat Hady Amr eingetroffen. Der gehörte bereits der Obama-Regierung an, hat gute Kontakte zu Israelis wie Palästinensern, steigt jetzt aber dennoch nur akut in die Bearbeitung des Konflikts ein, um vielleicht ein vorläufiges Ende der Gewalt zu beschleunigen – was danach kommt, dafür gibt es anscheinend keinen Plan. Eine gemeinsame Haltung des UN-Sicherheitsrats blockieren die USA weiterhin, vorgeblich, um die Friedensbemühungen auf anderen Kanälen nicht zu behindern, die “unermüdlich” fortgesetzt würden.

Was sich gerade abspielt, ist, mit zynischem Washingtoner Blick betrachtet, der lang eingeübte Ablauf jeglicher Eskalation zwischen Israel und den militanten Palästinensern. Die radikale Hamas und der vom Iran gestützte Islamische Dschihad in Palästina lassen ihre Raketen fliegen, Israel reagiert mit überlegener militärischer Stärke, zerstört Tunnelsysteme, Waffenlager, Infrastruktur, schaltet Führungspersonal aus. Die USA lassen derweil keinen Zweifel an Israels Recht auf Verteidigung aufkommen. Die Terrorbrigaden toben, solange sie können. Am Ende steht eine Waffenruhe, etwa unter Vermittlung Ägyptens oder Katars und der Amerikaner. Beide Seiten halten wieder still – beziehungsweise rüsten sich für die nächste Runde. Hunderte Tote müssen begraben werden, aber der Status quo siegt.

Verteidigung “mit voller Wucht”

Bis dahin will Biden kommen, doch erst einmal bestimmt Netanjahu das Geschehen. “Es wird einige Zeit dauern”, sagte der israelische Premier am Sonntag: “Unsere Kampagne gegen die Terrororganisationen wird mit voller Wucht fortgesetzt.” Und wie auch immer die diplomatischen Bemühungen der USA inhaltlich aussehen mögen, konnte er auf den internationalen Rückhalt für diesen Einsatz verweisen und insbesondere Biden für seine “unmissverständliche” Unterstützung danken. Für den US-Präsidenten dürfte es außer Frage stehen, von Israels Seite zu weichen. Doch er betont ebenso dessen “Recht, sich zu verteidigen, wenn Tausende Raketen in sein Territorium fliegen”, wie er per Videobotschaft festhält, “dass Palästinenser und Israelis gleichermaßen ein Leben in Sicherheit und Geborgenheit verdienen”. Das eine ist eine klare Haltung, das andere der Versuch, sich neutral zu geben.

Nun ist es nicht so, dass Bidens Position gegenüber Israel gleichermaßen kompromisslos wäre wie die seines Vorgängers Trump. Was der als “Deal des Jahrhunderts” für den Nahen Osten versprach, war im Grunde ein Freibrief für Israel zulasten der Palästinenser. Zugleich schaffte er es irgendwie, eine Annäherung Israels an mehrere arabische Staaten zu vermitteln. Letzteres hat auch Biden anerkannt, zugleich distanzierte er sich durchaus von Israels Annexionsplänen im Westjordanland, befürwortet eine Zweistaatenlösung, und die finanzielle Unterstützung der Palästinenser wird wieder aufgenommen. Dennoch hält er sich weiterhin mit direkter Kritik zurück. Es ist eben ein schwieriges Feld, auf dem es wenig zu gewinnen gibt.

Dass die USA Schwierigkeiten haben, eine wirklich führende Rolle in der Befriedung des Konflikts einzunehmen, dürfte aber nicht nur der leider realistischen Einschätzung geschuldet sein, dass eine Lösung ohnehin nicht zur Debatte steht. Selbst wenn sie wollten, sind sie vier Monate nach Bidens Amtsübernahme längst nicht so aufgestellt, wie es nötig wäre. Barbara Leaf als Top-Nahostdiplomatin in Washington muss noch vom Senat bestätigt werden, ein neuer US-Botschafter für Israel ist noch nicht einmal nominiert. Das Konsulat in Jerusalem war, als die Botschaft noch in Tel Aviv saß, vor allem ein Verbindungsbüro zu den Palästinensern – mit der Verlegung wurde es geschlossen, auch das eine Belastung für ein stärkeres Engagement, falls gewünscht.

“Apartheidstaaten sind keine Demokratien”

Eher weniger lässt sich Biden derzeit noch aus seiner eigenen Partei unter Druck setzen. Abgeordnete des linken Flügels wie Alexandria Ocasio-Cortez oder Rashida Tlaib machen mit pauschalen Angriffen auf Israel von sich reden: “Apartheidstaaten sind keine Demokratien”, twittern sie. Oder etwa Ilhan Omar, die es “ekelhaft und unmoralisch” nennt, dass die USA die Gewalt unterstützten. Der linke Senator Bernie Sanders schreibt in der New York Times, der Umgang mit den Palästinensern sei ein “System politischer und wirtschaftlicher Unterdrückung”, den Raketenbeschuss der Hamas nennt er zwar “absolut inakzeptabel”, aber er meint auch, die USA müssten aufhören, die Netanjahu-Regierung zu verteidigen. Mehr als 20 Demokratinnen und Demokraten fordern in einem Brief an Biden, dass er mehr Druck auf Israel ausübt, um die Vertreibung von Palästinensern aus ihren Häusern zu stoppen.

Wie gesagt, an Bidens Haltung zur aktuellen Eskalation ändert das vorerst nichts. Die Reaktionen zeigen aber, dass für den US-Präsidenten nicht nur außenpolitisch im Nahen Osten wenig Greifbares erreichbar ist, sondern es auch innenpolitisch schnell kompliziert werden kann, so stark die Israel-Lobby in Washington auch sein mag. Die USA dürften jedenfalls vorrangig das Interesse haben, die Lage zu beruhigen, ohne selbst dabei Schaden zu nehmen. Gerade vor dem Hintergrund der Bemühungen, das internationale Atomabkommen mit dem Iran wieder zur Geltung zu bringen, wird Biden niemandem unnötig in den Arm fallen wollen – Israel am allerwenigsten. Er wird den Konflikt vorsichtig managen müssen, bevor überhaupt wieder an den Versuch seiner Lösung zu denken ist.

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