Das alte amerikanische Schutzversprechen ist eine gefährliche Illusion
Joe Biden kommt nach Europa – „um die Demokratien zusammenzubringen“. Die Versuchung für Europa ist groß, sich auf das alte amerikanische Schutzversprechen zu verlassen. Doch das wäre eine gefährliche Illusion. Vor allem Deutschland hat viel aufzuholen.
Er komme nach Europa, „um die Demokratien zusammenzubringen“, schrieb Joe Biden in der „Washington Post“ – kurz vor seiner ersten Auslandsreise, die ihn am Mittwoch zunächst nach Großbritannien und später nach Brüssel und Genf führt. Und der US-Präsident erklärte: Er komme auch, um „die Fähigkeit von Demokratien zu verdeutlichen, beides zu tun: den Herausforderungen zu begegnen und die Bedrohungen dieses neuen Zeitalters abzuwehren“.
Der Westen hat lange darauf gewartet, dass ein US-Präsident sich wieder so selbstverständlich den Mantel der demokratischen Führungsmacht anzieht, wie Biden es derzeit tut. Denn anders als Trump glaubt Biden tatsächlich, dass Amerika eine Mission in der Welt hat, die über bloßen nationalen Eigennutz hinausgeht. Weil er wie viele andere Präsidenten vor ihm weiß, dass es um Freiheit und Demokratie in der Welt nicht gut bestellt ist, wenn Amerika sich nicht als Anker und Verteidiger dieser Werte versteht. Und wenn die USA den Raum der Freiheit gegen die Attacken der Autokraten und Diktatoren nicht verteidigen.
Biden ist tief in den transatlantischen Beziehungen verwurzelt. Wenn er nun Amerika wieder zentral in jener Rolle platziert, die es in den vergangenen Jahrzehnten in Europa eingenommen hat, dann liegt darin aber auch eine gefährliche Versuchung für den alten Kontinent. Die Versuchung nämlich, es sich wieder bequem einzurichten im amerikanischen Schutzversprechen und von den guten alten Zeiten zu träumen.
Doch das wäre eine gefährliche Illusion: Mit China ist dem Westen ein gefährlicher Konkurrent erwachsen, der viel früher aggressiv auf der Weltbühne auftritt, als viele es erwartet hatten. Und die zunehmende Kooperation zwischen Moskau und Peking macht nicht nur Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg Sorgen.
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, braucht der Westen nicht nur eine selbstbewusste Führungsmacht, sondern auch ein Europa, welches eine adäquate strategische Kultur entwickelt, die sich auf Augenhöhe mit Washington bewegt.
Davon ist gerade bei der europäischen Führungsmacht Deutschland leider weiter wenig zu sehen, die Außenpolitik noch immer vor allem als Außenwirtschaftspolitik sieht, wovon etwa das geostrategische Desaster der Nord-Stream-2-Pipeline beredtes Zeugnis ablegt.
Amerika ist zurück als Führungsmacht, das ist die gute Nachricht. Nun ist es an Europa, in der Außen- und Sicherheitspolitik zu einem Partner zu werden, der mehr zu bieten hat als früher. Vor allem, wenn es darum geht, den Westen und seine Werte gegen die neuen Herausforderungen zu verteidigen.
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