Die Regierung von US-Präsident Joe Biden freut sich über vordergründig hervorragende Arbeitsmarktzahlen. Doch vor allem junge Menschen haben immer noch große Probleme.
Brian Deese war bester Laune, als er in der vergangenen Woche im Briefing-Raum des Weißen Hauses ans Podium trat. Der Nationale Wirtschaftsberater von US-Präsident Joe Biden hatte gute Nachrichten zu verkünden. Gerade hatte das Arbeitsministerium neue Arbeitsmarktzahlen veröffentlicht – und sie waren hervorragend. Mehr als drei Millionen Jobs seien unter der Führung der Biden-Administration bislang entstanden, so Deese. “Wir machen in allen Bereichen Fortschritte.”
Tatsächlich kann sich die US-Regierung in diesen Tagen über ausgezeichnete Wirtschaftszahlen freuen. Ein gutes Jahr nach dem durch die Corona-Krise ausgelösten Schock befindet sich das Land im Aufschwung. Die Wachstumsrate dürfte 2021 die höchste seit Jahrzehnten werden, die Arbeitslosenquote ist von ihrem Höhepunkt von fast 15 Prozent stabil auf unter sechs Prozent gefallen. Damit liegt sie zwar immer noch fast doppelt so hoch wie vor Ausbruch der Pandemie, doch die Trendlinie stimmt Analysten zuversichtlich. Bereits in den kommenden Monaten könnten die Vereinigten Staaten laut der Federal Reserve Bank von Dallas zur Vollbeschäftigung zurückkehren. Der Corona-Absturz, er würde damit der Vergangenheit angehören. Zumindest auf dem Papier.
Doch unter der Oberfläche sieht es auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt nicht annähernd so rosig aus – vor allem nicht für junge Erwachsene. Zwar ist auch die Arbeitslosenquote für 20- bis 24-Jährige seit den Shutdowns des Frühjahrs 2020 deutlich gesunken – von mehr als 25 Prozent auf heute knapp über zehn Prozent –, doch dieser Rückgang erzählt nicht die ganze Geschichte. Denn die Arbeitslosenquote zählt nur die potenziell Beschäftigten, die aktiv nach Arbeit suchen. Das allerdings haben mehrere Millionen Menschen in den USA mittlerweile vollständig aufgegeben, unter ihnen viele Junge.
Junge Erwachsene verabschieden sich vom Arbeitsmarkt
Eine Analyse des Center For Economic Policy Research (CEPR), ein progressiver Thinktank in Washington, D.C., kam jüngst zu erschreckenden Ergebnissen. Demnach hatten in den ersten Monaten dieses Jahres fast vier Millionen 20- bis 24-Jährige in den USA weder einen Job noch befanden sie sich in Aus- oder Weiterbildung. Das entspricht mehr als 18 Prozent dieser Alterskohorte. Damit liegt die entsprechende Kennziffer, NEET-Rate genannt, derzeit immer noch deutlich höher als vor der Pandemie. Minderheiten sind besonders stark von dem Anstieg betroffen.
Unter diesen knapp vier Millionen jungen Erwachsenen dürften sich auch solche befinden, die dem US-Arbeitsmarkt in den vergangenen Monaten den Rücken gekehrt haben. Und sie sind nicht die einzigen. Die Labor Participation Rate, also der Anteil der Bevölkerung, der einen Job hat oder aktiv nach einem sucht, liegt derzeit immer noch zwei Prozentpunkte unter dem Vor-Corona-Niveau. Was nach einem kleinen Ausschlag klingt, steht für hohe absolute Zahlen. Im Juni gab es in den Vereinigten Staaten immer noch rund sieben Millionen weniger Jobs als vor der Pandemie.
Neben jungen Erwachsenen haben sich vor allem Frauen vom Arbeitsmarkt zurückgezogen. Sie haben in Zeiten von Schulschließungen deutlich häufiger als Männer ihre Jobs aufgegeben, um Familienarbeiten zu übernehmen. Zur Jobsuche kehren sie erst langsam zurück. Hinzu kommen Ältere, die sich in größeren Zahlen als vor der Pandemie in den Ruhestand verabschiedet haben.
Langfristige Schäden
Der Abschied der Jüngeren löst bei Beobachtern aber besondere Sorge aus. Denn selbst wenn sie bald in den Arbeitsmarkt oder in die Ausbildung zurückkehren könnte die Pause ihnen langfristig schaden. Das zeigte unter anderem eine CEPR-Auswertung amerikanischer Zensus-Daten, die sich mit den Folgen der Finanzkrise 2008 beschäftigte. Demnach waren junge Arbeitskräfte, die damals ihren Job verloren, auch Jahre später noch stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als ältere Beschäftigte, die während des Abschwungs ebenfalls ihre Stelle verloren hatten.
Die Auswirkungen dieser Entwicklung sind über ein ganzes Leben zu spüren. Ein Beispiel: Während mehr als die Hälfte aller amerikanischer Babyboomer im Alter von 30 Jahren ein Eigenheim besaßen, sind es bei Millennials, die von der Finanzkrise früh in ihrem Berufsleben voll getroffen wurden, nur 42 Prozent. Der durchschnittliche Käufer einer Immobilie in den Vereinigten Staaten ist heute 55 Jahre alt. Ein Rekordwert.
Schnelles Wachstum könnte Auswirkungen abfedern
Für die “Lockdown-Generation” könnten die Schäden nun noch weitreichender sein. Bereits im vergangenen Jahr, als deutlich wurde, wie sehr die Pandemie junge Erwachsene beeinträchtigen würde, warnte das Institut Helvetas vor den globalen und langfristigen Folgen von Corona. Die Pandemie-Zeit könnte zu einem vertieften Gefühl der Ungerechtigkeit führen, zu lang anhaltender Unzufriedenheit – und damit gar zu sozialen Unruhen.
Solche Horrorszenarien halten allerdings nicht alle Expertinnen und Experten für die wahrscheinlichste Folge der hohen NEET-Rate. Insbesondere nicht mit Blick auf die USA. “Ich denke, das Protestrisiko war während der Lockdowns im vergangenen Jahr deutlich höher”, sagt Tara Sinclair, Wirtschaftsprofessorin an der George Washington University.
Sinclair glaubt nicht, dass die heute 20- bis 24-Jährigen langfristig so unter dem Corona-Knick leiden werden wie die Millennials unter der Finanzkrise. “Die Situation ist eine völlig andere”, sagt sie. Zum einen hätten potentielle Arbeitgeber damals oft die Schuld für den Jobverlust bei den Betroffenen gesucht. Das sei bei Corona anders. “Die Pandemie hat jeden in irgendeiner Form berührt”, sagt die Professorin. Dass man im Sommer 2020 plötzlich ohne Job dastand, werde man in künftigen Bewerbungsgesprächen kaum erklären müssen.
Der Aufschwung kommt diesmal schneller
Hinzu kommt, dass der schnelle wirtschaftliche Aufschwung mögliche Lücken im Lebenslauf deutlich verkürzen könnte. Nach der Finanzkrise erholte sich die amerikanische Wirtschaft nur langsam. Es dauerte Jahre, bis das Vorkrisenniveau wieder erreicht und auch die NEET-Rate für junge Erwachsene gesunken war. Das dürfte bei Corona anders sein – und könnte damit auch die Auswirkungen des verlorenen Pandemiejahres abfedern. “Für viele junge Erwachsene dürfte Covid Erfahrungen und Abschlüsse nur verzögert haben”, sagt Sinclair. Dass dies langfristig negative Auswirkungen hat, sei jedoch – anders als bei Schulkindern – alles andere als erwiesen. Der Boom könnte das Problem also lösen, bevor es wirklich entsteht.
Tatsächlich weist der Trend in diese Richtung. Die NEET-Rate ist zwar immer noch hoch, im Vergleich zum vergangenen Jahr ist sie jedoch bereits wieder gesunken. Je mehr Corona-Beschränkungen zurückgenommen werden, desto schneller dürfte es gehen. Denn der Großteil der betroffenen jungen NEET-Erwachsenen war vor den Shutdowns ins Jobs tätig, die sich nicht ins Homeoffice verlagern ließen, etwa in Restaurants oder im Einzelhandel. Diese Jobs kommen derzeit zumindest teilweise wieder zurück. Aktuell klagt die Wirtschaft hier ehr über Arbeitskräftemangel als über ein Überangebot an Bewerbern. Im Bereich der Aus- und Weiterbildung ist das Vorkrisenniveau sogar schon wieder erreicht.
All das werde dafür sorgen, dass die Beteiligung junger Erwachsener am Arbeitsmarkt bald ebenfalls wieder steigen werde, glaubt Ökonomin Sinclair. “Ich mache mir im Moment eher Sorgen um diejenigen, die schon einen Job suchen und keinen finden”, sagt sie.
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