Who Fought in Afghanistan?

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Das Scheitern am Hindukusch wird gerne mit dem Vietnamkrieg verglichen. Doch heute ist eine ganz andere US-Armee im Einsatz – die sich nun vergessen fühlt.

Der chaotische Rückzug der USA aus Afghanistan und seine grausamen Folgen für die dortige Bevölkerung sind nicht zu entschuldigen. Doch unerwartet kommt das Debakel nicht. Präsident Biden macht wahr, was seine Vorgänger Donald Trump und Barack Obama versprochen hatten. Denn die Geduld der amerikanischen Bevölkerung mit dem Forever War, dem ewigen Krieg, ist schon lange zu Ende. Vor allem bei den Familien, die auf der amerikanischen Seite Opfer brachten, an deren Sinn sie immer mehr zweifelten. 2.448 US-Soldaten und Soldatinnen starben bei ihrem Einsatz in dem Land. Von den 4,6 Millionen Heimkehrern aus den Kriegen im Irak und in Afghanistan sind rund 40 Prozent versehrt.

Wer kämpfte knapp 20 Jahre lang für die USA am Hindukusch? Die Antwort erklärt auch, warum Trump, der selbst nie gedient hat, bei den Angehörigen des Militärs eine so hohe Zustimmung genießt. Er hatte im Wahlkampf versprochen, die US-Truppen endlich nach Hause zu bringen.

Für die Mehrheit der US-Amerikaner ist der unpopuläre Krieg in den vergangenen Jahren immer mehr in den Hintergrund geraten. Das verstärkte bei den Soldaten, Soldatinnen und deren Familien das Gefühl, damit auch vergessen und missachtet zu werden. Der Großteil der Truppe rekrutiert sich aus wenigen Regionen, ja aus wenigen Familien, vor allem aus den wirtschaftlich schwächeren Südstaaten. So meldeten sich etwa 2019 mehr als doppelt so viele Rekruten aus Fayetteville im Bundesstaat North Carolina, wo der Stützpunkt Fort Bragg liegt, als aus Manhattan. Und das, obwohl Manhattan achtmal so viele Einwohner hat wie Fayetteville. Viele der neuen Soldaten und Soldatinnen stammen aus Familien, die seit mehreren Generationen zum Militär gehen. Die Armee als eine Art Familienbetrieb, wie die New York Times es einmal beschrieb.

Das Scheitern in Afghanistan wird gerne mit dem verlorenen Vietnamkrieg verglichen. Doch es gibt einen wichtigen Unterschied. Die US-Soldaten, die in Vietnam kämpften, waren zum Militärdienst eingezogen worden. Erst 1973 wurde der Wehrdienst in den USA aufgehoben. Seither ist die US-Truppe ein Freiwilligenheer. Und seither hat sich auch sehr verändert, wer für Amerika in den Krieg zieht.

In den Achtzigern kam die Bezeichnung Poverty Draft – “Armutswehrdienst” – auf. Hatte zuvor das Gesetz junge Männer gezwungen, Soldaten zu werden, waren es nun zunehmend wirtschaftliche Zwänge. Die Armee, mit einer Truppenstärke von rund 1,3 Millionen, bietet einen sicheren Arbeitsplatz und soziale Absicherung, nicht zuletzt eine Krankenversicherung. Alles Vorteile, die in Amerika in der privaten Wirtschaft alles andere als eine Selbstverständlichkeit sind.

Vor einigen Jahren, als die Kriege im Irak und in Afghanistan in vollem Gange waren, begegnete ich auf einer Recherche in einem jener Viertel in Cleveland im Bundesstaat Ohio, dessen vorwiegend schwarze Bewohner den Kampf gegen Armut und Benachteiligung schon lange verloren hatten, einem 17-jährigen Mädchen. Diamond, wie sie sich nannte, beeindruckte mich mit ihrer wachen Art so sehr, dass ich sie fragte, was sie denn einmal werden wolle. Sie wolle später gerne studieren, sagte sie. Vielleicht was mit Computern. Aber erst einmal würde sie zur Armee gehen. Denn ihrer Familie fehlten die Mittel, ihr eine weitere Ausbildung nach der Highschool zu bezahlen.

Das Militär bietet Rekruten Vorteile

Weil selbst ein Studium an einem öffentlichen College Tausende Dollar an Studiengebühren kostet, sind die Beihilfen, die das Pentagon Soldatinnen und Soldaten gewährt, die studieren wollen, attraktiv für junge Amerikanerinnen wie Diamond. Der Anteil der Minderheiten in der Truppe ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Noch 2004 waren rund 36 Prozent schwarze Amerikaner, Latinos oder asiatische Amerikaner. 2017 belief sich ihr Anteil auf 43 Prozent.

Für Migranten und Migrantinnen bietet der Militärdienst noch einen Vorteil. Das Militär kann zwar niemandem die Staatsbürgerschaft verleihen. Aber es verheißt dennoch eine Beschleunigung ihres Einbürgerungsprozesses. Der Zustrom, den das US-Militär in den ersten Jahren nach den Terroranschlägen des 11. Septembers erlebte, ist angesichts der blutigen Realitäten des Krieges längst verebbt. Zuletzt hatten die Werber Schwierigkeiten, die erforderliche Zahl von jährlich 150.000 Rekruten zu finden.

Umso wichtiger wurde es, Zielgruppen anzusprechen, für die das Versprechen, Teil des amerikanischen Traums zu werden, noch verlockend ist. Vor ein paar Wochen besichtigten mein 13-jähriger Sohn und ich eine öffentliche Highschool in Brooklyn in New York, die für ihn in die engere Auswahl kam. Dort begrüßten uns Teenager in Camouflage-Anzügen und Paradeuniform. Sie stellten den Junior Reserve Officers’ Training Corps – kurz JROTC – der Schule vor. Auch warben sie für zusätzliche Kurse und andere Aktivitäten, darunter “Drill-Wettbewerbe, Ehrenwachen und Paraden”. Einmal im Schuljahr gibt es einen Ball für die minderjährigen Kadetten. An den Wänden hingen Porträts von ehemaligen Absolventen, die Karriere beim Militär gemacht haben.

Rund 30 Prozent der Schüler dieser Highschool sind Hispanics, weitere 30 Prozent sind asiatische Amerikaner. Mehr als 70 Prozent der Schüler stammen aus Familien, deren Einkommen so niedrig ist, dass die Kinder nur einen geringen Betrag oder gar nichts für das Schulessen bezahlen müssen. Mit den JROTC würden doch Kinder zur US-Armee gelockt, die dann später in den Krieg geschickt würden, empörte sich mein Sohn. Ein Preis, den viele junge Rekruten in den vergangenen zwei Jahrzehnten tatsächlich zahlten.

Nicht alle kommen damit zurecht. Statistisch gesehen begehen jeden Tag 18 Kriegsveteranen Suizid. Und noch immer erinnere ich mich an die Reportage des Fotografen Ashley Gilbertson, der 2010 für die New York Times die Hinterbliebenen von jungen Gefallenen besuchte: Die Bilder zeigen Kinderzimmer mit Stofftieren auf dem ordentlich gemachten Bett und Postern von Stars an der Wand. Wie wenn ihre einstigen Bewohner nur kurz weggegangen wären und nicht auf einem anderen Kontinent ihr Leben verloren hätten.

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