Der Präsident kann seine demokratische Mehrheit im Kongress nicht kontrollieren. Die Partei zerfällt in Lager. Amerikas Regierungssystem hat ein Problem.
Je weiter das Publikum von Deutschland entfernt ist, desto üppiger fallen die Festspiele zur Verabschiedung Angela Merkels aus. In den USA wird die Begeisterung noch einmal durch die Tatsache gesteigert, dass die Wahl für ihren Nachfolger gesittet und demokratisch ablief. Die Kanzlerkandidaten haben sich nicht beleidigt oder gelogen, alle, die durften, konnten abstimmen (offenbar mit ein paar Ausnahmen in Berlin), Briefstimmen wurden pünktlich eingesandt und ausgezählt, kein Gericht wurde mit einer ernst zu nehmenden Wahlanfechtung behelligt, und vor allem verläuft die Suche nach einer Regierung sachlich und eindeutig innerhalb der demokratischen Normen.
All dies ist aus amerikanischer Sicht eine Erwähnung wert, weil die eigene Erfahrung gerade ins Gegenteil führt. Das Nahtod-Erlebnis der Demokratie liegt noch kein Dreivierteljahr zurück, und vor allem lässt das Hochgeschwindigkeitsleben der US-Politik keine Zeit, einer neuerlichen Machtübernahme des Spaltmonsters vorzubeugen. Die Manipulation und Kontrolle des Wahlapparats durch die Republikaner geht munter weiter, Donald Trump bereitet ein wuchtiges Comeback vor, das Land zeigt keine politische Mäßigung.
Auch die Demokraten haben die Kunst des Kompromisses verlernt
Präsident Joe Biden läuft also die Zeit davon – eine seltsame und dennoch korrekte Feststellung nach so kurzer Zeit im Amt. Wie getrieben der Präsident ist, zeigt der epische Kampf um das Infrastruktur- und das Sozialpaket, die im Zentrum der Biden’schen Wirtschaftspolitik stehen und nicht weniger sind als ein gigantisches staatliches Ausgabenprogramm, mit dessen Hilfe am Ende die Sympathien für Trump weggekauft werden sollen. Die Kalkulation: Sobald Amerikas Mittel- und Unterschicht eine Verbesserung ihrer Lebensumstände spürt, werden sie dem Verführer nicht mehr hinterherlaufen.
Joe Biden verdankt seinen Wahlsieg einer breiten Anti-Trump-Allianz, auf deren Bestand der Präsident in seinem Wettlauf mit der Uhr setzt. Doch diese Hoffnung schwindet, Biden kann seine hauchdünne Mehrheit nicht nutzen, weil sich hinter den demokratischen Fraktionen in Senat und Repräsentantenhaus ein Flickenteppich aus Interessen, Ambitionen und Unverträglichkeiten verbirgt. Die Botschaft nach Tagen verzweifelter Konsenssuche: Nicht nur Republikaner, auch Demokraten haben die Kunst des Kompromisses verlernt. Sie sind damit nicht unbedingt sturköpfig oder unbelehrbar, sondern spiegeln die Stimmung in ihren Wahlkreisen, die nun mal so heterogen ist, wie es in einer 330-Millionen-Gesellschaft nicht verwundert.
Was wird aus der repräsentativen Demokratie – auch bei uns?
Hier führt das Problem auch nach Deutschland und zur Frage, wie sich eine zunehmend fragmentierte, selbstbezogene und gleichzeitig demokratische Gesellschaft repräsentativ darstellen und regieren lässt. Das ist kein theoretisches Problem, sondern ein ganz praktisches, das sich in Deutschland in der Zersplitterung der Parteienlandschaft und dem nicht leicht zu erfüllenden Koalitionszwang ausdrückt. In den USA, dem Land des Mehrheitswahlrechts, bleibt es bei der Polarisierung zwischen Republikanern und Demokraten. Noch saugen sie zwar alle Strömungen auf, sind aber nicht mehr in der Lage, daraus funktionierende Mehrheiten zu bilden.
Dies ist ein gravierendes Problem für die repräsentative Demokratie und ihre Überlebensfähigkeit. Joe Biden lernt nun, dass seine Partei nicht weniger gespalten ist als die Gegenseite. Während sein Anti-Trump-Bonus schwindet, dreht sich das Teufelsrad der Radikalisierung.
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