Fraternal Warfare

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Im Bruderkrieg

Joe Bidens Demokraten stecken in einer tiefen Vertrauenskrise – wie soll der Präsident da auch noch die Welt retten?

Am Montag, als Joe Biden seinen großen Auftritt auf der Glasgower Klimakonferenz hatte, trudelten seine Beliebtheitswerte einem neuen Tiefpunkt entgegen. Es war der 286. Tag seiner Amtszeit, und nur noch 43 Prozent der Bürger zeigten sich mit der Arbeit des US-Präsidenten zufrieden. Schlechtere Zahlen hatte bisher nur sein Vorgänger. Joe Bidens Kurve schlingert allerdings seit Monaten auf Trumps Tiefstwerte zu.

Vor dem Abflug nach Glasgow hatte der Präsident den Parteigenossen gedroht, es sei “keine Übertreibung”, dass sich in der Woche seines zweiten großen Auslandstrips das Schicksal seiner Präsidentschaft entscheiden werde – ein flehentlicher Versuch, die Demokratische Partei zu disziplinieren. Seit Wochen zerlegt diese sich über zwei Gesetzesvorhaben, mit denen Biden die USA klimafreundlich und zugleich sozialverträglich modernisieren will. Die Parteifreunde setzten achselzuckend ihre Grabenkämpfe fort, ließen die billionenschweren Gesetzesvorhaben in der Schwebe und schickten ihren Präsidenten mit leeren Händen zum Klimagipfel.

Ziemlich genau ein Jahr nach Joe Bidens Wahlsieg steckt seine Regierung in einer schweren Vertrauenskrise.

Und von Mar-a-Lago aus funkt Donald Trump dazwischen – gewohnt destruktiv

Was steckt hinter der Schwäche des amerikanischen Präsidenten? Die Demokraten beklagen das destruktive Nachwirken Donald Trumps. Die Republikaner seien vollkommen in dessen Hand, ferngesteuert aus Mar-a-Lago, destruktiv. Von dort verbreite Trump weiter die Lüge von der gestohlenen Wahl und bereite sein Comeback vor. Stimmt leider alles und ist doch eine faule Ausrede. Die Demokraten brauchen gar keine Gegner – sie besiegen sich selbst. Joe Bidens Krise ist hausgemacht, außen- wie innenpolitisch.

Die Entscheidung zum Rückzug aus Afghanistan war eigentlich unstrittig. Eine satte Mehrheit ist für ein Ende der “endlosen Kriege” Amerikas. Doch durch inkompetente Führung wurde der Rückzug zur nationalen Demütigung. Kein Zufall, dass Bidens Beliebtheitskurve abknickte, just als die Taliban Kabul überrannten.

Dasselbe Muster in der Innenpolitik: Die Demokraten verhandeln über zwei Gesetzespakete, die überparteilich beliebt sein müssten. 1,75 Billionen Dollar sollen in Infrastruktur und sozialen Ausgleich gesteckt werden – ein sozialverträglicher, klimafreundlicher Umbau, der die USA gerechter und zukunftsfähiger machen würde und damit auch besser gerüstet für die Systemkonkurrenz mit China.

Doch die Partei redet die Sache seit Wochen schlecht. Rechte Demokraten bremsen die Ausgaben, Linke blockieren Infrastrukturprojekte, weil Lieblingsmaßnahmen wie die bezahlte Elternzeit fehlen. Man nimmt sich wechselseitig zu Geiseln und redet über das, was fehlt, anstatt über die Wohltaten. Die Republikaner haben leichtes Spiel, den Gegner als unfähigen, zerstrittenen Haufen in allzu großen Spendierhosen zu karikieren. Selbst wenn die Gesetze noch durchkommen, hängt der kühnen Reform nun der Ruf des faulen Kompromisses an. Ein Lehrstück darüber, wie eine Regierung der linken Mitte ihre eigenen Siege zerschießt. (Hallo, liebe Ampel-Verhandler, schaut euch das bitte an!)

Joe Bidens Krise hat Bedeutung weit über Amerika hinaus, das zeigt sich in Glasgow. Wer in seiner eigenen Partei keinen Deal zwischen Klima-, Wirtschafts- und Sozialpolitikern hinbekommt, der kann kaum beanspruchen, die Weltmächte zusammenzuführen. Die demonstrative Abwesenheit Wladimir Putins und Xi Jinpings sagt das ohne Worte.

Klimapolitik ist Geopolitik. Der Großmachtkonflikt zwischen den USA und China zieht alles in seinen Bann. Ohne den größten Emittenten von Treibhausgasen geht nichts voran. Peking erwartet darum für seine Kooperation, dass die Welt zu Taiwan, Hongkong und den Uiguren schweigt: CO₂-Reduktion gegen Menschenrechte – das wäre ein schlechter Handel.

Man sieht in diesen Tagen den Beginn eines machtpolitischen Klimawandels. Die größte Gefahr für die Menschheit, die globale Erhitzung, lässt sich mit den hergebrachten Machtmitteln der Supermächte nicht einhegen. Der Einfluss der Vereinigten Staaten beruht auch nicht wirklich auf jenem Dutzend Flugzeugträger, das die Weltmeere beherrscht. Ohne das Zutrauen der eigenen Bürger ins politische System – und in die Kompetenz ihrer Regierung – ist alles nichts.

Vertrauen ist eine knappe Ressource in allen freiheitlichen Demokratien. Wer mit dieser Seltenen Erde des Politischen klug wirtschaftet, wird die Zukunft gestalten.

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