Vom Journalisten zum Gouverneur?
Nicholas Kristof, einer der prominentesten amerikanischen Journalisten, will Regierungschef von Oregon werden. Nicht alle Demokraten sind begeistert.
Der linke Schriftsteller Upton Sinclair versuchte es, Norman Mailer auch und Gore Vidal ebenfalls: Es herrscht in der amerikanischen Geschichte kein Mangel an Autoren, die nach politischer Macht strebten. Allerdings waren sie alle nicht erfolgreich – Sinclair wollte 1934 Gouverneur von Kalifornien werden, Mailer 1969 Bürgermeister von New York, und Vidal schaffte es zweimal nicht in die kalifornische Kongress-Delegation – einmal in den sechziger und einmal in den achtziger Jahren.
Nun will Nicholas Kristof, Buchautor und bis vor Kurzem Kolumnist der New York Times, Gouverneur von Oregon werden. Der Zweiundsechzigjährige tritt als Demokrat an. Fachleute beurteilen seine Chancen eher als durchwachsen, doch der zweifache Pulitzer-Preisträger ist davon überzeugt, dass er den Menschen im Nordwesten aus vielerlei Krisen helfen kann. In einer letzten Kolumne für die Times, die als „Ein Lebwohl an die Leser“ überschrieben war, rief er zum Kampf gegen Gleichgültigkeit und Armut auf. Seine Erfahrungen von Darfur, wo er über den Genozid berichtet hatte, bis hin zu seiner strukturschwachen Heimat Yamhill in Oregon hätten ihm gezeigt, dass Zynismus nicht helfe und dass man aktiv gegen Ungerechtigkeiten kämpfen müsse. Jeder solle in Oregon eine Chance bekommen, heißt es auf der noch ziemlich leeren Kampa-gnen-Website „Nick for Oregon“. Konkrete Politikvorschläge sucht man noch vergebens, doch Kristof sammelte Presseberichten zufolge bereits mehr als eine Million Dollar Spenden ein.
Für den Wahlkampf lässt Kristof eine erfolgreiche Karriere hinter sich. Er war einer der Journalisten, die früh den Verdacht äußerten, dass die Regierung von George W. Bush log, als sie den Krieg im Irak mit der Existenz von Massenver- nichtungswaffen begründete. Kristofs Recherchen wurden später in der Anklage gegen I. Lewis Libby erwähnt, ehemals Stabschef von Vizepräsident Dick Cheney.
Leser dazu bringen, ihre Gleichgültigkeit abzulegen
In den vergangenen Jahren wandte sich Kristof verstärkt seiner eigenen Heimat zu. Er setzte mit einem Buch über die Lebensgeschichten seiner ehemaligen Klassenkameraden in Yamhill einen Kontrapunkt zum oft kritisierten „parachute journalism“ (etwa Fallschirm-Journalismus), bei dem Reporter nur für ein paar Tage in eine Gegend einfliegen.
Kristof erklärte häufig, seine Mission als Journalist sei es, Leser dazu zu bringen, ihre Gleichgültigkeit abzulegen. Kritiker warfen ihm vor, sich auf eine Seite zu stellen, statt lediglich über einen Konflikt zu informieren. Die moralische Gewissheit dieser Position geriet für viele allerdings durch die Jahre unter Donald Trump ins Wanken. Kristof sah sich in seiner Ansicht bestärkt, dass auch Journalisten eine Haltung haben könnten, so- lange sie diese als eigene Meinung transparent machten. Er sieht sich damit in einer Tradition amerikanischer Journalistinnen wie Ida B. Wells, die in ihren Texten gegen das Unrecht des Lynchings und der „Rassentrennung“ im Süden des Landes anschrieb.
Kristofs Problem könnte indessen sein, dass seine Popularität außerhalb Oregons noch am größten ist. Über die Hälfte seiner bisherigen Spenden kommen nicht von dort, sondern von Prominenten wie der Schauspielerin Angelina Jolie, der Designerin Diane von Furstenberg und der Philantropin Melinda Gates. Die Schauspielerin und Aktivistin Mia Farrow sagte, sie habe erst durch die Kolumnen Kristofs angefangen, sich mit dem Genozid in Darfur zu beschäftigen. Die ehemalige UN-Botschafterin Samantha Power beschrieb dessen Engagement als „unermüdlich“, und der einstige südafrikanische Erzbischof Desmond Tutu nannte Kristof einen „Ehren-Afrikaner“.
Teil eines „white savior industrial complex“
Doch der Journalist hat längst nicht nur Fans. Etliche Reaktionen auf Kristofs Kandidatur zeigen, dass er sich mit seinen Positionen mitten in die ideologischen Auseinandersetzungen der Linken manövriert hat. Viele sehen in ihm einen Liberalen, der in bestimmten Fragen progressive Positionen vertritt, aber die materiellen Interessen seiner Spenderinnen nie verletzen würde. Für den Schriftsteller Teju Cole ist der Journalist gar Teil eines „white savior industrial complex“. So beschreibt Cole Weiße, die ohne große Vorkenntnisse gesellschaftliche Probleme lösen wollten, deren Opfer Menschen anderer Hautfarbe seien. Nicht selten komme es dabei zu negativen Effekten, und für viele Weiße stehe vor allem ihre eigene Selbstdarstellung im Vordergrund, schrieb Cole in einem Artikel für das Magazin The Atlantic.
Auch Kristofs Engagement gegen Menschenhandel kam bei Sexarbeiterinnen nicht gut an. Weil Prostitution bis auf wenige Orte in den USA illegal ist, finden sich auch volljährige Menschen, die freiwillig Sex verkaufen, häufig unter dieser Definition wieder. Elle Stanger von der Organisation Oregon Sex Workers Committee sagte in einem Interview, sie fürchte, dass Kristof als Gouverneur Prostituierte bestrafen, die Branche überregulieren und jeden Fortschritt in Richtung Legalisierung zunichtemachen werde. Kristofs Berichterstattung über Somaly Mam sorgte vor einigen Jahren für Kritik, weil sich im Nachhinein herausstellte, dass die kambodschanische Aktivistin ihre Lebensgeschichte verfälscht und auch andere Sexarbeiterinnen dazu gebracht hatte, über ihre Geschichte als Missbrauchsopfer zu lügen.
Kristof konzentrierte seine Arbeit vor allem auf die Ausbeutung von Minderjährigen. Auch ihm könnte es zu verdanken sein, dass die Seite backpage.com keine Menschen unter 18 mehr vermitteln konnte, die zur Prostitution gezwungen wurden. Kristof hatte im Umfeld der Plattform, die 2018 vom Netz ging, recherchiert und ihr mehrere Kolumnen gewidmet. Der Journalist wandte sich dann in den vergangenen Jahren auch der Porno-Plattform Pornhub zu, auf der trotz existierender interner Kontrollmaßnahmen einzelne Videos von Frauen zu sehen waren, die der Veröffentlichung nicht zugestimmt hatten. Das Magazin The New Republic warf Kristof daraufhin einen „Heiligen Krieg“ gegen die Seite vor. Sein Einsatz für traumatisierte Frauen falle „irgendwo zwischen wohlmeinendem Voyeurismus und journalistischem Fehlverhalten“, schrieb Kommentatorin Melissa Gira Grant. Pornhub gehört zu den am meisten genutzten Internet-Seiten überhaupt. Nicht nur deswegen ist keineswegs klar, ob Kristofs Beliebtheit bei Prominenten sich am Ende auch in Wählerstimmen transferieren lässt.
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