Joe Biden in Crisis: Who Really Is President Right Now?

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Joe Biden in Not: Wer ist jetzt überhaupt Präsident der USA?

Weiterer Rückschlag für Joe Biden: Der demokratische Senator Joe Manchin bringt das geplante Sozial- und Klimapaket zu Fall. Eine Analyse von Johanna Soll.

Frankfurt/Washington D.C. – Der demokratische Senator Joe Manchin (74) aus dem Bundesstaat West Virginia hat dem ebenfalls demokratischen US-Präsidenten Joe Biden von Anfang an Probleme gemacht. Bereits zu Beginn von Bidens Amtszeit behinderte er den American Rescue Plan, das Corona-Hilfs- und Konjunkturpaket, und verhinderte die Wahlrechtsreform, den For the People Act. Dies hatte zur Folge, dass sich viele fragten, wer der eigentliche Präsident der USA ist, Biden oder Manchin.

Diese Frage stellte Radio- und Talkshow-Moderator Charlamagne tha God zuletzt am Samstag (18.12.2021) Vizepräsidentin Kamala Harris in einem Interview. Nach einer Intervention ihrer Noch-Pressesprecherin, die zunächst behauptete, das Interview sei nun beendet und direkt darauf, man habe die Frage akustisch nicht verstanden, antwortete Harris dennoch mit plötzlicher Verärgerung und drohendem Zeigefinger: Selbstverständlich sei Joe Biden der Präsident.

Welcher Joe ist Präsident in den USA: Biden oder Manchin?

Tags darauf indes zeigte sich wieder einmal, dass es eindeutig Joe Manchin ist, der derzeit in Washington D.C. den Ton angibt. Ausgerechnet beim rechten TV-Sender Fox News verkündete er, er werde nicht für „Build Back Better“ stimmen, das Sozial- und Klimapaket der Biden-Regierung, obwohl er „alles Menschenmögliche versucht“ habe. Zwar wurde der Gesetzentwurf insbesondere auf Drängen Manchins bereits von 3,5 auf 1,75 Billionen Dollar zusammengestrichen, dennoch lehnte Manchin ihn nun endgültig ab. Als Gründe dafür nannte er Inflation, Staatsverschuldung, geopolitische Unruhen und die Corona-Pandemie – kurzum, das Paket sei einfach zu teuer.

Nicht zu teuer erscheint ihm hingegen das Militärjahresbudget in Höhe von 768 Milliarden Dollar, für das er kürzlich stimmte – kein anderes Land beschließt derart hohe Militärausgaben. Durch „Build Back Better“ sollten etwa Gesundheitsleistungen ausgebaut werden, Eltern erstmals einen Anspruch auf einen staatlich finanzierten Kitaplatz erhalten, und das Kindergeld, das Amerikaner:innen erstmals im Zuge der Pandemie erhielten, sollte mehrere Jahre weitergezahlt werden. Joe Manchin behauptete, er könne das Gesetzespaket den Menschen in West Virginia „nicht erklären“.

USA: Daten und Fakten scheinen Joe Manchin nicht zu beeinflussen

Das entspricht jedoch nicht den Tatsachen, denn einer Umfrage von Data For Progress zufolge unterstützen 68 Prozent der Wähler:innen in West Virginia „Build Back Better“, darunter ganze 56 Prozent der republikanischen Wählerschaft. Zwar ging der Bundesstaat im Südosten der USA mit 68,6 zu 29,7 Prozent bei der letzten Präsidentschaftswahl an den früheren Präsidenten Donald Trump, dennoch ist die Wählerschaft nicht etwa ökonomisch überwiegend konservativ oder neoliberal eingestellt – ganz im Gegenteil.

Der US-TV-Sender MSNBC befragte Wähler:innen in dem Bundesstaat und ein überzeugter Trump-Wähler sagte, viele Menschen, die unter den Widrigkeiten der Pandemie leiden, benötigten dieses Gesetzespaket. Doch diese Daten und Fakten scheinen Joe Manchin nicht zu beeinflussen. Stattdessen berichtet Huffpost, der Senator habe anderen Demokraten in Verhandlungen gesagt, er glaube, arme Eltern würden das Kindergeld statt für ihren Nachwuchs für Drogen ausgeben.

Joe Manchin bringt Demokraten gegen sich auf

Nicht nur in West Virginia trifft „Build Back Better“ auf Zustimmung, auch im Rest des Landes befürworten insgesamt knapp zwei Drittel der Befragten den Gesetzentwurf. Joe Manchin hat nun mit seiner Absage an dringend benötigte sozial- und klimapolitische Maßnahmen seine eigene Partei gegen sich aufgebracht.

Während er von den Republikanern für seine angebliche Vernunft gelobt wird, hagelt es Kritik, Enttäuschung und Unverständnis seitens moderater Parteikolleg:innen, aus dem Weißen Haus und am heftigsten von den Progressiven. Die linke Demokraten-Abgeordnete Ilhan Omar schrieb auf Twitter: „Dies hat nichts mit seiner Wählerschaft zu tun. Hier geht es um Korruption und das Eigeninteresse eines Kohlebarons.“

West Virginia is

50th in public health

50th in childcare

48th in employment

They support Build Back Better by a 43 point margin.

This has nothing to do with his constituents. This is about the corruption and self-interest of a coal baron.

— Ilhan Omar (@IlhanMN) December 19, 2021

Joe Biden und progressive Abgeordnete erschienen naiv oder schwach

Die Machtdemonstration Joe Manchins lässt sowohl Biden als auch die Fraktion der 96 progressiven Abgeordneten im Repräsentantenhaus entweder naiv oder schwach erscheinen. Denn ursprünglich waren sich Joe Biden und der Kongress einig, dass ein großes Infrastrukturgesetzespaket verabschiedet werden sollte. Um den Widerstand der oppositionellen Republikaner und auch der konservativen Demokraten wie Joe Manchin zu umgehen, wurde das Gesetz in zwei Teile gespalten: das wirtschaftsfreundliche Infrastrukturgesetz, dass Großaufträge für den Bausektor und auch Privatisierungen vorsieht und das Sozial- und Klimapaket „Build Back Better“, das den Menschen zugute kommen und die Energiewende voranbringen sollte.

Zunächst war vorgesehen, beide Gesetze gemeinsam zu verabschieden, doch dann drängte die demokratische Führung auf eine alleinige Abstimmung über das Infrastrukturgesetz, für das auch Republikaner votierten. Sechs progressive Abgeordnete um Alexandria Ocasio-Cortez stimmten dagegen, weil sie nicht darauf vertrauten, dass konservative Demokraten wie Joe Manchin Wort halten und im Gegenzug für „Build Back Better“ stimmen würden. Auch mit ihren Gegenstimmen konnten sie nicht verhindern, dass das Infrastrukturgesetz Anfang November verabschiedet wurde.

Linke haben das Manchin-Debakel kommen sehen

Anschließend sollte „Build Back Better“ folgen, so hat es Joe Biden der progressive Demokraten-Fraktion persönlich versprochen. Das Repräsentantenhaus stimmte vor einem Monat für das Gesetz, doch aufgrund der hauchdünnen Mehrheit im Senat sind die Demokraten auf Joe Manchins Stimme angewiesen. Biden sagte, Manchin habe ihm sein Wort gegeben, also hat entweder Manchin Biden hinters Licht geführt oder aber Biden die Progressiven. Beides ist dem Parteifrieden nicht zuträglich und hinterlässt zerstörtes Vertrauen. Für eben dieses warb Biden im demokratischen Präsidentschaftsvorwahlkampf – mit seiner fast fünfzigjährigen Erfahrung wisse er, wie man in Washington Dinge hinkriege.

Aber anscheinend haben die sechs jungen Progressiven, die lediglich knapp drei Jahre beziehungsweise knapp ein Jahr in der Bundespolitik tätig sind, mehr Weitblick bewiesen und Joe Manchin richtig eingeschätzt. Auch linke Medien haben das Manchin-Debakel kommen sehen – es kam also nicht völlig aus dem Nichts, wie nun überwiegend suggeriert wird. Bei der demokratischen Wählerschaft erhöht sich der Frust darüber, dass die Partei ihre Wahlversprechen nicht einlöst, obwohl sie neben der Präsidentschaft auch den Senat und das Repräsentantenhaus innehat. Dies zeigen die außerordentlich niedrigen jüngsten Zustimmungswerte.

Joe Biden muss Druck auf Manchin ausüben

Joe Biden kann es sich nicht leisten, dass seine sozialpolitische Agenda von der Gnade eines rechten demokratischen Senators abhängt, der ganz offensichtlich nicht die Interessen seines Bundesstaates vertritt. West Virginia ist der zweitärmste aller 50 US-Bundesstaaten mit einer Armutsquote von 17,5 Prozent. Auch die Lebenserwartung ist die zweitniedrigste im Land – durchschnittlich lediglich 74,8 Jahre. Insbesondere in Joe Manchins Heimatstaat hätten die Menschen von „Build Back Better“ profitiert.

Welche Optionen hat Joe Biden jetzt zur Hand um seine sozialpolitische Agenda doch noch umzusetzen? Er müsste politisch Druck auf Manchin ausüben. Der Multimillionär, der Wahlkampfspenden aus der Kohle-, Finanz- und Pharmaindustrie erhält, hat durchaus wunde Punkte. Herausgefunden haben das der linke Senator aus Vermont, Bernie Sanders, und Kamala Harris. Sanders veröffentlichte im Oktober in einer Tageszeitung in West Virginia einen Kommentar, in dem er die Dringlichkeit von „Build Back Better“ darlegte und gleichzeitig mitteilte, sein Kollege Joe Manchin lehne den Gesetzentwurf ab.

Bereits Anfang des Jahres gab Kamala Harris, die derzeit selbst mit niedrigen Zustimmungswerten zu kämpfen hat, einem Radiosender in West Virginia ein Interview zu dem Corona-Hilfs- und Konjunkturpaket, dem Manchin damals ebenfalls kritisch gegenüberstand. Die Aktionen von Sanders und Harris brachten Manchin gleichermaßen auf, er sprach von unkollegialem, unkooperativem Verhalten. Da ihm seine Wiederwahl offenbar wichtig scheint, ließe sich Manchin möglicherweise bewegen, wenn Biden dort weitermacht, wo zuvor Bernie Sanders und Kamala Harris angesetzt haben.

Problem für Joe Biden: Die Zwischenwahlen 2022 werfen ihre Schatten voraus

Alternativ könnte Joe Biden versuchen, eine Stimme aus dem Lager der republikanischen Senator:innen für „Build Back Better“ für sich zu gewinnen, was allerdings wenig Aussicht auf Erfolg hätte. Dennoch hat der Mehrheitsführer des Senats, der Demokrat Chuck Schumer, angekündigt, eine Abstimmung über das Gesetz werde im Januar stattfinden und man werde weiter an Bidens Vorhaben arbeiten, „bis wir etwas erreichen“.

Die Zeit dafür schwindet indes. Zwar kann Joe Biden zunächst noch auf Joe Manchin als Problemverursacher zeigen. Doch in den Zwischenwahlen im November 2022 ist die jetzige Situation längst vergessen und dann richtet sich der Blick auf Biden, der trotz der vorhandenen Mehrheiten seine Wahlversprechen nicht eingehalten hat.

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