The Untouchable

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Der Unantastbare

Er regiert nicht mehr und darf nicht twittern, doch der Einfluss von Ex-Präsident Donald Trump auf die Republikaner ist ungebrochen groß. Was bedeutet das für die USA?

Entlang der bergigen Straße, die durch West Virginia Richtung Ohio führt, nur ein paar Shoppingmalls und Vorstädte von Washington, D. C., entfernt, ist noch Wahlkampf. Mehr als ein Jahr, nachdem die Präsidentschaftswahl entschieden wurde. Auch in den Schaufenstern einer Kleinstadt wie Kalispell im Nordwesten Montanas ist das so oder an den Zäunen der Ranches von Wyoming. Nur wurde hier die andere Wahl getroffen – hier hängen die TRUMP-Plakate. Überall in Amerika sieht man sie, manche ein bisschen verwittert, manche auch bestens in Schuss, weil sie neu sind, weil schon TRUMP 2024 auf ihnen steht.

Für die eine Hälfte der Vereinigten Staaten, die Biden-Wählerinnen und -Wähler, ist es verführerisch, diese Plakate zu ignorieren. Sie sich wegzuwünschen in Hinterhöfe, dunkle Ecken des Internets und die Sender und Seiten, über die sich die andere Hälfte der USA informiert, zu Fox News oder Breitbart. Es ist für sie verführerisch, die politische Debatte über die Wehrhaftigkeit der Demokratie und die Zukunft des Landes kleinzureden als etwas, das zum Geschäft dazu gehört. Weil es doch gut gegangen ist bei der letzten Wahl, weil vielleicht nicht alles perfekt, aber doch okay ist. Im eigenen Alltag vielleicht nur noch stört, dass die Nachbarn den “falschen” Sticker auf dem Heck des Autos kleben haben und Einladungen zum Barbecue genauer abgezirkelt werden müssen. Und dabei zu hoffen, dass 2024 schon alle zur Vernunft gekommen sein werden, dass die Republikaner einen Kandidaten aufstellen, den man vielleicht nicht wählen möchte, der das Land aber auch nicht wieder an den Rand des Abgrunds führen wird.

Doch so einfach ist es nicht, fast ein Jahr nach Joe Bidens Amtseinführung, die als Tag der Demokratie gefeiert wurde.

Donald Trump hat nach wie vor die größte Macht über die Republikanische Partei. Er ist die Partei. “Niemand hat derzeit die Fähigkeit, das zu ändern, auch nicht Mitch McConnell”, sagt Gary Schmitt vom konservativen Think Tank American Enterprise Institute. Der Politologe hat schon Ronald Reagan beraten und war im Wahlkampfteam von John McCain. Mitch McConnell ist als Minderheitenführer der Republikaner einer der einflussreichsten Politiker innerhalb der Partei. Er ist der Stratege, der im Kongress versucht, Joe Bidens Politik zu blockieren. Der Trump während seiner Präsidentschaft durch seine taktischen Manöver die Benennung von drei Richterinnen und Richtern am Obersten Gerichtshof ermöglicht hat. Der lange gezögert hat, Biden zu seinem Wahlsieg zu gratulieren, es aber dann schließlich getan hat.

“Sie haben Angst”

Der aber dennoch nicht den Anschein erweckt, Trumps Einfluss auf die Partei wirklich grundsätzlich infrage stellen zu wollen. Es ist für eine Partei nie leicht, einen ehemaligen Präsidenten zu kritisieren. Doch solange sie in der zweiten Reihe der Buchverträge und Vortragsreisen Platz nehmen, ist das für das Tagesgeschäft auch kein großes Drama.

Auch Donald Trump hat ein bildlastiges Buch über seine Zeit im Weißen Haus verfasst, das in diesem Winter erscheint. In der Vorweihnachtszeit hielt er außerdem ein paar Vorträge mit dem ehemaligen Fox-News-Moderator Bill O’Reilly. Vor allem aber tritt er immer wieder in Wahlkampfmanier auf, hält seine Reden, gibt Interviews, schickt Mails an seine Unterstützer, in denen er das politische Tagesgeschäft kommentiert und hat mit der Trump Media & Technology Group sein eigenes Medienunternehmen gegründet. Über dies will er künftig seine Botschaft abseits von den sozialen Netzwerken des Mainstreams, die ihn verbannt haben, ungestört und unzensiert verbreiten. Seine Kernbotschaft bleibt die Erzählung von der “big lie”: der gestohlenen Wahl. Doch die Lüge ist nicht die gestohlene Wahl, die Lüge ist Trumps big lie.

Und sowohl McConnell als auch große Teile der Partei lassen den Ex-Präsidenten gewähren. “Sie haben Angst”, sagt Gary Schmitt. Auch vor den eigenen Wählerinnen und Wählern. Die nächste Wahl ist in den USA nie weit. Wie man Massen mobilisiert, hat Trump gezeigt, letztlich auch bei der verloren gegangenen Wahl 2020. Mehr als 74 Millionen Bürger stimmten für ihn, nur ein Präsident hat jemals mehr Stimmen bekommen: Es war Joe Biden mit mehr als 81 Millionen. Die Wahl hat die Mobilisierungsfähigkeit auf beiden Seiten des politischen Spektrums gezeigt. Auch wenn Trump verloren hat, ist er so gut wie unantastbar in der Partei. “Es war eng genug, deshalb hält die Partei an ihm fest”, sagt Kyle Kondik vom überparteilichen Newsletter Sabato’s Crystal Ball des Center for Politics an der Universität Virginia.

Wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn

Liz Cheney hat das am deutlichsten zu spüren bekommen. Ihr Name steht für konsequenten Konservatismus, niemand würde auf die Idee kommen, der Tochter des ehemaligen Vizepräsidenten Dick Cheney progressive oder auch nur moderate Tendenzen zuzuschreiben. Doch Konservatismus und Trumpismus haben in diesen Zeiten nicht unbedingt viel gemeinsam. Trump hat keine klassisch republikanische Politik betrieben, er kümmerte sich nicht um unverrückbare Positionen, er schuf sich seine eigenen. So wie er sich und seinen Anhängern nach der Wahl seine eigene Wahrheit schuf. Cheney folgte dieser Wahrheit nicht und sprach sich – neben anderen, weniger bekannten Stimmen in der Partei – für das zweite Amtsenthebungsverfahren aus, das die Demokraten nach dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar angestoßen hatten. “Der Präsident der Vereinigten Staaten rief diesen Mob zusammen, versammelte ihn und entfachte die Flamme dieses Angriffs”, sagte Cheney.

Cheney schwieg nicht und wurde von ihrer eigenen Partei geschasst. Im kommenden Jahr möchte sie wiedergewählt werden, normalerweise für sie in ihrem Heimatstaat Wyoming eine Formalie. Im vergangenen Jahr holte sie knapp 69 Prozent aller Stimmen. Doch nun hat sie mehrere Gegenkandidaten in der parteiinternen Vorwahl und Trump hat bereits seine Favoritin auserkoren: die Anwältin Harriet Hageman.

Wer nicht für Trump ist, der ist gegen ihn. Das ist die immer noch klare Feindlinie, die der Präsident zieht. Unabhängig davon, ob er tatsächlich 2024 noch einmal antreten wird oder nicht. Dieser Entscheidung ordnet die Partei derzeit alles unter. Für Kori Schake vom American Enterprise Institute ist das nach vier Jahren Trump-Präsidentschaft das nächste Drama. “Die Republikanische Partei legitimiert die Behauptungen Trumps über den Wahlbetrug und das ist schrecklich für die Partei, schrecklich für das Land und wird Probleme verursachen, die weit über das kurzfristige Wahlkalkül der Leute, die diese Krise schüren, hinausgehen”, sagt die Republikanerin, die wie Gary Schmitt im Wahlkampfteam von John McCain tätig war und im Außen- wie im Verteidigungsministerium gearbeitet hat.

Das Gespräch mit Schake fand statt, bevor Mitte Dezember Unterlagen öffentlich wurden, die Trumps ehemaliger Stabschef Mark Meadows an den Untersuchungsausschuss zum 6. Januar weitergegeben hat. Darin geht es um Ideen, wie der Sieg Bidens noch zu stoppen sein könnte, bevor der Kongress diesen bestätigt. Darunter sind die Ausrufung eines nationalen Sicherheitsnotstands oder auch der Plan, alle elektronisch abgegeben Stimmen für ungültig zu erklären. Ein Albtraum für jede Demokratie. Die Vereinigten Staaten, ein national-autoritärer Staat, das ist keine abwegige Fantasie mehr. “Unsere Verfassung ist nach wie vor im Großen und Ganzen gut, das politische System ist das Problem”, sagt Gary Schmitt.

“Seine Wut auf die Anti-Trump-Intellektuellen”

Nicht nur legitimiert die Partei die Lüge ihres Ex-Präsidenten – die unter seinen Anhängern mittlerweile mit überwiegender Mehrheit als Fakt hingenommen wird –, auch legislativ arbeiten die Republikaner in den von ihnen regierten Bundesstaaten daran, sich fragwürdige Vorteile zu verschaffen. Laut dem Voting Rights Lab gibt es derzeit in 47 Bundesstaaten Bestrebungen, den Zugang zu Wahlen zu erschweren. Darunter ist die bereits in Kraft getretene umstrittene Wahlrechtsreform in Texas, gegen die das US-Justizministerium mittlerweile Klage eingereicht hat, weil es der Ansicht ist, dass es vor allem Minderheiten trifft. Und damit tendenziell Wählerinnen und Wähler der Demokraten.

Den Republikanern fiel es schon immer leichter, sich der Macht und dem Machterhalt unterzuordnen. Doch die unverhohlenen Lügen, Verschwörungstheorien und Gesetze, die zumindest im Verdacht stehen, antidemokratisch zu sein – das ist neu. Intellektuelle konservative Stimmen, das sagen Kori Schake und Gary Schmitt beide, haben derzeit keinerlei Platz in der Grand Old Party. Noch so ein Schaden für die Partei.

Egal ob Trump wirklich noch einmal antritt oder jemand anderes – “und wer will schon eine Kopie, wenn man das Original hat” –, sagt Gary Schmitt: Trumps Playbook wird bleiben. Kori Schake ist da etwas optimistischer. “Ich glaube, es ist falsch zu glauben, dass, wenn Trump antritt, kein anderer starker Kandidat antreten wird.” Die Gouverneurswahl in Virginia habe gezeigt, dass ein Kandidat mit einer attraktiven Politik gewinnen könne. Im November siegte Glenn Youngkin in dem Bundesstaat gegen den Demokraten und Ex-Gouverneur Terry McAuliffe. Während McAuliffe das Feindbild Trump in jedem seiner Wahlkampfauftritte erwähnte, stellte sich Youngkin nicht gemeinsam mit dem Ex-Präsidenten auf eine Bühne. Was aber nicht bedeutet, dass Youngkin sich nicht der Strategien Trumps bediente und Wahlkampf mit identitätspolitischen Themen betrieb, etwa bei der Frage, welche Inhalte an Schulen unterrichtet werden sollen oder wie Youngkin zur Gleichstellung steht.

Die Sorge der Demokraten

Dennoch ist die letzte große Wahl vor den Zwischenwahlen im kommenden November ein Indikator für mehrere Dinge. Die Sorge der Demokraten, eine oder beide Kammern des Kongresses zu verlieren, ist berechtigt. Auch wenn Virginia kein traditionell demokratischer Bundesstaat ist, wird er demographisch immer mehr dazu, weshalb die Demokraten auf einen Sieg gehofft hatten. Gleichzeitig könnte sich für die Konservativen neben den Bezirken und Staaten, in denen der Trumpismus funktioniert, ein zweiter Weg aufgezeigt haben, der ihnen am Ende durch die Demokraten ermöglicht wurde.

Auch wenn Joe Biden der moderateste der demokratischen Präsidentschaftskandidaten war, ist die Partei unter ihm nach links gerückt. Das bietet Konservativen eine Chance bei Wählerinnen und Wählern, die sich bei den Demokraten nicht mehr gut aufgehoben fühlen oder Biden vor allem gewählt haben, weil er eben nicht Donald Trump ist. “Die USA haben immer noch eine der konservativsten Wählerschaften in der westlichen Welt”, sagt Kyle Kondik.

Die Lüge vom besseren Amerika

Allerdings ist die populistische Basis freilich weit davon entfernt, die konservative Partei zu unterstützen, wenn sich diese von Trump entfernt. “RINO” ist daher eines von Trumps beliebtesten Schimpfwörtern in seinen Mails. “Republican In Name Only”. Die wahren Republikaner sind die, die ihn unterstützen. Und jeden Sieg macht er zu einem Sieg seiner Make-America-Great-Again-Bewegung (MAGA). “Ich möchte meiner BASIS dafür danken, dass sie so zahlreich erschienen ist und für Glenn Youngkin gestimmt hat. Ohne euch hätte er nicht annähernd gewinnen können”, schrieb Trump nach der Gouverneurswahl im November. “Die MAGA-Bewegung ist größer und stärker als je zuvor.” Er mag das nicht mehr über Twitter verbreiten können und nicht mehr als Präsident auf dem Balkon des Weißen Hauses. Aber auch aus Florida heraus “hat er immer noch die Kontrolle über die Partei”, sagt Kori Schake.

Und diese Macht wird er nicht einfach aufgeben. Warum auch. Es ist der Grund, warum er weitermacht mit seiner big lie, mit seinen Ralleys, seinen Mails, über die er Spenden sammelt, und seinen falschen Versprechungen von einem vermeintlich besseren Amerika, für das nur er wirklich kämpft. Mit allen Mitteln, auch mit denen, das ist zu fürchten, die gegen alles gehen, was die Verfassung und die Demokratie der Vereinigten Staaten ausmachen.

Und seine Anhänger lieben ihn dafür, trotz der Lügen, auf die dieses bessere Amerika aufgebaut wird, trotz der Tatsache, dass es Donald Trump um Donald Trump allein geht. Nach wie vor versteht er es meisterhaft, der anderen Hälfte der USA nicht weniger zu versprechen, als sie zu sehen und ihr ihren rechtmäßigen Platz in diesem Land wieder einzuräumen. Dafür stehen die Menschen an seiner Seite, rollen ihre Plakate nicht ein, kämpfen mit ihm für ihre USA. Das von seinen Gegnern so sehr herbeigesehnte Ende des Politikers Donald Trump ist noch lange nicht erreicht.

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