Darf ein Jesusbild die Gesichtszüge von George Floyd tragen?
Ein Ikonenbild sorgt in den USA für Aufregung. Darauf ist Jesus schwarz und ähnelt dem getöteten George Floyd. Konservative Katholiken kritisieren das scharf als unerlaubte „Säkularisierung.“ Tatsächlich ist Kritik an dem Bild angebracht – aber aus einem ganz anderen Grund.
Kurz vor Weihnachten tobt unter Amerikas Katholiken ein Streit um ein österliches Bild: „Mama“, ein Werk der Ikonenmalerin Kelly Latimore. Das Motiv ist eine Beweinung Christi: Maria hält den toten Jesus und liebkost sein Gesicht. So weit, so traditionell. In Latimores Bild aber ist Maria schwarz, und ihr Sohn trägt die Züge des von einem Polizisten getöteten George Floyd.
Die Ikone hing in einer Marienkapelle der Katholischen Universität in der Hauptstadt Washington. Kurz vor dem Erntedankfest wurde sie gestohlen. Man darf den Täter in jenen Kreisen vermuten, die seit Wochen gegen die Ikone Stimmung gemacht hatten.
So zitierte die – nicht katholische – Heritage Foundation, die den „Trumpismus“ propagiert, auf ihrem Blog einen Studenten, der die Ikone als Symptom der „Säkularisierung“ der Kirche kritisierte. Patrick Reilly, Präsident der konservativen Kardinal-Newman-Gesellschaft, klagte, das Bild „reduziere Christus auf eine kontroverse und gestörte Gestalt“ und könne Zweifel über die Göttlichkeit und Vollkommenheit Christi säen.
Dass Jesus zu Lebzeiten „kontrovers“ war, kann man kaum bestreiten. Und in Jesaja 53,3 heißt es in einer Stelle, die nach christlichem Verständnis auf Jesus verweist: „Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit.“ Vollkommen? Nicht im Sinne eines Schönheitsmodels oder Leistungsträgers.
Wenn die Kirche diese Botschaft – Gott wird nicht in einem Palast, sondern in einem Stall geboren und als Ruhestörer hingerichtet – auf die Gegenwart bezieht, ist das kaum „Säkularisierung“: Es ist im Gegenteil Kritik an einer säkularen Welt, die Reichtum, Schönheit, Leistung und Erfolg anbetet.
Der Jude Jesus verschwindet
Was aber die konservativen Kritiker bezeichnenderweise nicht sehen, der Malerin und ihren Unterstützern aber vorgeworfen werden muss: Im schwarzen Christus verschwindet der Jude Jesus. Will man eine Vorstellung davon haben, wie seine Mutter aussah, sollte man heute eine syrische Flüchtlingsunterkunft besuchen.
Den nazifreundlichen „Deutschen Christen“ war der „Semit“ Jesus derart ein Dorn im Auge, dass sie Maria einen arischen Liebhaber – einen römischen Legionär – andichteten. Auch in meiner illustrierten anglikanischen Bibel von 1959 erscheint Jesus blond und blauäugig, ein idealisierter Engländer. Und nun wird er schwarz. Das ist zwar besser, aber nicht gut.
Jesus ist eine historische Gestalt. Geboren wurde er in Bethlehem, der Stadt des jüdischen Königs David. Gekreuzigt haben ihn die römischen Besatzer als „König der Juden“. Er blieb, so Paulus in Galater 4, dem mosaischen Gesetz untertan. Ihn als Afroamerikaner darzustellen, reduziert den Gekreuzigten zu einem abstrakten Symbol menschlichen Leidens.
Immer leistete die Lösung des Christentums von ihrem jüdischen Kontext dem Antijudaismus und Antisemitismus Vorschub. Wenn man auch Kelly Latimore und ihren Unterstützern in der Kirche eine solche Absicht nicht unterstellen sollte: Auch für viele Afroamerikaner ist der Jude Jesus unbequem. Genau deshalb aber darf er nicht als schwarzer Christ dargestellt werden.
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