Russia and the US Are Duping the EU

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Russland und die USA düpieren die EU

Der Chefdiplomat der EU schmollt, weil er im Ukraine-Konflikt nur am Katzentisch sitzt. Bei den Gesprächen um Krieg und Frieden verhandeln die Grossmächte lieber direkt miteinander. Das hat sich die EU selbst zuzuschreiben.

Josep Borrell weiss, wie es sich anfühlt, als Leichtgewicht behandelt zu werden. Vor einem guten Jahr reiste der «Hohe Vertreter der Europäischen Union für Aussen- und Sicherheitspolitik» nach Moskau, um über Menschenrechte und den Fall Nawalny zu sprechen. Konkrete Sanktionen hatte Russland nicht zu befürchten. Erwartungen verband der Kreml auch keine mit der Visite. Mit sichtlichem Vergnügen kanzelte Russlands Aussenminister Sergei Lawrow deswegen seinen Gast vor der versammelten Presse ab. Das sass.

Doch obwohl Borrell seither um einige Illusionen ärmer geworden sein dürfte, hat sich an der für Brüssel deprimierenden Ausgangslage nichts geändert. Moskau nimmt die EU als geopolitischen Player nicht ernst, und auch Washington tut dies nicht wirklich, wie derzeit im Ukraine-Konflikt zu beobachten ist: Tapfer erklärt der Aussenbeauftragte zwar in einem Interview, die Europäer «wollen und dürfen keine unbeteiligten Zuschauer sein, über deren Köpfe hinweg entschieden wird». Die EU, so Borrell, müsse dabei sein, wenn Russland und die USA ab Mitte Januar über die «Sicherheitsarchitektur in Europa» sprechen wollten.

Geht es um Absprachen über Krieg und Frieden in Europas Peripherie, haben Wladimir Putin und Joe Biden allerdings Besseres zu tun, als sich von den uneinigen Europäern hineinreden zu lassen. Ihr Treffen in Genf ist eine Erinnerung daran, wie es um die Machtverhältnisse tatsächlich bestellt ist. Wie sollte es denn auch anders laufen? Kann Brüssel eine «Konfliktprävention sowohl durch Abschreckung als auch durch Diplomatie» auf die Beine stellen, wie dies der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, einfordert?

Nein, der Staatenbund gibt viel darauf, eben nicht wie eine traditionelle Grossmacht agieren zu wollen, und klammert sich zugleich an die Sicherheitsgarantien der USA. Deshalb bleibt er ein Zaungast in diesem Konflikt. Da mag Frankreichs Präsident Emmanuel Macron noch so sehr die «strategische Autonomie» im Munde führen und EU-Rats-Präsident Charles Michel 2022 zum «Jahr der europäischen Verteidigung» ausrufen – die Europäer sind bis jetzt schlicht nicht fähig und auch nicht willens, Putin mit militärischem Gegendruck in die Schranken zu weisen.

Der springende Punkt ist im Übrigen, dass Putin und Biden genau wissen, warum sie bilateral verhandeln. Für Putin war der bisherige Weg schon sehr erfolgreich: Er hat sich durch Drohgebärden die nötige Aufmerksamkeit verschafft, um von Washington wieder als direkter Gegenspieler wie zu Zeiten des Kalten Krieges wahrgenommen zu werden. Für Biden ist eine Verständigung mit Russland auch deswegen wichtig, weil sich sein Land damit auf den neuen Hauptkonkurrenten China konzentrieren kann.

Das bedeutet nicht, dass Biden die Europäer im aktuellen Konflikt nicht einbeziehen wird. Der amerikanische Präsident hat bereits erklärt, eine Wiederbelebung des sogenannten Normandie-Formats zu unterstützen: Jenes Quartett aus Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine hatte vor bald sieben Jahren einen Waffenstillstand und einen Friedensplan bewirkt. Bis es so weit ist, hat jedoch Biden das letzte Wort. Die Europäer können derweil nur darauf hoffen, dass es ihm gelingt, Putin nicht nur von seinen mutmasslichen Angriffsplänen abzubringen, sondern dass dies auch zu einem Preis geschieht, der in Europa nicht zu noch mehr Instabilität führt.

Die EU-Staaten haben es seit Jahren versäumt, eine gemeinsame Russlandpolitik zu entwickeln. Das hat mit ihren unterschiedlichen, kaum deckungsgleichen Interessen gegenüber Moskau zu tun, aber eben auch mit der Unfähigkeit, selber militärische Verantwortung zu tragen. Die Rolle am Katzentisch der Grossmächte ist selbstverschuldet.

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