Joe Biden erwartet jetzt von Deutschland Klartext
Olaf Scholz besucht US-Präsident Biden in einer angespannten Lage. In Washington muss er sich endlich auf die Position festlegen: Marschiert Russland in die Ukraine ein, dann ist die Gaspipeline Nord Stream 2 tot. Wenn Scholz das nicht zusagt, kann er gleich zu Hause bleiben.
Wenn Joe Biden an diesem Montag Olaf Scholz empfängt, ist das mehr als ein Routine-Antrittsbesuch des neuen Kanzlers. Biden und Scholz treffen sich in einer extrem angespannten Lage: Russland marschiert an den Grenzen zur Ukraine auf und der Westen reagiert uneins. Wladimir Putin gefällt das. Xi Jinping gefällt das.
Deutschland kämpft seit Wochen um olympisches Gold in den Disziplinen Verschweigen, Vernebeln und Verhindern. Der Kanzler, seit jeher ein Meister in schmallippiger Unverbindlichkeit, ist auf diesen Feldern besonders leistungsstark. Er nimmt Rücksicht auf die „Ohne mich“-Folklore der Deutschen und seine Partei, die die sozial-liberale Entspannungspolitik nicht versteht.
Biden aber erwartet von Scholz Klartext, nicht rhetorische Kunstpausen. Die Amerikaner wollen wissen: Beharrt Berlin auf seiner sturen Haltung, allenfalls 5000 Helme und warme Worte in die Ukraine zu senden? Redet sich die größte Nation Europas weiter aus der Verantwortung? Und das ausgerechnet mit dem verlogenen Argument des deutschen Angriffes auf die Sowjetunion?
Noch im Dezember 2021 bezeichnete Scholz die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 als „privatwirtschaftliches Vorhaben“. Davon ist nun keine Rede mehr. Doch Berlin und sein Kanzler winden sich weiter. Bloß nicht festlegen – das mag sein Erfolgsrezept im Wahlkampf gewesen sein. Im Amt ist es wenig souverän. Regierungskunst sieht anders aus. In Washington muss Scholz endlich die – eigentlich banale – politische Erkenntnis aussprechen: Marschiert Russland in die Ukraine ein, dann ist Nord Stream 2 tot.
Wenn Scholz diesen Satz in den USA mit Rücksicht auf die Putin-Freunde daheim nicht über die Lippen bringt, kann er eigentlich gleich zu Hause bleiben. Abgesehen davon, dass die USA und fast ganz Europa die Pipeline ablehnen: Wie will Scholz die Woche diverser Gipfel zur Ukraine-Krise bestehen, wenn er diese Konsequenz nicht klipp und klar ausspricht? Auch die europäischen Partner haben bei Scholz Führung bestellt.
Klartext erwarten die USA von Deutschland übrigens auch zu China. Großspurig begann die neue Bundesregierung mit dem Versprechen einer neuen China-Politik. Die Verrenkungen (von Scholz) zur diplomatischen Präsenz bei den Olympischen Spielen zeigen: Da ist noch Luft nach oben.
Schon nach einem Jahr im Amt ist Joe Biden innenpolitisch extrem angeschlagen. Deutschland sollte die Geduld Washingtons nicht strapazieren. Die gegenwärtige US-Regierung könnte für eine sehr, sehr lange Zeit die letzte sein, die Deutschland wohlgesonnen und mit offenen Armen gegenübertritt.
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