Viele Menschen in den USA sind kriegsmüde, die Eskalation zwischen Russland und der Ukraine interessiert sie wenig. Außer, wenn der Ölpreis steigt.
US-Präsident Joe Bidens Botschaft hätte kaum dringlicher sein können, als er am Freitagnachmittag vor die Presse trat, um über die Ukraine-Krise zu sprechen. Er sei überzeugt, Putin werde in das Land einmarschieren, warnte er. Der Angriff stehe kurz bevor. Auch der Börsensender CNBC, den ich in meinem New Yorker Büro eingeschaltet hatte, übertrug die Rede. Zunächst jedenfalls.
Doch der Präsident hatte gerade begonnen, den Ernst der Lage zu schildern, da erschien ein CNBC-Moderator auf dem Bildschirm und sagte, man werde nun zur Winterolympiade nach Peking schalten. Statt Biden im Weißen Haus war nun das Curling-Duell zwischen der Schweiz und Japan zu sehen.
Für den überraschenden Szenenwechsel gibt es eine wirtschaftliche Erklärung: CNBC gehört zur NBC-Sendergruppe, die sich für insgesamt 7,75 Milliarden Dollar die US-Übertragungsrechte an den Olympischen Spielen bis 2032 gesichert hat. Diese Investition muss durch Werbeeinnahmen wieder eingespielt werden. Entsprechend wichtig ist es für den Sender, die gebuchten Spots auch zu spielen.
Trotzdem sagt der Vorgang einiges über das heutige Verhältnis der US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner gegenüber ihren Verbündeten jenseits des Atlantiks. Die Verantwortlichen eines großen US-Fernsehsenders halten offenbar einen drohenden Krieg in Europa und eine Brandrede des amerikanischen Präsidenten dazu nicht für ausreichend wichtig, um eine Programmänderung vorzunehmen.
Die US-Bürgerinnen sind kriegsmüde
Es ist nun nicht so, als ob die Krise keine Aufmerksamkeit in der amerikanischen Öffentlichkeit erhielte. Andere Sender wie CNN, ebenso wie die New York Times, die Washington Post und andere Leitmedien, berichten ausführlich und aktuell. Doch im Alltag der meisten Amerikaner fühlt sich der Konflikt sehr weit weg an. Ich habe keine Umfragen oder Untersuchungen gefunden, die sich mit dieser Frage beschäftigen. Aber als langjährige Korrespondentin habe ich meine eigenen Erklärungen und Interpretationen der amerikanischen Nonchalance.
Sicher hat die Kriegsmüdigkeit des Landes damit zu tun. Erst vergangenen Sommer beendete Biden nach 20 Jahren den Forever War, den ewigen Krieg, in Afghanistan. Das war alles andere als glorreich: Die US-Regierung räumte den Taliban das Feld. Und so richtig die Entscheidung dieses Rückzugs war, seine Durchführung resultierte in einer beschämenden humanitären Katastrophe. Verständlich, dass das Interesse der Mehrheit hier im Land, gefährdeten Demokratien im Rest der Welt notfalls militärisch beizustehen, gering ist.
Noch vor nicht allzu langer Zeit wäre jedoch eine solche Kriegsmüdigkeit kein Thema gewesen, sofern es sich um bedrohte europäische Verbündete handelte. Schließlich ist das Verhältnis zwischen Europa und der ehemaligen britischen Kolonie immer ein spezielles gewesen. Doch die Supermacht USA kehrt sich seit einer Weile noch mehr in sich selbst als in früheren Phasen der Isolation.
Die Distanz zu Europa ist politisch gewollt
Zum Teil ist diese Distanzierung politisch gewollt. Präsident Obama vollzog 2011 den Pivot to Asia. Washingtons Außenpolitik sollte den Blick statt über den Atlantik verstärkt über den Pazifik lenken. Der Fokus galt zunehmend dem ehrgeizigen, aufstrebenden Konkurrenten China. Obamas Vernachlässigung der alten Welt ist einer der Gründe für das Wiedererstarken von Putins Russland.
War Obama gleichgültiger gegenüber den europäischen Bündnispartnern, trampelte sein Nachfolger Donald Trump auf ihnen herum. Da waren seine Angriffe auf die Nato, eine Institution, von den USA einst federführend ins Leben gerufen. Denkwürdig sein Streit auf dem Nato-Gipfeltreffen 2019 mit dem französischen Präsidenten Macron, ausgetragen vor laufenden Kameras, die Risse im Bündnis sichtbar für den Rest der Welt.
Zwar hatten bereits seine Vorgänger im Weißen Haus wiederholt gemahnt, die Europäer und vor allem die Deutschen sollten sich stärker an den Kosten des militärischen Schutzes beteiligen. Trumps Forderungen waren allerdings nicht nur undiplomatischer, sie stellten die Zuverlässigkeit der Partnerschaft in Zweifel. Und seine unverhohlene Kritik an den Bündnispartnern und an der Nato sind nicht ohne Folgen für die öffentliche Wahrnehmung des transatlantischen Verhältnisses in der amerikanischen Bevölkerung geblieben.
Dazu kommt noch ein Faktor, der subtiler wirkt. Für immer mehr US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner spielt Europa gefühlsmäßig nicht mehr die einstige Sonderrolle früherer Zeiten. Noch stellen weiße Amerikaner die Mehrheit der Bevölkerung. Und die meisten von ihnen stammen von europäischen Einwanderern ab. Doch während bei der letzten Volkszählung 2020 alle anderen Gruppen Zuwächse gegenüber 2010 verzeichneten, ging die Zahl derjenigen, die sich allein als weiß identifizierten, von 63,6 auf 57,8 Prozent zurück. Für viele US-Bürgerinnen und US-Bürger ist Europa nicht The Old Country, die alte Heimat – sondern schlicht eine Weltregion unter anderen. Entsprechend weniger involviert sehen sie sich bei Konflikten wie dem aktuellen.
Einen steigenden Ölpreis spüren auch die US-Bürger
Das heißt nicht, dass ein Einmarsch Russlands in die Ukraine spurlos an den Amerikanern vorbeigehen würde. Zumindest kurzfristig würde es den Ölpreis noch weiter hochtreiben. Der ist in den vergangenen Wochen auf ein Siebenjahreshoch geklettert. Am Freitag kostete ein Barrel Brent-Nordseeöl 91,14 Dollar. Brent ist der globale Maßstab für den Ölpreis. Ein Angriff Russlands könnte den Preis auf 120 Dollar pro Barrel steigen lassen, so die Analysten der Investmentbank JP Morgan. Auch Erdgas würde noch teurer. Russland ist der drittgrößte Produzent von Öl und zweitgrößter Produzent von Erdgas. Die Sanktionen könnten die Lieferungen weitgehend unterbinden.
Die höheren Energie- und Spritpreise würden die Inflation in den USA, die bereits bei 7,5 Prozent liegt, noch weiter antreiben. Sie könnte dann mehr als zehn Prozent erreichen, so rechnete es kürzlich die Beratungsgesellschaft RSM aus.
Die höheren Preise an den Zapfsäulen und Supermarktkassen könnten den Amerikanerinnen und Amerikanern dann schlagartig klarmachen: Zumindest wirtschaftlich sind die USA keineswegs entkoppelt von Europa und dem Rest der Welt.
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