The True Danger for America’s Democracy

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Washington beschäftigt sich derzeit ausführlich mit dem Überfall auf das Kapitol. Doch auch Inflation, marode Infrastruktur und Rezessionsangst bedrohen die Gesellschaft.

In den USA wird ein Bekenntnis zum Optimismus bei Managern und Unternehmern eigentlich erwartet, selbst wenn die Lage alles andere als rosig ist. Umso mehr alarmieren die sich häufenden Warnungen prominenter Wirtschaftsvertreter, die eine Rezession befürchten.

Jamie Dimon, Boss von JP Morgan Chase, der größten Bank des Landes, etwa schien vom Kapitalmarkt ins Fach der Meteorologie gewechselt zu haben. Noch im April sah er Gewitterwolken aufziehen, vor Kurzem warnte er gar vor einem “Hurrikan”, dessen Stärke noch nicht absehbar sei. Weniger poetisch drückte es Tesla-Chef Elon Musk aus, der grandiose Visionen für die Menschheit hegt, jedoch für die nähere Zukunft wenig Positives erwartet. Er habe ein “super bad feeling”, ein ganz schlechtes Gefühl. Sein Bauchgrummeln nahm er gleich zum Anlass, rund zehn Prozent der Stellen bei dem Autohersteller abzubauen. Für die Betroffenen hat der wirtschaftliche Einbruch bereits begonnen.

Zuletzt schien es, als wollten sich Unternehmenschefs, Banker und Ökonomen gegenseitig in schrillen Alarmtönen übertrumpfen. Nicht, dass in der breiteren Bevölkerung eine bessere Stimmung herrscht. Beeindruckende 83 Prozent der befragten Amerikaner in einer Umfrage des Wall Street Journals gemeinsam mit der University of Chicago gaben an, die Wirtschaftslage sei “nicht so gut” oder sogar “schlecht”. Mehr als ein Drittel zeigten sich unzufrieden mit ihrer finanziellen Situation. Nur ein Viertel sieht Chancen, ihren Lebensstandard zu verbessern. Die Umfrage wird seit 1972 erhoben und noch nie haben sich die Teilnehmer derart unzufrieden geäußert.

Benzinpreis auf Rekordhoch

Ein Grund ist die Inflation. Eigentlich hatten viele Ökonomen – und noch mehr in Präsident Bidens Regierung gehofft – prognostiziert, dass die Preissteigerungsrate ihren Höhepunkt im März erreicht hätte und langsam wieder abebben würde. Doch die jüngsten Daten des US-Arbeitsministeriums vom vergangenen Freitag zeigen, dass das nicht der Fall ist. Im Mai zogen die Preise in den USA um 8,6 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat an. Man muss bis Dezember 1981 zurückgehen, als die Amerikaner zuletzt mit einer solchen Teuerung zu kämpfen hatten. Mieten stiegen um fünf Prozent gegenüber Mai 2021, Lebensmittelpreise um zwölf Prozent.

Am deutlichsten sehen Autofahrerinnen und Autofahrer, wie die Kosten täglich höher klettern. Am Sonntag überstieg der durchschnittliche Preis an der Zapfsäule erstmals fünf Dollar pro Gallone, 16 Cent mehr als noch am Sonntag zuvor. Das entspricht 1,25 Euro pro Liter. Gegenüber den rund zwei Euro, die derzeit an deutschen Tankstellen verlangt wird, scheint das immer noch billig. Präsident Biden und seine Parteifreunde verweisen auf den Krieg in der Ukraine, für den nicht seine Regierung, sondern Russland verantwortlich sei.

Doch dass in vielen amerikanischen Haushalten Sprit inzwischen einen großen Teil des Haushaltsgeldes auffrisst, hat langfristigere Ursachen. Dazu trägt der seit einem Jahrzehnt relativ niedrige Benzinpreis bei, der verführte, immer größere Modelle zu erwerben. Vor allem SUVs und Pick-ups waren so begehrt, dass sich die heimischen Autohersteller wie General Motors und Ford entschieden, ihre US-Fabriken, die kleinere Modelle herstellten, nach und nach dichtzumachen. Gleichzeitig nahmen Beschäftigte immer längere Fahrten zur Arbeit in Kauf. Am schnellsten stieg vor der Pandemie die Zahl der Pendler, die ihren Weg nicht in Minuten, sondern in Stunden rechneten.

Misere im Transportsektor

Getrieben wurde der Trend, immer weiter in die Umgebung zu ziehen, nicht zuletzt durch die Suche nach günstigeren Wohnorten. In Kalifornien etwa führte es mit dazu, dass Siedlungen zunehmend in Gegenden entstanden, die durch Waldbrände gefährdet sind. Mit tödlichen Folgen. Das eigene Auto ist für die meisten Amerikaner buchstäblich alternativlos. Das liegt am mangelhaft ausgebauten öffentlichen Nahverkehr, der vor allem in den ländlichen Regionen, wenn überhaupt vorhanden, aus sporadisch verkehrenden Buslinien besteht.

Die Folgen der fehlenden Infrastruktur machen sich überall bemerkbar. Einst einte der Ausbau der Eisenbahnen im 19. Jahrhundert die junge Nation. Heute wird das noch vorhandene Schienennetz weitgehend vom Güterverkehr genutzt. Dazu kommen die enormen Distanzen. Während in Europa die Bahn für Intercity-Strecken zur Verfügung steht, sind Amerikaner in der Regel auf das Flugzeug angewiesen. Doch nicht nur sind die Ticketpreise zuletzt um knapp 40 Prozent angestiegen. Auch das Angebot ist geschrumpft. Die Fluggesellschaften haben ihre Routen ausgedünnt. Viele regionale Flughäfen kämpfen bereits ums Überleben, weil sie nicht mehr regelmäßig angeflogen werden.

Die Fluggesellschaften, die 2020 mit Milliarden Staatshilfen einmal mehr gerettet wurden, verweisen unter anderem auf den Pilotenmangel. Tatsächlich haben rund 5.000 Piloten sich während der Pandemie nach anderen Laufbahnen umgesehen und das Cockpit endgültig verlassen. Wahr ist aber auch, dass die Airlines zu den Branchen mit der höchsten Unternehmenskonzentration gehört. Sie geht derzeit in eine neue Runde: JetBlue und Frontier kämpfen darum, wer den Billigflieger Spirit übernehmen darf.

Jemand könnte die Lage politisch missbrauchen

Die Misere im Transportsektor ist nur ein Faktor, der zur düsteren Stimmung der Amerikaner beiträgt. Dazu kommen die drückenden Kreditkartenschulden, die im Mai einen Höchstwert von fast 900 Milliarden Dollar erreicht haben.

Wenig überraschend ist daher das andauernde Umfragetief von Präsident Biden. Der tut sich keinen Gefallen mit Äußerungen wie vergangene Woche, als er in der Late Night Show von Jimmy Kimmel auftrat und die Inflation unter anderem zur Nebenwirkung einer blühenden Wirtschaft erklärte. Die USA wüchsen schneller als alle anderen Volkswirtschaften der Welt, behauptete der Präsident, der fast schon wie sein Vorgänger Trump klang.

Nicht nur dürfte Bidens Aussage seine Landsleute wenig befriedigen, sie ist auch schlicht falsch. Die 5,7 Prozent realer Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr war zwar die höchste Wachstumsrate seit 1984, aber weit davon entfernt, die höchste der Welt zu sein. China etwa wuchs laut dem Internationalen Währungsfonds trotz der Lockdowns um acht Prozent in 2021.

In den vergangenen Tagen war Washington vornehmlich mit der Anhörung zum Überfall auf das Kapitol am 6. Januar 2021 beschäftigt. Immer wieder erklären vor allem Bidens Parteifreunde, wie wichtig diese Aufbereitung sei, schließlich gehe es um die Demokratie im Land. Sicher, niemand sollte diese Gefahr unterschätzen. Aber je verzweifelter die wirtschaftliche Lage für die Menschen im Land wird, desto leichter dürften es diejenigen haben, die sie für ihre eigenen politischen Zwecke missbrauchen.

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