Abortion Bans in the US: Conservatives’ Hopes Will Be Dashed

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Abtreibungsverbote in den USA: Die Hoffnungen der Konservativen werden zerplatzen

Das Oberste Gericht der USA verfügt in der Frage des Schwangerschaftsabbruchs eine Rückkehr in die Vergangenheit. Diese brachte nicht weniger Abtreibungen, aber mehr Leid für die Frauen.

Eine Überraschung ist das Ende des liberalen Abtreibungsrechts in den USA nicht mehr. Im Mai war bereits ein erster Urteilsentwurf durchgesickert, und es war vorhersehbar, dass dieser präzedenzlose Eklat die Ansichten am Supreme Court eher verfestigen würde. Alles andere hätte die Richter dem Vorwurf des Einknickens ausgesetzt und damit die ohnehin verbreitete Sicht eines politisierten Gremiums noch verstärkt.

Auch wenn die erste Schockwelle das Land schon vor Wochen erfasste, ist der definitive Entscheid ein Erdbeben. Zunächst ist es bemerkenswert, dass das Oberste Gericht ein fast fünfzig Jahre altes und mehrfach bestätigtes Leiturteil ohne klar ersichtlichen Grund aufhebt. Im angelsächsischen Raum kommt Präjudizien eine hohe, quasi rechtsetzende Bedeutung zu – Anpassungen bedürfen üblicherweise massgeblich veränderter Verhältnisse.

Davon kann im Fall der Abtreibung keine Rede sein. Der Eingriff ist sicherer und erfolgt viel seltener als noch 1973, als der Supreme Court mit «Roe v. Wade» die Liberalisierung anordnete. Die öffentliche Meinung hat sich zudem in den letzten Jahrzehnten erstaunlich wenig verändert. Eine klare Mehrheit der Bevölkerung befürwortet das Recht auf Schwangerschaftsabbruch.

Kaum weniger Abtreibungen, aber ein höheres Risiko

Natürlich hat das Oberste Gericht seine Rechtsprechung immer wieder revidiert. Eines seiner berühmtesten Urteile hob 1954 die Rassentrennung an Schulen auf («Brown v. Board of Education») und war eine Abkehr von einem knapp sechs Jahrzehnte zuvor gefällten Entscheid, der diese Praxis explizit erlaubte und als einer der schändlichsten in der Geschichte des Gerichts gilt. Doch die Änderungen bedeuteten jeweils eine Erweiterung der individuellen Rechte, nicht eine Einschränkung wie im jetzigen Urteil.

In weiten Teilen des Landes sind die Folgen dramatisch. Die Hälfte der Gliedstaaten dürfte Abtreibungen künftig verbieten und damit ungewollt Schwangere zu weiten Reisen oder in die Illegalität zwingen. Dass sich die Hoffnung der Konservativen erfüllt und es zu weniger Schwangerschaftsabbrüchen kommt, muss bezweifelt werden. Für die fünfziger und sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts, als der Eingriff landesweit verboten war, wird die Zahl der Abtreibungen mindestens gleich hoch geschätzt wie heute, bei einer damals halb so grossen Bevölkerung.

Frauen, die eine Schwangerschaft beenden wollen, finden einen Weg – tragen aber unter Umständen ein deutlich höheres Risiko. Offiziell starben im Jahr 1965 rund 200 Frauen an den Folgen illegaler Abtreibungen. Diese machten damals 17 Prozent aller Todesfälle im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt aus. Mit der Legalisierung 1973 brachen diese Werte sogleich ein und sind heute verschwindend gering. Das Urteil des Supreme Courts ist deshalb nicht nur in Bezug auf die Frauenrechte eine Rückkehr in die Vergangenheit, sondern auch gesundheitspolitisch.

Der Streit wird neu entfacht

Immerhin könnte man meinen, damit sei nun der über Jahrzehnte erbittert geführte Streit um die Abtreibungsfrage beigelegt. Die Entscheidung darüber obliegt künftig den politischen Gremien der Gliedstaaten und so letztlich der Bevölkerung. Wo diese liberale Regeln wünscht, werden Schwangerschaftsabbrüche weiterhin legal sein – wo sie dies nicht tut, wird der Eingriff verboten.

In den tief gespaltenen und zu Kompromissen unfähigen USA kann man das als die demokratiepolitisch gebotene Lösung ansehen. Doch auch diese Illusion dürfte platzen – zu wichtig sind kulturkämpferische Themen für die Mobilisierung beider ideologischer Lager geworden. Die Konservativen werden deshalb nicht ruhen, bis Schwangerschaftsabbrüche im ganzen Land untersagt sind, während die Progressiven bereits an Möglichkeiten zur Umgehung von Verboten arbeiten. Der Streit um die Abtreibung ist nicht beendet. Er wird jetzt erst richtig entfacht.

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