Proofer: Erik Frey was born in Vienna in 1963. He moved to the U.S. in 1981 to attend Princeton but I found no indication he has U.S. citizenship, so this is probably fine. mb
Das Gift des Antiamerikanismus
Tiefsitzende europäische Reflexe gegen die USA spielen Wladimir Putin in die Hände
Seine Mobilisierung versinkt im Chaos, seine Truppen verlieren täglich an Boden. Aber Wladimir Putin hat immer noch ein Ass im Ärmel: Er setzt darauf, die öffentliche Meinung in Europa zu spalten und damit die Unterstützung von Nato und EU für die Ukraine so weit zu schwächen, dass Kiew schließlich um Frieden betteln muss.
Dabei hilft ihm der Unmut über explodierende Energiepreise und die Rekordinflation, für die die Sanktionen gegen Russland verantwortlich gemacht werden. Es gibt auch ein zweites Phänomen, das Putin in die Hände spielt: Zwar sind seine Sympathiewerte seit Kriegsbeginn stark gefallen. Aber eine bedeutende Minderheit macht die USA ebenfalls für den Konflikt verantwortlich und sieht dadurch keinen Grund, in diesem Krieg Partei zu ergreifen. Der Kreml mag zwar böse sein, aber das Weiße Haus ist nicht viel besser, tönt es an den Stammtischen oder über Twitter.
Das war in den ersten Tagen nach dem russischen Überfall genauso zu beobachten wie nach den Sabotageakten gegen die Nord-Stream-Pipelines, als es sofort hieß: Das waren sicher die USA, weil sie ihr eigenen Erdgas in Europa verkaufen wollen. Die Amis tun ja alles für den eigenen Profit und die eigene Macht.
Antiamerikanismus findet sich am rechten genauso wie am linken Rand und hat dort tiefe Wurzeln. Die einen konnten den USA den Sieg über das NS-Regime nie verzeihen und ihre kulturelle Dominanz, die nach 1945 entstand. Die anderen halten das von der Sowjetunion und Salonmarxisten gepflegte Zerrbild einer ausbeuterischen und militaristischen Raubtiernation auch nach dem Kollaps des Kommunismus aufrecht.
Dumpfe Kapitalismuskritik
Selbst in der Mitte der Gesellschaft – unter Unternehmern, Anwälten, Umweltschützerinnen, Journalisten und Wissenschafterinnen – gedeiht dieser Reflex. George W. Bushs katastrophaler Irakkrieg und die Trump-Präsidentschaft gaben ihm neue Nahrung. Aber auch für ganz andere Phänomene wie #MeToo und Wokeness machen Kritiker die USA verantwortlich. Und dumpfe antiamerikanische Kapitalismuskritik wuchert im gesamten politischen Spektrum.
Über allem schwebt die Annahme, die USA und ihre Geheimdienste seien allmächtig, jeder Schritt Teil einer großen Strategie. Das nährt Verschwörungsthesen, die wiederum Parallelen zum Antisemitismus aufweisen.
Diese Haltung hat konkrete Auswirkungen auf die Weltpolitik. Nach der Krim-Annexion und der Besetzung des Donbass im Jahr 2014 war die Überzeugung weit verbreitet, dass der Maidan-Aufstand in Kiew von Washington gelenkt worden sei und Russland bloß auf die Nato-Erweiterung reagiere. Das trug zur lahmen EU-Antwort bei, die Putin zur weiteren Aggression ermutigte. Auch seit dem Überfall vom 24. Februar werden in der EU Sanktionen und Militärhilfe von der ambivalenten öffentlichen Meinung gebremst. Und zu der trägt, folgt man vielen Diskussionen, das Gift des Antiamerikanismus bei.
Es gibt an den USA genügend zu kritisieren, an der Geschichte und an der Gegenwart. Aber wenn es in den vergangenen 80 Jahren um Freiheit und Demokratie ging, standen sie meist auf der richtigen Seite. Sie tun das auch im Ukraine-Krieg, selbstloser und entschlossener als jeder andere Staat. Im eigenen Interesse müssen die Europäer erkennen, dass diese USA – bei allen Problemen und Fehlern – ihr bester Verbündeter sind. (Eric Frey, 4.10.2022)
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