The Puzzle Is Coming Together

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Der Untersuchungsausschuss zum 6. Januar präsentiert eine Anklageschrift gegen Donald Trump – und lädt ihn sogar vor. Zur Rechenschaft ziehen müssen ihn dennoch andere.

Es ist das Finale des Finales, ein lauter Knall – der doch zu verhallen droht. Donald Trump soll unter Eid darüber aussagen, welche Rolle er rund um den gewaltsamen Angriff auf das Kapitol spielte, das hat der Untersuchungsausschuss zum 6. Januar an diesem Donnerstag einstimmig beschlossen. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass es zu dieser Aussage kommt, ist klein, um nicht zu sagen: winzig.

Trump wird vermutlich alles tun, um der Vorladung nicht nachkommen zu müssen – ähnlich, wie er im Streit um die Geheimdokumente, die er mit nach Hause genommen hatte, ein Gericht nach dem anderen bemühte, um das FBI an Ermittlungen zu hindern (vergeblich, nachdem selbst der Supreme Court nun Trumps Antrag ablehnte). Aber auch, wenn der frühere US-Präsident damit scheitert, die Vorladung anzufechten: Sich juristisch zu wehren, verschafft Trump Zeit – wahrscheinlich gerade genug davon, um einer Aussage zu entgehen.

Denn dies war die neunte und vermutlich letzte Sitzung des Untersuchungsausschusses. Für seine Arbeit bleiben dem Gremium nur noch Wochen: Bei den Kongresswahlen im November wird damit gerechnet, dass die Demokraten im Repräsentantenhaus ihre Mehrheit wieder verlieren. Die bräuchten sie, um den Ausschuss erneut einzusetzen. Dessen zwei republikanische Mitglieder wären dann ohnehin nicht mehr dabei; dass sie sich dafür starkmachen, Trump zur Verantwortung zu ziehen, hat sie um ihre Chancen auf eine Wiederwahl gebracht, so ergeben ist ihm die Republikanische Partei nach wie vor.

“Wir haben keinerlei Zweifel mehr”

Aber damit, Trump tatsächlich aussagen zu hören, dürften die Ausschussmitglieder so oder so nicht rechnen. Die Vorladung, beschlossen in einer dramaturgischen Zuspitzung ganz am Ende der mehr als zweistündigen Sitzung, soll nicht zuletzt von der Fairness dieser Untersuchung zeugen: Der Ausschuss hat im zurückliegenden Jahr so viel belastendes Material gegen Trump gesammelt, dass der nun die Chance bekommt, sich zu verteidigen.

Dass er diese Chance wohl nicht nutzen wird, könnte wiederum dem Ausschuss nutzen. Dessen Arbeit, das wurde zuletzt immer klarer, verfolgt vor allem ein Ziel: die Puzzleteilchen zusammenzufügen, die es brauchen wird, um Trump wegen der Verschwörung um die vermeintlich “gestohlene” Wahl und deren Folgen juristisch zur Rechenschaft zu ziehen. Oder besser gesagt: dem Justizministerium die perfekte Anklageschrift zu liefern, auch wenn eine Empfehlung strafrechtlicher Ermittlungen durch den Ausschuss noch formell ausgesprochen werden muss.

Was könnte das besser abrunden als ein offensichtlich Schuldiger, der sich der Befragung entzieht – oder aber sich derart provoziert fühlt, dass er seine Version der Ereignisse unbedingt darlegen will und sich damit erst recht selbst belastet? Schuldig jedenfalls sei Trump, betonte der Ausschussvorsitzende Bennie Thompson: “Wir haben keinerlei Zweifel mehr, dass Donald Trump der Anführer eines Versuchs war, die US-amerikanische Demokratie zu stürzen, der am 6. Januar in Gewalt gipfelte.”

Schuldig, weil er die Menschen aufhetzte, die am Ende für ihn mit Gewalt nach dem griffen, was er entgegen allen Fakten haben wollte: Macht. Und zwar vorsätzlich. Schon im Juli 2020 soll Trump geplant haben, sich auch im Falle einer Niederlage zum Wahlsieger zu erklären, soll sein ehemaliger Wahlkampfmanager Brad Parscale ausgesagt haben. Das erklärt, warum Trump so uneinsichtig war, als ihm unmittelbar nach der Wahl zahlreiche Menschen in seinem Umfeld – inklusive seiner Tochter und seines Justizministers – davon abzuhalten versuchten. Ihm war sehr wohl bewusst, dass er abgewählt war, aber es passte ihm nicht. “Ich will nicht, dass die Leute wissen, dass wir verloren haben”, soll er zu seinem Stabschef Mark Meadows gesagt haben. “Das ist peinlich. Regelt das irgendwie.”

Als es sich nicht “regeln” ließ, setzte er auf Gewalt

Als es sich mit Druck und später offenen Drohungen – etwa gegen den Vizepräsidenten Mike Pence – nicht “regeln” ließ, setzte Trump auf die Gewaltbereitschaft seiner über Wochen systematisch aufgepeitschten Anhängerinnen. Der damalige Präsident, das wurde in dieser letzten Sitzung noch einmal gezeigt, wusste ebenso früh wie detailliert darüber Bescheid, dass viele von ihnen teils schwer bewaffnet waren und auch vor einem Mord an Pence nicht zurückgeschreckt wären, als sie an jenem 6. Januar Trumps Ruf nach Washington folgten.

Auch der Secret Service und das FBI tauschten schon Ende Dezember Nachrichten über das Gewaltpotenzial der Trump-Anhänger aus, aus denen große Sorge spricht: “Bitte, bitte nehmt das ernst.” Warum das nicht passierte, warum viel zu wenige Polizistinnen das Kapitol an jenem Tag beschützten, wird an anderer Stelle noch aufzuarbeiten sein. Aber was daraus folgte, ist klar: mehrere Tote, zahlreiche Verletzte, traumatisierte und teils berufsunfähige Polizisten, die an jenem Tag fast ihr Leben verloren und sich dafür auch jetzt noch – wie am Rande dieser Sitzung vor dem Gebäude – von Trump-Anhängern verspotten und bedrohen lassen müssen.

Während der damalige Präsident das Ganze mal gleichgültig, mal erregt vom Weißen Haus aus verfolgte (nachdem seine Personenschützer ihn physisch daran hindern mussten, sich dem Mob am Kapitol anzuschließen), versuchten die in Sicherheit gebrachten Spitzen des Parlaments, Verstärkung für die Sicherheitskräfte zu organisieren und die Kontrolle über das Gebäude wiederzuerlangen. Eine gewohnt resolut telefonierende Nancy Pelosi, demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses, die dann schließlich doch kurzzeitig die Fassung verliert, als sie hört, dass ihre noch im Kongressgebäude verbliebenen Kollegen Gasmasken anlegen müssten – das sind Szenen dieser Anhörung, die im Gedächtnis bleiben.

“Nicht nur die Fußsoldaten bestrafen”

Und genau darum geht es. Der 6. Januar dürfe sich nicht wiederholen, so formulierte es die stellvertretende Ausschussvorsitzende Liz Cheney, die sich als eine von wenigen Republikanerinnen nach wie vor offen gegen Trump stellt. Die Gerichtsverfahren, die gerade gegen zahlreiche Teilnehmer des Aufstands am Kapitol laufen, seien zwar wichtig, sagte Cheney: “Aber unsere Nation darf nicht nur die Fußsoldaten bestrafen.” Trump soll zur Rechenschaft gezogen werden, um mögliche Nachahmer abzuschrecken. Und das – diesen Begriff wird Cheney hier bewusst gesetzt haben – im Namen eines ganzen Landes, dessen demokratische Ordnung durch diese Verschwörung existenziell bedroht wird.

Aber selbst, wenn Trump irgendwann hinter Gittern sitzen sollte, ist damit noch lange nicht die Gefahr gebannt, von der Cheney spricht. Hunderte Republikanerinnen, die mit der Lüge von der vermeintlich gefälschten Wahl 2020 Stimmung machen, könnten in diesem Winter in den Kongress wie in Landesparlamente und Wahlbehörden einziehen – gewählt von Millionen Menschen, die Trump nicht als Schuldigen sehen, sondern im Recht. Die Ermittlungserfolge des Ausschusses mögen diejenigen bestätigt haben, die von Trumps Schuld ohnehin schon überzeugt waren; seinen Rückhalt in der republikanischen Wählerinnenschaft haben sie nur geringfügig verändert, wie Umfragen zeigen. Wichtiger noch: Die Funktionäre der Partei haben sich nicht von ihm abgegrenzt. Will Trump 2024 noch mal antreten, ist ihm die Nominierung so gut wie sicher. Und diesmal könnte er genug willige Helfer haben, um sich bei einer erneuten Niederlage gewaltsam an die Macht zu bringen.

Insofern mag der Untersuchungsausschuss eine überzeugende Anklageschrift präsentiert haben, um Trump irgendwann juristisch zu belangen. Dort allerdings, wo akut – politisch, gesellschaftlich – Gefahr droht, kann er kaum mehr tun, als mit einer symbolischen Vorladung Rechenschaft einzufordern, die letztlich andere einlösen müssen.

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