Zelenskyy’s Trip to US Demonstrates Europe’s Spectator Role in This War

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Selenskyjs USA-Reise belegt Europas Zuschauerrolle in diesem Krieg

Wolodymyr Selenskyjs erste Auslandsreise seit Kriegsbeginn führte den ukrainischen Präsidenten nicht nach Brüssel, Berlin oder Paris und auch nicht nach London. Selenskyj wählte den weiteren Weg und flog nach Washington. Aus gutem Grund. Ohne Amerika hätte Russland diesen Krieg längst gewonnen.

Selenskyj reiste nicht ohne Wunschliste im Gepäck nach Washington. Es geht dabei um Luftverteidigung, Kampf- und Aufklärungsdrohnen sowie hunderte Kilometer weit schießende Artillerie. Washington wird Kiews Bedürfnissen zumindest teilweise nachkommen. Etwas anderes bleibt den USA kaum übrig, wenn sie vermeiden wollen, dass Russland sie in einem langen Krieg in der Ukraine niederringt. Die USA sind trotz der geografischen Distanz Kiews wichtigste Verbündete. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Amerika unterstützte die Ukraine seit Kriegsbeginn mit mehr als 18 Milliarden Dollar. Aus Deutschland flossen etwas mehr, aus Großbritannien etwas weniger als zwei Milliarden.

Die Staaten der Europäischen Union haben ihre Armeen und ihre Bestände an Waffen und Munition auf den Fall eines kurzen, intensiven Konflikts ausgerichtet. In unserem Denkvermögen fand die Möglichkeit eines andauernden Krieges in Europa keinen Raum mehr. Doch jetzt ist dieser Krieg da, und wir stecken, ob wir wollen oder nicht, längst mit drin. Sichtbar wird das an den vielen Menschen aus der Ukraine, die in Europa eine sichere Zuflucht suchen. Fühlbar wird es durch die Teuerungen, die zahlreichen Menschen auch hierzulande das Leben immer schwerer machen. Quer durch Europa wird, infolge der bislang getätigten Lieferungen an die Ukraine, das militärische Material knapp. Der Krieg in der Ukraine legt so nicht nur die militärische Schwäche Russlands bloß. Auch Europas Schwäche ist offensichtlich geworden.

Jetzt, nach zehn Monaten Krieg, reist Selenskyj zu Biden. Europa wird bei diesem Blitzbesuch von niemandem erwähnt. Das ist bemerkenswert und zeigt, dass es nicht mehr in unseren Händen liegt, wie sich der Krieg und damit die Lage in Europa weiterentwickeln – es ist Krieg vor unserer Haustür und Europa ist bloß in der Zuschauerrolle.

In Washington sagte der ukrainische Präsident für kommendes Jahr einen „Wendepunkt“ im Krieg voraus und sprach davon, dass „ukrainischer Mut und amerikanische Entschlossenheit die Zukunft unserer gemeinsamen Freiheit garantieren müssen – der Freiheit von Menschen, die für ihre Werte einstehen“. Mit den Werten dürften auch die europäischen Werte gemeint sein. Erwähnt wird Europa aber auch hier nicht. Wer die Kontrolle über seine direkte Nachbarschaft herschenkt, kann nicht damit rechnen, in der Welt noch ernst genommen zu werden. Die Ukraine kann froh sein, dass sie die USA auf ihrer Seite hat. Und für Europa kann Selenskyjs Washington-Trip nur ein Weckruf sein.

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