Fight over Debt Ceiling in US: Chaos by Design

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Streit über US-Schuldengrenze: Mit Absicht ins Chaos

Irgendwann im Sommer droht die US-Wirtschaft – und damit die Welt – in den Finanzabgrund zu stürzen

Kommentar

Seit mehr als einem Jahrzehnt wird das globale Finanzsystem von einer Skurrilität im US-amerikanischen Haushaltsrecht bedroht: Der Kongress beschließt Budgets, muss aber dann noch zusätzlich die Schuldenaufnahme bewilligen, die für den Budgetvollzug notwendig ist. Die laufende Anhebung der Schuldenobergrenze, die jahrzehntelang als Formalität galt, wurde 2011 von den Republikanern erstmals als Waffe gegen Präsident Barack Obama eingesetzt: Akzeptiere unsere Forderungen nach drastischen Ausgabenkürzungen, oder wir hindern die USA daran, ihre Schulden zu bedienen, und schicken die weltgrößte Volkswirtschaft in die Pleite.

Obama gab der Erpressung damals weitgehend nach. Unter Donald Trump nickten die Republikaner die neuen Schulden, die seine Steuersenkungen verursachten, demütig ab. Doch gegenüber Joe Biden will der rechtsextreme Flügel der Partei, der im Repräsentantenhaus nun das Sagen hat, die Muskeln spielen lassen. Gleichzeitig will Biden, der als Obamas Vizepräsident die Kapitulation seiner Regierung miterlebt hat, sich erst gar nicht auf Verhandlungen einlassen.

Zwei Züge rasen nun aufeinander zu. Die Fahrt begann am Donnerstag, als Finanzministerin Janet Yellen das Erreichen der Schuldenobergrenze verkündete. Wann es zur Kollision kommt, hängt davon ab, wie lange sich ihr Ministerium mit Budgettricks helfen kann und wie gut die Steuereinnahmen laufen. Aber irgendwann im Sommer droht die US-Wirtschaft – und damit die Welt – in den Finanzabgrund zu stürzen.

Vernunftlösung

Ohne neue Schuldenaufnahme hat das Weiße Haus nur schlechte Optionen: Es kann Staatsausgaben streichen, auch für das Militär, gesetzliche Sozialleistungen nicht mehr auszahlen oder die Besitzer von Staatsanleihen im Regen stehen lassen. Alles hätte unabsehbare Folgen. Vor allem die Nichtbedienung von Schulden wäre ein Erdbeben, das die gesamte Weltwirtschaft zu spüren bekommen würde.

In der Vergangenheit gab es stets eine Lösung, denn am Ende wollte niemand die Staatspleite riskieren. Die neuen Extremisten im Kongress aber, angespornt von Trump, sehnen dieses Horrorszenario herbei. Sie sehen sich als Revolutionäre, für sie war der Sturm auf das Kapitol am 6. Jänner 2021 das Vorspiel für ihren Angriff auf das Establishment.

Angesichts dieser Stimmung haben Verhandlungen für die Demokraten tatsächlich wenig Sinn. Sie könnten zwar versuchen, gemäßigte Republikaner für eine Vernunftlösung zu gewinnen, aber die hätten dann die eigene Parteibasis gegen sich. Ein weiteres Hindernis sind die Verfahrensregeln im Kongress.

Zwei Auswege gibt es: Biden kann mit Hinweis auf widersprüchliche Verfassungsbestimmungen die Schuldenobergrenze einfach ignorieren. Aber dann macht er sich vom erzkonservativen Obersten Gerichtshof abhängig. Oder er nützt eine Gesetzeslücke und beauftragt die Prägung einer “Billion-Dollar-Münze”, mit der alle Schulden bedient werden können. Was bisher als absurdes Manöver abgetan wurde, könnte sich diesmal als letzter Schutzwall gegen das völlige Chaos erweisen. (Eric Frey, 19.1.2023)

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