State Secrets in the Hands of Careless Young People: Wanton Negligence by Global Superpower US Must Have Consequences

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Staatsgeheimnisse in der Hand von leichtsinnigen Jugendlichen: Diese Grobfahrlässigkeit der Weltmacht USA muss Konsequenzen haben

Die Affäre um die Enthüllung von geheimen Pentagon-Papieren verblüfft nicht nur wegen des Hochrisiko-Verhaltens des mutmasslichen Täters. Sie entlarvt auch die mangelnde Vorsicht der politischen Verantwortlichen in Washington.

Der wahrscheinliche Hauptverantwortliche für die Leak-Affäre im Pentagon ist hinter Schloss und Riegel, doch Amerika kann erst halb aufatmen. Die Verhaftung des 21-jährigen Gefreiten Jack Teixeira gibt Grund zur Annahme, dass die undichte Stelle gefunden ist und nicht über längere Zeit noch weitere Staatsgeheimnisse abfliessen werden. Alles deutet zudem auf einen Einzeltäter hin, der aus einer Mischung aus Leichtsinn, Misstrauen gegenüber dem Staat sowie Geltungsdrang gehandelt hat – nicht mit der Absicht, sein Land zu verraten. Hier war ganz offenkundig keine ausländische Macht mit einer ausgeklügelten Spionage-Operation am Werk.

Trotzdem ist die Affäre längst nicht ausgestanden. Der Schaden ist beträchtlich und noch immer nicht richtig überblickbar. Geheime Details über die Ausrüstung der Kampfverbände für die geplante ukrainische Gegenoffensive gelangten an die Öffentlichkeit. Ebenso weiss Russland nun, in welchen Teilen seines Sicherheitsapparates die amerikanische Spionage mithört. Die Ukraine wiederum sieht sich mit dem Dilemma konfrontiert, dass sie auf eine enge Zusammenarbeit mit Amerika angewiesen ist, aber kein Vertrauen in die Diskretion ihrer Schutzmacht jenseits des Atlantiks haben kann. All dies wird Auswirkungen haben, die sich erst mit der Zeit besser erkennen lassen.

Wenn «streng geheim» nicht streng geheim ist

Die Suche nach den Schuldigen kann nicht bei Teixeira enden. Im Zentrum der Affäre steht die Frage, weshalb das Pentagon einem kaum dem Jugendalter entwachsenen einfachen Gefreiten Zugang zu streng geheimen militärischen Informationen gewährt hat. Der vor anderthalb Jahren zum Aktivdienst bei der Nationalgarde einberufene Teixeira konnte offenbar die Datenbank des Joint Worldwide Intelligence Communications System nutzen. Dieses Pentagon-Netzwerk steht nicht nur der Militärführung zur Verfügung, sondern angeblich Tausenden von Leuten, unter ihnen niederrangige Analytiker und Bedienungspersonal. Als IT-Sachbearbeiter hatte Teixeira vermutlich aus dienstlichen Gründen mit dieser Datenbank zu tun.

Trotzdem gäbe es Schutzmechanismen, um Missbrauch zu verhindern. Strikte Regeln für den Zugang zu dieser Schatztruhe von Staatsgeheimnissen haben die Regierungen in Washington immer wieder versprochen. Trotzdem ist dies in relativ kurzer Zeit bereits der dritte gravierende Fall im Pentagon, bei dem Geheimdokumente en masse abgezweigt wurden. 2010 konnte die im Irak-Krieg eingesetzte Nachrichtendienstlerin Chelsey Manning ungehindert Hunderttausende von Dokumenten herunterladen, selbst solche, die mit ihrer Tätigkeit nicht das Geringste zu tun hatten. 2013 floh der für den Abhördienst NSA arbeitende Techniker Edward Snowden mit einigen der bestgehüteten Geheimnisse ins Ausland.

Der jetzige Fall ist anders gelagert, aber er beweist, dass die Lehren aus den früheren beiden Affären nicht konsequent genug umgesetzt wurden. Der Grundsatz des «need to know» – nur Personen, die bestimmte Geheimdokumente nutzen müssen, erhalten darauf Zugriff – gilt im riesigen Militärapparat der USA noch immer nicht. Zudem haben die Kontrollen im Fall Teixeira offensichtlich versagt.

Streng geheime Dokumente dürfen nur an Terminals in besonders geschützten Räumlichkeiten eingesehen werden. In der Theorie ermöglicht dies dreierlei: erstens zu überwachen, wer dort welche Dokumente abruft, zweitens zu verhindern, dass sie auf andere Geräte übertragen werden, und drittens zu registrieren, was auf Papier ausgedruckt wird. Trotzdem konnte der unbedeutende Nationalgardist auf der Luftwaffenbasis Otis in Massachusetts Hunderte von Geheimdokumenten ausdrucken und aus dem Stützpunkt schmuggeln, ohne dass ihn jemand stoppte. Das ist ein katastrophales Versagen der zuständigen Führungspersonen.

Keine blosse Frage der Eigenverantwortung

Der nun vom Pentagon erfolgte Appell an das Pflichtgefühl und die Eigenverantwortung aller Geheimnisträger reicht nicht aus. Weder fruchtet er bei Überzeugungstätern, die staatliche Interna aus moralischer Überzeugung enthüllen, noch bei charakterlich unreifen Menschen, die sich der Folgen ihres Tuns nicht bewusst sind. Teixeira streute die von ihm kopierten Dokumente in seiner mehrheitlich aus Teenagern bestehenden Chat-Gruppe, in der Annahme, dass man sich dort vertrauen könne. Es war ein fataler Irrtum.

Doch diese Grobfahrlässigkeit ist nicht nur sein persönliches Problem, sondern im Pentagon-System eingebaut. Die dafür Verantwortlichen sollten zur Rechenschaft gezogen und die Kontrollen verschärft werden. Denn jeder Staat – auch eine Demokratie – ist darauf angewiesen, sicherheitspolitisch heikle Informationen in einem engen Kreis zu bewahren. Für die Weltmacht USA gilt dies erst recht. Wenn sie ihre Nachlässigkeit im Umgang mit Geheimnissen nicht korrigiert, wird sie mit vorhersehbarer Regelmässigkeit von Affäre zu Affäre stolpern.

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