Macron will die EU als „dritten Pol“ neben USA und China etablieren
Viel Aufregung gab es diese Woche um Aussagen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in einem Interview, das er unmittelbar nach seinem China-Besuch vergangene Woche noch auf der Rückreise gegeben hatte. Im Lichte der sich wegen des Ukraine-Krieges verschärfenden Antagonismen in der Welt sah sich der Franzose schnell dem Vorwurf ausgesetzt, gerade jetzt die transatlantische Verbundenheit zu schwächen, indem er suggeriere, die EU sollte sich aus dem sich zwischen China und den USA anbahnenden Konflikt heraushalten. Die EU laufe Gefahr, sich zum „Vasallen“ machen zu lassen, warnte Macron im Interview. Wobei wie selbstverständlich unterstellt wurde, der französische Präsident habe gemeint, die EU sollte nicht zum Vasallen der USA werden. Was er so nicht gesagt hat, zumindest nicht im Interview mit der französischen Zeitung Les Echos. Manche Kommentatoren interpretierten die Aussagen Macrons sogar als Freibrief für den chinesischen Präsidenten Xi Jinping, sich Taiwan anzueignen.
Abgesehen davon, dass damit Macrons Einfluss in der EU überschätzt wird, ging es dem französischen Präsidenten vielmehr um die Unabhängigkeit der EU, die sich um eine „strategische Autonomie“ bemühen und sich als „dritter Pol“ neben den USA und China positionieren müsse. Denn sollte es tatsächlich dazu kommen, dass die Welt auch noch mit einem Krieg im Fernen Osten konfrontiert wird, sitzt (nicht nur) die EU zwischen zwei Stühlen: auf der einen Seite der Verbündete USA, auf der anderen Seite die Wirtschaftsmacht China, von der die EU und ihre Unternehmen in vielerlei Hinsicht (Stichwort: seltene Erden) abhängig sind. Ob es zu dem befürchteten Krieg um Taiwan kommen wird, hängt ganz davon ab, ob Xi Jinping ebenso wie sein russisches Gegenüber danach strebt, einen vermeintlich ruhmreichen Platz in den Geschichtsbüchern zu erlangen, indem er chinesische Territorien, wenn auch gewaltsam, (wieder-?) vereint.
Immerhin hat die EU mit in den vergangenen Monaten vorgelegten Gesetzesinitiativen Schritte unternommen, um sich aus strategischen Abhängigkeiten – nicht nur gegenüber China – zu lösen, worauf Macron ebenfalls im Interview hingewiesen hat. Und es dürfte in Peking klar sein, dass die Europäer keineswegs tatenlos zusehen werden, sollte die chinesische Führung aus ihren jüngsten Militärmanövern rund um die taiwanische Insel Ernst machen. Das hat gestern nicht zuletzt die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock bei ihrem Besuch in Peking deutlich gemacht.
Doch wenn auch die EU in ihrem Streben nach „strategischer Autonomie“ insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht vorankommt, so ist sie doch noch ein Stück weit davon entfernt, sich als „dritter Pol“ in einer multipolaren Welt zu etablieren. Wohl zeigen die 27 bislang unverbrüchliche Einigkeit in ihrer Unterstützung für die Ukraine. Doch abgesehen davon, dass ohne die USA und allein auf die EU-Staaten angewiesen, die Ukraine den russischen Invasoren nicht so lange hätte standhalten können, ist die bisherige militärische Hilfe aus den EU-Staaten nicht ohne erhebliche Reibungsverluste abgelaufen. Um auf internationaler Bühne Gewicht zu haben, müssen sich die EU-Staaten eher früher als später zudem vom Einstimmigkeitsprinzip in außenpolitischen Fragen verabschieden, wenn nicht weiterhin lediglich der kleinste gemeinsame Nenner die Position der Europäischen Union bestimmen soll. Vor allem aber müssen die 27 die Frage klären, ob sie bereit sind, alles Nötige dafür zu tun, um eine der bestimmenden Mächte in der Welt zu sein. Nicht nur im Hinblick auf den derzeit weltpolitischen Kontext ist die Antwort darauf keine einfache.
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