Als Vizepräsidentin wirkt Kamala Harris meist im Hintergrund. In einer möglichen zweiten Amtszeit aber dürfte sich ihre Rolle verändern.
Kamala Harris hat den vielleicht undankbarsten Job in der US-Regierung. Als Vizepräsidentin sind ihre Hauptaufgaben, erstens, nicht negativ aufzufallen, weil das peinlich für den Präsidenten sein könnte, und, zweitens, nicht positiv aufzufallen, weil das den Präsidenten in den Schatten stellen könnte. Gemäß dieser Prämisse leistet sie hervorragende Arbeit. Sie fällt meistens überhaupt nicht auf.
Jüngst war sie in Florida unterwegs, wo sie betonte, wie wichtig Forschung zum Klimawandel sei. Am Dienstag, dem Tag von Bidens großer Verkündigung, stand für sie der Besuch einer Basis der Weltraumbehörde Nasa in Maryland im Kalender, immerhin mit dem südkoreanischen Präsidenten Yoon Suk-yeol. Auch bei diesem Besuch sollte es vor allem ums Klima gehen.
Mit solcherlei Terminen sind ihre Tage gefüllt, und nachdem sie sich zu Beginn ihrer Amtszeit zuweilen halblaut darüber beklagt hatte, dass sie keine wichtigeren Aufgaben zugeteilt bekomme, scheint es mittlerweile so zu sein, dass sie sich damit abgefunden hat. Die Nummer zwei der amerikanischen Regierung zu sein, heißt eben nicht, fast die Nummer eins zu sein. Vizepräsidenten bewegen sich traditionell im Niemandsland und halten sich für den Notfall bereit. Der tritt ein, wenn der Präsident seine Amtsgeschäfte nicht mehr ausführen kann.
Acht Präsidenten sind bisher im Amt gestorben. Vier starben an natürlichen Ursachen, vier fielen einem Attentat zum Opfer, darunter Abraham Lincoln und John F. Kennedy. In solchen Fällen übernimmt die Nummer zwei. Spötter sagen, die einzige Ausnahme von dieser Regel habe während der Amtszeit von George W. Bush gegolten, als sich der Präsident zwar durchweg bester Gesundheit erfreute, die Fäden jedoch von seinem Vize Dick Cheney gezogen wurden.
Bush war von dem entsprechenden Gerede so genervt, dass er ausweislich seiner Memoiren daran dachte, Cheney zu Beginn seiner Kampagne für die Wiederwahl 2004 zu feuern, um zu zeigen, dass er wirklich an der Macht ist. Dann hat er es sich anders überlegt, vielleicht auf Anraten Cheneys.
Wann immer ein amtierender Präsident zur Wiederwahl antritt, gibt es Spekulationen darüber, dass er sich einen neuen “running mate” sucht, also jemanden, mit dem er gemeinsam in den Wahlkampf zieht. Aus den Spekulationen wird selten Realität. Gerald Ford hatte 1976 in Anbetracht schlechter Umfragewerte seinen Vize Nelson Rockefeller gefeuert und durch Bob Dole ersetzt. Genützt hat es nichts, Ford verlor gegen Jimmy Carter.
Dole versuchte später, was viele Vizepräsidenten schließlich versuchen: Er wollte selbst Präsident werden. 1996 trat er gegen Bill Clinton an, sah sich jedoch dauernd dem Vorwurf ausgesetzt, er sei viel zu alt. Dole war damals 73, was im Vergleich zu den voraussichtlichen Kandidaten des kommenden Jahres geradezu jugendlich ist. Während seines Wahlkampfs verwies er einmal auf das vorabendliche Spiel der Dodgers, eines höchst populären Baseball-Teams. Allerdings sprach er von den Brooklyn Dodgers. Das Team ist 1958 an die Westküste umgezogen und heißt seither LA Dodgers. Die allgegenwärtigen Spötter interpretierten die Angelegenheit dahingehend, dass Dole entweder senil sei oder noch immer in den Fünfzigern lebe.
Kamala Harris wollte ursprünglich selbst Präsidentin werden, sie trat in den Vorwahlen gegen Biden an. Bei einer Debatte warf sie ihm vor, sich als Senator nicht ausreichend für schwarze Kinder eingesetzt zu haben, was Biden ihr übel nahm. Seine Ehefrau, Jill Biden, hat Harris nach der Attacke mit einem Schimpfwort der ersten Kategorie beschrieben. Dennoch machte Biden sie später zu seiner Nummer zwei. Harris wurde als erste Frau und als erste Schwarze Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten.
Wie das im politischen Betrieb so üblich ist, gab es auch diesmal Spekulationen darüber, ob Biden sie austauscht. Diese erwiesen sich als ungefähr so seriös wie Menschen, die in New York versuchen, Tickets für die kostenlose Staten-Island-Fähre an Touristen zu verkaufen. Spätestens seit der Veröffentlichung des Videos am Dienstag ist klar, dass Biden erneut mit Harris antritt. Er verdankt seine Nominierung als Kandidat der Demokraten und seinen Einzug ins Weiße Haus wesentlich der weiblichen und der schwarzen Wählerschaft. Es galt daher immer als ausgeschlossen, dass er Harris vor die Tür setzt.
Die interessante Frage ist, was Harris für die Zukunft plant. Für George Bush zum Beispiel war während seiner acht Jahre als Vize von Ronald Reagan immer klar, dass er selbst Präsident werden wollte, was ihm dank seines Wahlsiegs im Jahr 1988 gelang. Vier Jahre später ereilte ihn das gleiche Schicksal wie Bob Dole: Er verlor gegen Bill Clinton.
Sollte Biden die Wahlen erneut gewinnen, begännen für Harris vier Jahre, die weniger belanglos wären als die zurückliegenden. Insbesondere in der zweiten Hälfte einer zweiten Amtszeit ginge es für sie darum, sich als Präsidentschaftskandidatin zu positionieren, was hieße, dass sie mit der alten Regel brechen müsste, möglichst nicht aufzufallen.
Joe Biden weiß übrigens aus eigener Erfahrung, wie es ist, wenn über eine mögliche Ablösung des Vizepräsidenten spekuliert wird. Als Barack Obamas Umfragewerte 2011 im Keller waren, gab es Gerüchte, dass er seinen Vize Biden durch Hillary Clinton ersetzen wolle. Später hieß es aus dem Weißen Haus, das sei niemals eine wirkliche Überlegung gewesen. Obama und Biden zogen 2012 erneut gemeinsam in den Wahlkampf und gewannen.
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